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Rabbit Holes der Redaktion: Logan Paul und der Aokigahara

Rabbit Holes der Redaktion: Logan Paul und der Aokigahara

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  • Ein amerikanischer YouTuber, ein sagenumwobener Wald, die Tierschutzorganisation PETA, eine Studie der Cambridge University und Wrestling. Auch wenn es nicht so klingt: All diese Dinge haben miteinander zu tun und machen dieses Rabbit Hole zu einem Potpourri von seltsamen Ereignissen.

Triggerwarnung: Suizid

Es ist 2018. Auf dem YouTube-Kanal des US-amerikanischen Influencers Logan Paul erscheint ein neues Video. Es trägt den Titel „We found a dead body in the Japanese Suicide Forest“ – was wie ein schlechter Witz klingt, ist nicht nur geschmackloses Clickbaiting, sondern auch ein Indiz dafür, dass die allseits gefürchtete Cancel Culture vielleicht gar nicht existiert.

Der Aokigahara-Wald

Mit dem im Titel des Videos erwähnten „Selbstmordwald“ ist der Aokigahara-Wald in Japan gemeint. Laut der Webseite aokigaharaforest.com liegt der Aokigahara-Wald am Fuße des Mount Fuji – Vulkan und höchster Berg in Japan – etwa 160 Kilometer westlich von Tokio. Im Volksmund wird der Wald auch „Jukai“, was so viel wie „Meer von Bäumen“ bedeutet, genannt. Auch wenn der Wald gar nicht so groß ist, verlaufen sich immer wieder viele Menschen darin, weil er eine sehr hohe Baumdichte und viele dunkle Stellen hat. Die Eishöhle und die Windhöhle im Wald sind beliebte Touri-Spots. Seine Ruhe verdankt der Wald dem Fakt, dass in ihm kaum Wildtiere leben. Hinter dieser Ruhe verbirgt sich aber auch eine andere Seite. So hat der Aokigahara den makabren Ruf des beliebtesten Suizidortes der Japaner*innen.

Betritt man den Wald, sieht man laut der Webseite als erstes Schilder auf Japanisch und Englisch, die Suizide verhindern sollen. „Dein Leben ist etwas Kostbares, das dir deine Eltern gegeben haben“, lautet der Text eines Schildes. Ein anderes hat die Aufschrift: „Meditiere noch einmal über deine Eltern, Geschwister und Kinder. Seid nicht allein geplagt.“ Wie viele Menschen sich im Aokigahara in einem Jahr das Leben nehmen, ist nicht bekannt. Denn die Polizei veröffentlicht diese Daten seit dem Jahr 2003 nicht mehr. Das letzte Mal, als die Zahlen offiziell benannt wurden, gab es 105 bestätigte Suizide innerhalb eines Jahres im Aokigahara-Wald.

Vor der Ferienzeit wird jedes Jahr eine Leichensuche organisiert, bei der die gefundenen Leichen „beseitigt“ und wenn möglich identifiziert werden. In der japanischen Mythologie gilt der Wald als von Dämonen heimgesucht. Die Legende besagt, dass Menschen, die sich im Meereswald verirrt haben, nie wieder zurückkehren. Im japanischen Volksglauben kann die Seele eines Menschen, der in einem tiefen Gefühl von Hass, Wut, Traurigkeit oder Rachegelüsten stirbt, diese Welt nicht verlassen. Sie wandert weiter und kann den lebenden Menschen begegnen. Diese Seelen werden „Yurei“ genannt. Manche Spiritualist*innen sind überzeugt, dass die Bäume im Aokigahara eine über Jahrhunderte angesammelte bösartige Energie in sich aufgesogen haben. Wenn Waldhüter*innen eine Leiche finden, bringen sie diese in einen „speziellen Raum für Leichen“ in der Nähe des Waldes. Die Leiche wird dort auf ein Bett gelegt. Eine*r der Wächter*innen schläft dann im selben Raum wie die Leiche. Es heißt, dass der*die Tote, wenn er*sie allein im Zimmer bleibt, die ganze Nacht schreiend und verwirrt durch das Zimmer läuft. Die Wärter*innen spielen daher Schere-Stein-Papier, um zu entscheiden, wer neben dem Leichnam schlafen muss.

Logan Pauls Besuch im Aokigahara

Angesichts der Geschichte des Aokigahara-Waldes wirkt es befremdlich, dass ausgerechnet dieser Ort ein beliebtes Ausflugsziel für Wander*innen ist. Aber zurück zu Logan Paul. Auch ihn hat nichts davon abgehalten, dem Wald einen Besuch abzustatten. Er und ein paar Leute aus seinem Team reisten 2018 nach Japan und besuchten den Aokigahara. Dort angekommen, dauerte es nicht lange bis sie die Leiche eines Mannes entdeckten, der dort augenscheinlich an Suizid gestorben war. Statt den Dreh abzubrechen, hielt Logan die Kamera auf den leblosen Körper des Mannes und entschied sich dann dazu, dieses Video mit der Welt zu teilen. Angeblich war seine Intention der gute Zweck. „Ich wollte Bewusstsein für Suizide und Suizidprävention schaffen“, heißt es in einem Entschuldigungs-Tweet des YouTubers. Schwer das zu glauben, wenn man einen Mann sieht, der mit gelber Comic-Mütze und Kamera in einen Wald spaziert, der bekannt dafür ist, dass sich dort viele Menschen das Leben nehmen.

Dear Internet, pic.twitter.com/42OCDBhiWg— Logan Paul (@LoganPaul) January 2, 2018

Dear Internet…

Das Video löste eine Welle der Empörung aus. Mittlerweile ist es gelöscht. Stattdessen gibt es ein Entschuldigungsvideo auf dem Kanal von Logan Paul. Nicht einmal zwei Minuten nimmt er sich dafür. Er erwarte nicht, dass ihm die Menschen verzeihen. Er wolle nur um Entschuldigung bitten und betont, er hätte das Video nie hochladen dürfen. Besser noch: Er hätte die Kamera sofort ausschalten müssen, als er und seine Begleiter die Leiche entdeckt hätten. Logan Paul sah sich mit einem riesigen Shitstorm konfrontiert. Manch eine*r würde sogar behaupten, er sei gecancelt worden.

Von Cancel Culture keine Spur

Doch was nach dem Shitstorm passiert ist, lässt Zweifel daran aufkommen, ob es die Cancel Culture überhaupt gibt. Cancel Culture meint eine Kultur, in der Menschen für Fehlverhalten, diskriminierende Aussagen oder Handlungen damit bestraft werden, öffentlich boykottiert zu werden. Ein Autor des Online-Magazins YourTango ist der Meinung, Cancel Culture könne positive Veränderungen verursachen und Logan Paul sei das „perfekte Beispiel“ dafür. Naja, kann man so sehen. Wenn man außer Acht lässt, dass der YouTuber nach dem Skandal-Video im japanischen Wald noch auf weitere interessante Ideen kam.

Kurz nachdem er sich für sein Japan-Video entschuldigt hatte, dachte er nämlich, es sei ein guter Einfall, Tiere vor laufender Kamera zu quälen. Die Tierschutzorganisation PETA in den USA kritisierte den YouTuber deutlich. Sie fänden es „abstoßend, dass diese ‚Internetpersönlichkeit‘ mit Millionen von leicht zu beeindruckenden Followern immer noch nicht gelernt hat, dass der Tod nicht lustig, sondern traurig ist”, schreibt die Organisation auf ihrer Webseite. Logan Paul hatte in einem Video einen Fisch aus einem Teich geholt und ihn auf den Boden gelegt. „Was mach ich jetzt? Er atmet noch. Ich habe das Gefühl, ihn zum Leben zu erwecken. Soll ich ihn reanimieren?“ Nachdem er den Fisch nach einer imitierten Herzdruckmassage – tot – im Teich zurückgelassen hatte, stellte er fest: „Ich bin kein ‘Fisch-Doktor’, okay? Ich weiß nicht, was ich mache.“ Im selben Video tasert er tote Ratten mit einem Elektroschocker.

Doch damit nicht genug für den Skandal-Liebhaber. Anfang des Jahres 2019 kündigte er in seinem Podcast „Impaulsive“ an, er wolle einen „male only month“ machen. „Wir werden versuchen, nur einen Monat lang schwul zu werden.“ Denn wie jede*r weiß, kann man sich seine sexuelle Orientierung aussuchen und beliebig verändern… War doch so, oder? Es folgte daraufhin mal wieder eine Entschuldigung oder zumindest der Anschein einer solchen. „Sehr schlechte Wortwahl, meine Schuld“, twitterte Logan Paul, nachdem er lautstark kritisiert wurde.

Dass Cancel Culture in dem Sinne, dass eine Person von der Öffentlichkeit ausgeschlossen wird, nicht existiert, zeigt auch eine Studie der Cambridge University. Forscher*innen haben das Aokigahara-Video von Logan Paul zum Anlass genommen, Reaktionen von Fans auf Skandale ihrer Idole genauer anzuschauen. In der Studie „Follower für immer: Vorangegangenes Engagement sagt die Unterstützung eines Social-Media-Promis nach einem Skandal voraus“ fanden die Wissenschaftler*innen heraus, dass es Fans schwer fällt, „moralische Charaktereinschätzungen zu aktualisieren“, selbst wenn das Idol „extreme Verstöße gegen moralische Normen“ an den Tag legt. Das sei ein Muster, um kognitive Dissonanz zu reduzieren und eine „positive Bewertung des Selbst und des Übertreters der moralischen Grenzen aufrechtzuerhalten.“ Mit kognitiver Dissonanz ist ein als unangenehm empfundener Gefühlszustand gemeint. Der entsteht, wenn man verschiedene Gedanken, Meinungen oder Einstellungen hat, die eigentlich nicht ganz zusammenpassen. Wenn man das Verhalten von Logan Paul in dem Video also moralisch verwerflich findet, gleichzeitig aber eigentlich großer Fan des YouTubers ist. „Menschen nutzen Berühmtheiten oft für den Aufbau ihrer sozialen Identität. Eine Bedrohung des Ansehens einer Person des öffentlichen Lebens kann von den Fans als Bedrohung ihrer eigenen Identität wahrgenommen werden“, erklärt Sozialpsychologin und leitende Autorin der Studie, Simone Schnall, auf der Seite der Cambridge University. Insgesamt unterstützten 77 Prozent der YouTube-Nutzer*innen, die vor dem Skandal Kommentare zu einem Video von Logan Paul hinterlassen haben, ihn auch danach. Nur 16 Prozent äußerten ihre Wut und vier Prozent ihre Abscheu, nachdem Paul den Toten verspottet hatte.

Logan Paul heute

Auch wenn man einen Blick auf Logan Paul im Jahr 2022 wirft, wird deutlich, dass dieser Mann alles andere als gecancelt ist. Seinen YouTube-Kanal haben noch immer 23,6 Millionen Menschen abonniert. Außerdem hat sich Logan Paul wohl ein Beispiel an seinem ehemaligen Wegbegleiter „The Rock“ genommen. Der Schauspieler, auch bekannt als Dwayne Johnson, ist ehemaliger Wrestler und hatte sich verschiedenen Medienberichten zufolge wegen des Skandal-Videos von seinem einstigen Freund Logan Paul distanziert. Letzterer ist heute ebenfalls Wrestler und tritt immer wieder bei Großveranstaltungen der World Wrestling Entertainment Corporation (WWE) auf. Zuletzt sorgte der Influencer auch hier für Schlagzeilen. Bei einer WWE Show sprang er vom obersten Seil des Wrestling-Rings auf einen Tisch und filmte sich dabei.

Laut Business News Network (BNN Bloomberg), einem kanadischen Fernsehsender, der auf Wirtschaftsthemen spezialisiert ist, verdient Logan Paul als Wrestler heute mehr Geld als je zuvor. Allein mit seinem Merchandise habe Logan Paul in den ersten neun Monaten einen Umsatz von 40 Millionen US-Dollar erzielt.

Logan Paul ist der lebende Beweis dafür, dass Cancel Culture nicht existiert und man sich als weißer, reicher Mann scheinbar alles erlauben kann, ohne jemals Konsequenzen zu spüren.

Du bist nicht allein! 

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Psychotherapeutische Beratung (Studentenwerk Würzburg): Austraße 37 Telefonnummer 0931/8005-820; Mail-Adresse: pbs-bamberg@studentenwerk-wuerzburg.de

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Telefonseelsorge (gebührenfrei, 24/7): Telefonnummer 0800 1110111

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