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Ungewisse Zukunft des Ankerzentrum und eine verzerrte Debatte

Ungewisse Zukunft des Ankerzentrum und eine verzerrte Debatte

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  • Trotz eines auslaufenden Vertrags wird das Bamberger Ankerzentrum wohl doch bleiben. Unterdessen fällt eine Fraktion im Stadtrat mit rechtspopulistischen Forderungen auf. Ein Interview mit Sylvia Schaible vom Verein Freund statt Fremd über die aktuelle Debatte und das Leben Geflüchteter in Bamberg.
Ankerzentrum
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Kontext

Nichts beschäftigt die städtische Politik in letzter Zeit so sehr wie die Zukunft des Ankerzentrums (AEO), das Erstaufnahmezentrum für geflüchtete Menschen in Oberfranken. Die Stadtratsfraktion BuB (Bambergs unabhängige Bürger) schockierte zuletzt mit Forderungen nach einer nächtlichen Ausgangssperre und Betretungsverbot für Schwimmbäder für männliche Bewohner der AEO. Den Freistaat und die Stadt scheinen hauptsächlich Finanzen zu kümmern. Was bei der gesamten Debatte auch in den Lokalmedien meist komplett vergessen wird: Die Perspektive Geflüchteter selbst und jener, die ehrenamtliche Integrationsarbeit leisten.

Frau Schaible, das AEO scheint immer alternativloser und wird vermutlich bleiben. Warum sollte es aus ihrer Sicht schließen?

Wir von Freund statt Fremd versuchen zum einen, die Perspektive der Geflüchteten einzunehmen und sind deshalb klar für eine Schließung. Im Wesentlichen sind wir dabei dagegen, sehr viele Menschen an einem Ort für oft mehrere Monate in völliger Ungewissheit über ihre Zukunft unterzubringen. Aber wir sind auch aus der Perspektive der Bamberger Bürgerinnen und Bürger gegen den Weiterbetrieb.

„Es tut einer Stadt nie gut, wenn Menschen praktisch ghettoisiert und eng aufeinander untergebracht sind.“

Im Ankerzentrum, einem Erstaufnahmezentrum, sind Leute, die frisch nach Deutschland kommen. Aus unserer eigenen Sicht des Ehrenamts sind wir auch deshalb für die Schließung, eben weil Integrationshilfe für Menschen ohne jegliche Perspektive sehr schwer ist. Wie will man jemandem helfen, Arbeit zu finden, wenn die Person gar nicht arbeiten darf? Oder wie will man Kindern beim Kontakte knüpfen helfen, wenn sie gar keinen Kindergarten im Stadtgebiet besuchen dürfen? Das ist bei dezentralen Unterbringungen anders. Wenn das Ankerzentrum schließt, muss die Stadt dezentral Asylsuchende aufnehmen. Diese haben dann aber mehr Perspektive und würden ganz normal unsere Kitas und Schulen besuchen, arbeiten gehen. Also so leben, dass man auch echte Unterstützung bei der Integration leisten kann. Wir versuchen das ein bisschen aufzufangen, aber bei normalerweise mehr als mindestens 1200 Bewohner*innen der AEO ist das natürlich nicht vollumfänglich möglich. Wir sind klar für eine Schließung. Leider hat der Freistaat sein Versprechen nicht gehalten und hat in den letzten Jahren keinen Finger gerührt, Alternativen zu finden.

Könnt ihr da auf die Stadt einwirken?

Die Stadt hat das gar nicht mehr in der Hand. Wie gesagt, der Freistaat hat sein Versprechen nicht gehalten. Und dass der Stadtrat jetzt gesprächsbereit ist und verhandeln will, ist nachvollziehbar. Vielleicht hat sich die Stadt etwas zu blauäugig auf dem Versprechen ausgeruht. Jetzt hat sie aber keinen Einfluss mehr darauf. Im besten Fall kann man jetzt eine neue Frist verhandeln und festlegen, dass der Freistaat einen Plan für Alternativen zum Bamberger ANKER schafft. Eine Verkleinerung wäre zum Beispiel ein guter erster Schritt auf dem Weg zu einer schrittweisen Auflösung.

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Info

Sylvia Schaible ist im Vorstand von Freund statt Fremd. Der Verein unterstützt Geflüchtete individuell bei der Integration, schafft Raum für Begegnung und betreibt unter anderem das Café Willkommen im Bamberger Ankerzentrum.

Was sind Probleme einer Unterbringung wie der AEO für Geflüchtete? Wie sieht da die Lebensrealität aus?

Total unterschiedlich. Wenn man nicht lange dort sein muss, ist es schon auszuhalten. Das Gelände ist schön und wenn man in keiner überfüllten Wohnung ist, das Essen erträglich findet und vielleicht sogar noch das Glück hat, in einen Sprachkurs zu kommen, dann kann man sogar ein wenig anfangen mit dem Deutsch lernen. Was die Menschen ganz praktisch übrigens am meisten stört, ist, dass sie nicht selbst kochen, also nicht selbstbestimmt essen können. Dann kann man zum Beispiel die Türen nicht absperren. Dazu kommen gesetzliche Einschränkungen für die Bewohner*innen, wie eine fehlende Arbeitserlaubnis. Für die erste Aufnahme, also ein paar Wochen, ist eine derartige Unterkunft, denke ich, ertragbar. Schlimm wird es dann, wenn man monatelang ausharren muss. Es ist eben kein schwarz-weiß Denken, sondern es wird im Detail richtig kompliziert.

Gibt es denn eine alternative Unterbringung zum AEO, die für alle besser ist? Container zum Beispiel.

Die Alternative zum Ankerzentrum ist, dass das Land Bayern eine Alternative für die Erstaufnahme in Oberfranken findet. In über die Stadt verteilten Containerunterkünften würden andere Menschen wohnen als in dieser Erstaufnahme. Die dezentrale Unterbringung fällt ja gerade deshalb weg, weil wir momentan das Ankerzentrum bei uns haben. Außer ein paar afghanischen Ortskräften, die die Stadt zusätzlich aufgenommen hat. Für die dezentrale Unterbringung wiederum ist ein Container nicht unbedingt das Schlechteste. Das Beste wären natürlich ganz normale Häuser. Wichtig wäre aber immer, dass man gut angebunden ist und nicht irgendwo isoliert in der Pampa wohnt. Aber ich war unlängst in einer Containerunterkunft in Breitengüßbach, die erstmal gar nicht schlecht ist. Damals gab es in der Region Demonstrationen gegen die Unterbringung von Asylsuchenden, vor allem aufgehetzt von der extremen Rechten. Mittlerweile hört man da aber gar nichts mehr, das scheint gut zu funktionieren. 

Wie bewerten Sie die aktuelle Bamberger Debatte rund um das AEO?

Das Thema ist vor allem erst einmal sehr komplex, wie man merkt. Und die Debatte ist aber an vielen Stellen grob vereinfacht und zuletzt enorm verschoben. Die Perspektive der Geflüchteten geht ein bisschen unter. Wobei ich hinter den Kulissen mitbekomme, dass sie durchaus noch bedacht wird. Wie weit die Stadt jetzt bei einer möglichen Verhandlung mit dem Freistaat gerade diese Perspektive in die Waagschale wirft, würde ich aber trotzdem bezweifeln.

Und die Forderungen der BuB nach Ausgangssperren und Betretungsverboten?

Da haben wir keine Stellungnahme gemacht, weil uns das ehrlich gesagt zu doof war. Aber dieser übelste Populismus hat mich schon frappiert. Und es ist schlichtweg rechtswidrig. Da wurde wirklich auf unterstem Niveau agiert. Gott sei Dank, waren die Reaktionen des restlichen Stadtrats in der Sitzung auf diese Forderungen durch die Bank weg ablehnend. Auch bei den Konservativen. Das hat mich ein bisschen beruhigt.

„Und wenn sogar die AfD im Stadtrat nach rechts schauen muss und das, wohlgemerkt aus Gründen der Rechtswidrigkeit ablehnt, ist das wirklich unfassbar.“

Es gibt aber auch ganz konkrete Sorgen und Ängste der Bewohner*innen aus dem Bamberger Osten rund um das Ankerzentrum.

Die Sorgen sind aus meiner Sicht, betrachtet man die Realität, ziemlich unberechtigt. Das bestätigt sogar die Polizei. Es gibt keine zunehmende körperliche oder sexuelle Gewalt im Umfeld des Ankerzentrums. Durch die Anwesenheits Geflüchteter hat sich also nichts verändert. Bei Ladendiebstählen sind laut Polizei überdurchschnittlich oft Menschen aus dem ANKER involviert. Aber das ist über das gesamte Stadtgebiet verteilt und nicht nur im Osten so. Insofern sind die Sorgen objektiv unbegründet. Das ändert allerdings nichts daran, dass die Sorgen subjektiv existieren. Die Menschen, die dort um das AEO herum wohnen, sind vor allem dagegen, dass so viele Menschen konzentriert in der Nachbarschaft untergebracht sind, was ich sogar nachvollziehen kann, denn da sind wir wieder bei den Nachteilen von Massenunterkünften. Es ist ja völlig fair, Menschen über die gesamte Stadt zu verteilen.  

Vielen Dank Frau Schaible

 

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