Artikel so heavy wie Metal.
Dabei sein ist alles. Und Anna is(s)t alles. Anna ist…
Wer ist “Ernst von Leben”?
Das Impro-Ensemble “Ernst von Leben” besteht aus den vier freiberuflichen Schauspieler*innen Nicole Heinemann, Johanna Waldhoff, Felix Forsbach, Thomas Paulmann und den Musikern Peter Florian Berndt und Dominik Tremel. Zusammen haben sie sich, nach eigener Aussage, dem innovativen Improvisationstheater verschrieben und treten mit verschiedenen Formaten auf – von Kriminalfall bis Musical. Manchmal auch mit KI-Unterstützung.
Könnt ihr euch keine Texte merken oder warum macht ihr Impro-Theater?
Johanna: Sehr gute Frage. Ich weiß gar nicht, ob ich mir Texte merken könnte. Aber ich vermute, ich könnte das tatsächlich nicht. Also ich habe schon mal ein Gedicht auswendig gelernt, aber mehr auch noch nicht. Ich glaube, ich wäre sehr aufgeregt und ich bewundere immer total Schauspieler, die mit Texten spielen. Aber das ist nicht der Beweggrund fürs Impro spielen. Der Grund ist einfach, dass da viel Freiheit ist, dass was entstehen kann.
Nicole: Auch absolutes Teamwork.
Johanna: Genau. In einem klassischen Theater ist es eher so, dass dieses aufeinander Hören und Gestalten vorher passiert, damit eine schöne Szene entstehen kann. Bei uns ist es so, dass man in dem Moment aufeinander hören muss und das ist eine super schöne Erfahrung. Man kann was entstehen lassen, aus dem, was gerade da ist.
Wie seid ihr zum Impro-Theater gekommen?
Nicole: Ich habe vorher klassisches Theater gemacht. Erst habe ich als Kind Kurse an der Volkshochschule gemacht. An der Schule war es der gängige Weg über die Theater AG. Dann kam ich an die Uni und da gab es kein Theater, wie ich es kannte. Also habe ich mich erstmal für die Hochschulsportkurse angemeldet und beim Durchschauen habe ich entdeckt: Es gibt Impro-Theater. Damals hatte ich nicht genügend Geld dabei, um mir zwei Kurse leisten zu können. Also habe ich gesagt, okay, es gibt noch ein oder zwei Plätze, ich gehe jetzt zur Bank, hebe das Geld ab, komme wieder und bezahle das – damals musste man noch bar bezahlen (lacht). Dann kam ich wieder und es gab den Platz noch! So kam ich zum Impro-Theater – durch Zufall.
Dann konnte der Quatsch aus dem Kopf auch mal auf die Bühne.
Johanna: Ich habe vorher kein klassisches Theater gespielt. Ich habe zwar mal eine Theater-AG gemacht und hätte da auch Bock draufgehabt. Aber ich glaube, ich habe es mich nie wirklich getraut, weil ich zu schüchtern war. Ich habe aber trotzdem wahrgenommen, dass ich Lust hatte, auf der Bühne zu stehen und da Quatsch zu machen. Irgendwie habe ich so ein Gefühl gehabt, Impro-Theater könnte etwas für mich sein. Irgendwann hatte ich mal weniger Kurse an der Uni und habe mich einfach mal angemeldet. Dann konnte der Quatsch aus dem Kopf auch mal auf die Bühne (lacht).
Warum heißt ihr Ernst von Leben?
Johanna: Mal gucken, ob ich damit jetzt den Zauber kaputt mache (lacht). Wir saßen so als erste Gründungsmitglieder zusammen, überlegten, und es kam einfach dieser Name. So genau weiß ich es gar nicht mehr. Das Schöne war, als der Name da war, ist da ganz viel daraus gewachsen. Irgendwie hat sich das mit Ernst von Leben so entwickelt. Ich glaube, wir haben auch im Nachhinein viel hineininterpretiert. Dass wir nicht nur ulkig spielen wollen, zum Beispiel. Unser Spiel hat oft ulkige Anklänge, ist lustig und auch oft einfach Quatsch, aber es soll auch ernst sein und in die Tiefe führen. Wir wollen offen sein und auch verschiedene Formate machen, nicht nur den klassischen Impro-Sport. Das passte gut und dieses Adelige mit “von” musste einfach so sein (lacht).
Nicole: Man stolpert auch so ein bisschen drüber, weil es oft ja Ernst des Lebens heißt.
Johanna: Leben ist auch so ein Thema. Ich finde, dass alles, was das Leben mit sich bringt – sowohl an Lustigem und Schrägen als auch an Tiefgängigem – viel Stoff für das Theater bietet.
Wie fällt euch immer etwas ein und wie behaltet ihr einen roten Faden bei?
Nicole: Das Geheimnis ist, es gibt meistens keinen roten Faden. Tatsächlich macht Impro total aus, dass man sich auf den anderen verlassen kann. Wenn man viel miteinander gespielt hat, weiß man auch ein bisschen, wie der andere tickt. Dann finde ich das überhaupt nicht schwierig, weil man sich fallen lassen kann. Das hat ganz viel mit Vertrauen zu tun. Selbst wenn ich dastehe und irgendwas mache, würden Johanna oder Felix, oder wer auch immer jetzt mit uns spielt, mich irgendwie unterstützen. Das ist ein sehr schönes Gefühl zu wissen, egal was ist, man ist nicht allein. Der Andere springt mit auf und macht vielleicht den gleichen Quatsch und dadurch wird es schon etwas Größeres. Es geht keiner auf die Bühne und sagt, „Jetzt spiele ich genau das und dann wird das passieren und dann das.”
Johanna: Genau,dann geht’s nämlich eher kaputt.
Das ist ein sehr schönes Gefühl zu wissen, egal was ist, man ist nicht allein.
Nicole: Das geht gar nicht, weil der Andere kann ja nicht in meinen Kopf schauen. Man muss zuhören und die Grundregel beim Impro befolgen: “Yes, and.” Also, positiver an Dinge heranzugehen und gucken, was kommt, “Ja, und…” dann machen wir weiter. Das ist auch sehr schön fürs Leben allgemein.
Johanna: Ich glaube, dass viele Menschen das besser können als sie denken. Kinder können es zum Beispiel total gut im Spiel. Wir lernen irgendwann im Leben, uns zu zensieren und uns zu überlegen: Was ist gut? Was kommt gut an? Was ist richtig und was ist falsch? Im Impro nimmt man sich im Grunde diese Zensuren, die man gelernt hat, langsam weg. Indem man sich traut, sich verletzlich zu machen. Wenn man spielt, kann das auch scheiße werden. Ich habe auch so Erlebnisse gehabt, bei denen ich dachte: “Man war das schlecht.” Aber dadurch wächst man, weil man merkt, es passiert nichts, ich kann weiterspielen. Deswegen glaube ich, dass das in vielen Leuten schon drinsteckt und es einfach Übungssache ist. Wenn man das oft macht, fallen einem schneller Sachen ein. Manchmal fällt einem aber auch nichts ein und dann kann man lernen, dass Scheitern nicht schlimm ist.
Nicole: Ich kann mir das gar nicht mehr vorstellen, weil ich so lange jetzt schon Impro spiele. Aber ich merke diese Zurückhaltung bei Leuten, die neu anfangen. Dann kann man eine Grundübung machen: das Assoziieren. Das heißt, man sagt einfach einen Begriff, zum Beispiel Banane, und du sagst als nächstes…
Johanna: Affe.
Nicole: Und immer so weiter. Da merkt man – oft bei älteren Leuten – dass da der innere Kritiker oft sagt: “Nein, das kannst du nicht sagen.” Dann überlegen sie sehr lang. Aber wenn man das oft übt, kann man den Kritiker ausschalten und es kommt spontan der erste Gedanke heraus. Manchmal fragt man sich selbst: “Wo kam das denn jetzt her?”
Wie bereitet ihr euch auf eine Vorstellung vor?
Nicole: Eine Übung, die wir immer vor Auftritten machen, ist “Satz oder Gefühl.” Man sagt einen Satz in einem Gefühl und der andere darf sich überlegen, ob er das Gefühl übernimmt und sich einen neuen Satz ausdenkt oder ob er den Satz übernimmt, und das Gefühl ändert.
Johanna: Als wir das Musical letztens im ETA-Theater gemacht haben, haben wir vorher mehr geprobt. Normalerweise proben wir nicht so viel, weil wir alle, auch außerhalb von Bamberg, viel spielen. Aber bei dem Musical haben wir es doch mal mehr gemacht. Das ist so ein „Anspielen“, also wir gucken, was braucht’s und was brauchen wir, um uns wohlzufühlen.
Habt ihr es von Beginn an so geplant, dass ihr mit Musik auftretet?
Nicole: Ja, es war schon immer wichtig für uns. Dadurch, dass wir Musiker aufgenommen haben, hat sich die Art und Weise, wie Musik dazu kam, verändert. Weil jeder auf seine Weise talentiert ist und individuelle Schwerpunkte im Leben hat. Das hat nochmal viel Schwung mitgebracht.
Johanna: Ja, Musik war schon immer Teil von uns. Wir haben einfach auch wirklich tolle Musiker im Team. Das ist so wichtig, weil sie mit der Musik nicht nur untermalen, sondern Stimmungen verändern können, Charaktere formen und so das ganze Spiel mitgestalten. Das merkt man während des Spiels meistens so gar nicht, weil es irgendwie organisch passiert. Allerdings, müssen wir echt ganz anders spielen, wenn die Musik fehlt. Außerdem bin ich so super glücklich über unsere Musiker, weil wir so jetzt auch zunehmend Lieder ins Spiel einbauen oder ganze musische Formate wie das Musical haben, was mir einfach total viel Freude macht.
Wie oft und wo tretet ihr auf?
Nicole: Der größte Teil ist außerhalb von Bamberg. Im Sommer haben wir immer eine Pause. Da ist bewusst geplant, dass wir nicht viel oder gar nicht spielen. Jetzt, im Herbst und Winter, haben wir schon zwei, drei Auftritte in der Woche. Das ist schon sehr viel. In der meisten Zeit spielen wir improvisierte Kriminalfälle. Damit sind wir auch in ganz Bayern unterwegs.
Das Publikum hat bei euren Auftritten viel Einfluss. Wurden schon einmal unangemessene Dinge reingerufen, mit denen ihr nichts anfangen konntet?
Nicole: Ich finde, es gehört zu einer Moderation dazu, damit klarzukommen und sowas auszusieben. Wir müssen nicht alles machen, was uns gesagt wird. Der Klassiker beim Impro-Theater ist, dass zum Beispiel bei der Frage nach einem Ort “Toilette” oder “Sauna” oder sowas reingerufen wird. Wenn man ein guter Schauspieler ist, kann man damit aber auch umgehen, ohne dass es vulgär wird. Man kann aber auch sagen “Das hatten wir letzte Woche schon. Wir wollen mal was anderes spielen.”
Johanna: Man merkt es auch, wenn ein Publikum etwas Gutes sehen will und mitdenkt. Bei dem Musical wurde das Publikum zum Beispiel an einer Stelle gefragt, welche Rolle ich gerade sein soll und der Vorschlag hat so gut in den Fall gepasst. Es gibt schon auch Leute, die besonders kreativ sein wollen und irgendwas sagen, was überhaupt nicht dazu passt, nach dem Motto “Mal gucken, ob das funktioniert.” Ja, das funktioniert, aber es ist eben nicht so schön. Ein Flow entsteht eher, wenn das Publikum auch möchte, dass es schön wird und nicht nur denkt “Jetzt fordern wir die heraus.” Manchmal kommt es bei den Krimis vor, dass es besonders eklig und blutrünstig wird, aber das ist in Bamberg zum Beispiel nicht so. Das kann man spielen, aber dann sind die Zuschauer auch selbst schuld (lacht).
Auf eurer Webseite schreibt ihr, dass ihr innovatives Impro-Theater macht. Was unterscheidet euch von anderen Impro-Theatern?
Nicole: Ich glaube, sich die Freiheit zu nehmen, dass generell alles, was auf der Bühne stattfindet, auch Theater ist, wenn wir darauf Bock haben. Also Sachen auszuprobieren, die nicht viel Struktur haben und mit viel Musik verwoben sind.
Johanna: Auch diese langen Formate sind etwas, was uns gut gefallen hat und was zu uns passt. Nicht so diese kurzen Spiele und Szenen, die auch ihren Reiz haben, aber wir spielen eher länger.
Nicole: Per se ist Impro-Theater aber immer innovativ. Wenn man uns jetzt aber mit anderen Impro-Theatern vergleicht, arbeiten wir eben viel mit langen Formaten und Musik. Und wir haben das Vertrauen, dass wir irgendwie etwas hinkriegen, auch wenn wir gar keine Struktur hätten. Wir wollen auch nicht nur für den Gag spielen.
Johanna: Wir wollen auch, dass es ab und zu auch mal düster sein kann und es sich vielleicht auch mal nicht so schön anfühlt, wenn man sich eine Szene anguckt. Das machen wir gerne, weil es auch zu uns passt.
Ihr spielt auch das Format “Wir und die KI” – Macht euch das Spielen mit oder ohne KI mehr Spaß?
Johanna: Schwierig, das so abzuwägen. Ich würde jetzt nicht immer mit KI spielen, weil das schon ein spezielles Format ist, das einen recht festen Rahmen setzt. Es ist einfach ein Kunstformat, das Spaß macht an einem Abend und das wir hin und wieder gerne machen. So haben alle Formate ihr gewisses Etwas. Musical würde ich aber immer spielen wollen! (lacht).
Welche Frage hätten wir euch noch stellen sollen?
Nicole: Das klingt so kitschig, dass ich es eigentlich nicht sagen will, aber “Kann man mit Impro die Welt verbessern?” Ich würde sagen, ja. Weil es so eine positive Grundhaltung und Offenheit gegenüber Anderen in den Menschen schafft. Man lernt auch, mal wirklich aktiv zuzuhören. Die Welt wäre so viel besser, wenn wir einfach zuhören würden und uns dafür interessieren würden, was hinter Aussagen steckt. Warum sagt mein Gegenüber das gerade wütend oder warum sagt er das überhaupt? Garantiert nicht, weil er mich wirklich verletzen will, sondern vielleicht, weil er einfach hungrig ist oder den Bus verpasst hat. Im Impro machen wir nichts anderes, als davon zu träumen, wie die Welt sein könnte. Das ist natürlich manchmal utopisch, aber allein diesen Samen zu sähen und zu überlegen, wie es besser sein könnte, ist sehr wertvoll.
Johanna: Das war aber eine sehr gute letzte Frage! Ich würde auch zustimmen. Dieses aufeinander Hören ist ganz wichtig und das “Ja, und…” statt “Nein” oder “Aber”. Das heißt nicht, dass man alles gut finden muss, aber dass man eine prinzipielle Offenheit hat. Meine Frage ist “Braucht jeder Impro?” und die Antwort ist: Ja! Diese “Ja und”-Haltung finde ich wirklich richtig gut. Es ist gut zu sagen, “Scheiße passiert”, und dann nicht zu sagen, “Nein, das darf nicht sein und es geht hier jetzt nicht weiter”, sondern “Ja, Scheiße passiert und was mach ich jetzt mit der Scheiße?” (lacht). Also nicht dieses “Gibt dir das Leben Zitronen, machst du Limonade draus”, sondern mehr so “Ich wollte gar keine Zitronen, ich finde Zitronen richtig blöd. Ich habe eine Zitronen-Allergie – und jetzt mache ich was draus.” Ich finde die beiden Worte total wichtig: “Ja” und “und.” Das sind meine beiden liebsten Worte im Impro.
Du hast Interesse?
Dann besuche doch mal das Ensemble…
Im Web: www.ernstvonleben.de
Auf Instagram: @ernstvonleben
Artikel so heavy wie Metal.
Dabei sein ist alles. Und Anna is(s)t alles. Anna ist wohl die einzige Autorin, die beim Ottfried kein Spezi trinkt. Kohlensäure ist ihr Endgegner. Das hält sie nicht davon ab, mit voller Fahrt dabei zu sein.