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Von Verjüngung, Dexit und einem Yogamönch – Kleinparteien bei der Europawahl 2024

Von Verjüngung, Dexit und einem Yogamönch – Kleinparteien bei der Europawahl 2024

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  • Bei der Europawahl 2024 treten nicht nur altbekannte Parteien, wie die CDU oder die Grünen, an. Auch Kleinparteien und politische Vereinigungen haben die Chance auf einen Platz im EU-Parlament. Viele dieser Kleinparteien sind eher unbekannt. Unsere Redaktion bringt deshalb Licht ins Dunkel und stellt einige davon vor.

Die Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung

„Wo wollen Sie in 800 Jahren leben?“ – Dieses Wahlplakat hat mich vor einigen Jahren regelrecht angesprungen. Dahinter steht: Die Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung. Was die circa 320 Mitglieder zusammenführt, ist nichts Geringeres als der Traum vom ewigen Leben. Was erst ein bisschen nach Science-Fiction-Roman oder mythischer Erzählung klingt, versucht die Kleinstpartei wissenschaftlich zu erreichen und zu vermitteln. Wenn durch technisch-medizinischen Fortschritt die Lebenserwartung immer wieder „rechtzeitig“ verlängert werden kann, tritt der altersbedingte Tod nie ein – der Fachausdruck dafür ist Longevity escape velocity (auf Deutsch etwa Fluchtgeschwindigkeit der Langlebigkeit). Der Tod wird somit nicht mehr als unvermeidbar angesehen, sondern als das Ergebnis einer Vielzahl von “Alterskrankheiten”, die es ohne das Altern nicht gäbe; womit wir beim zweiten großen Wahlspruch sind: „Altern wird wahrscheinlich bald heilbar“. Damit wären dann natürlich alle Probleme der Welt behoben, ist klar.

Anna Holfeld

Die Heimat

Die Partei “Die Heimat” – besser bekannt als ehemalige NPD – ist eine rechtsextreme und in Teilen neonazistische Kleinpartei. Mit dem Slogan “Deutschland zuerst, EU-Mitgliedschaft adieu!” fordert die Partei in Trump-Manier einen Dexit, also den Ausstieg Deutschlands aus der EU. Aber nicht nur das: In einem rassistischen Wahlwerbespot hetzt die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistische Bestrebung eingestufte Kleinpartei gegen Asylsuchende. Die Organisation Campact hat deshalb eine Petition ins Leben gerufen, die die öffentlich-rechtlichen Sender dazu aufruft, den Spot nicht mehr zu senden. 2019 sind ARD und ZDF bereits erfolgreich gegen eine Wahlwerbung der NPD wegen des volksverhetzenden Inhalts vorgegangen. Laut Zapp habe die ARD auch den diesjährigen Spot vor der Ausstrahlung geprüft. Da er nicht mit der Werbung von 2019 vergleichbar sei, sei man – wie bei jeder anderen Partei – verpflichtet, der Heimat-Partei im Wahlkampf Sendezeit zur Verfügung zu stellen.

Gegen “Die Heimat”, die sich 2023 umbenannt hat, gab es in der Vergangenheit bereits zwei Verbotsverfahren. Das erste wurde 2003 wegen Verfahrensfehlern eingestellt. Aber auch das zweite Verfahren mündete nicht in ein Verbot, da die NPD zwar “ideologisch eindeutig verfassungswidrig”, politisch aber zu unbedeutend sei, um sie verbieten zu können. Bei der Europawahl hat die Partei jedoch durchaus die Chance, einen Sitz im Parlament zu bekommen. Denn eine Fünf-Prozent-Hürde gibt es bei der Europawahl nicht. Für Deutschland sind im Parlament 96 Mandate reserviert. Eine gewisse Hürde gibt es also dennoch. 2019 hatte es aber beispielsweise die ÖDP mit nur 0,6 Prozent der Stimmen ins Parlament geschafft. “Die Heimat” erhielt 0,3 Prozent der Stimmen. Angesichts des aktuellen Rechtsrucks und der inhaltlichen Überschneidungen zur AfD scheint es jedoch nicht ganz abwegig, dass die NPD, jetzt “Die Heimat”, bei der diesjährigen Wahl mehr Stimmen und damit einen Sitz im Parlament erlangen kann.

Svenja Hentschel

dieBasis

Eingetragen ist sie als Basisdemokratische Partei Deutschland, aber Freund*innen nennen sie nur dieBasis. Die Partei entstand erst 2020 als Abspaltung der einfallsreich getauften Kleinstpartei „Widerstand 2020“. Überraschenderweise ging es in erster Linie um eines: Widerstand leisten gegen die Corona-Pandemie, insbesondere die damit verbundene Impfpflicht. In wahrer Querdenker Manier wurde der neue Titel per Telegramm-Umfrage entschieden. Obwohl die Partei 2021 bei mehreren Landtagswahlen antrat, blieb ein Einzug ins Parlament vorerst aus. Trotzdem fand sie schnell Anschluss in der Impfgegner-Szene.

Nun tritt dieBasis zur Europawahl an, mit einem auf vier Säulen basierenden Programm: Freiheit, Machtbegrenzung, Achtsamkeit und Schwarmintelligenz. In weiser Voraussicht darauf, dass bei „Schwarmintelligenz“ nicht jeder ein Bild vor Augen hat, erklärt dieBasis den Begriff zusätzlich: „Oftmals reicht Expertenwissen allein nicht aus, um komplexe, fachübergreifende Themengebiete zu erfassen“, man solle lieber viele verschiedene Perspektiven in Betracht ziehen. Also derbe gesagt: Warum auf die Meinung von Experten hören, wenn man schnell auf Telegram nachfragen kann? Pro Tipp: Wer gerne Mitglieder der Partei außerhalb der Wahlplakate sehen möchte, der kann sich im derzeitigen Gerichtsverfahren gegen die mutmaßlich rechtsterroristische Gruppe „Patriotische Union“ zuschalten. Dort muss sich Johanna Findeisen, ehemalige Bundestagskandidatin für dieBasis, für einen geplanten bewaffneten Angriff auf den Bundestag verantworten. Zusammen mit zwei Dutzend mutmaßlichen Reichsbürgern. Wer hätte das kommen sehen?

Anna Marquardt

Die MENSCHLICHE WELT

Gedankenexperiment: Die Schulglocke klingelt, für das Schulkind ist nach der Matheprüfung, die nicht benotet wird, jetzt Achtsamkeits-Unterricht dran. Der Opa muss nicht auf seinen OP-Termin warten, weil keine OP vorgezogen wird, die mehr Geld einbringt. Die EU-Abgeordnete geht in der Pause zwischen den Sitzungen nicht mal eben eine rauchen, sondern in den Yoga-Kurs. Auf Fleischverpackungen erschrecken dich jetzt gruselige Bilder von misshandelten Tieren in überfüllten Ställen. Das wäre die Welt, wenn die MENSCHLICHE WELT die Welt (oder zumindest Deutschland) regiert.

Was sich anhört wie ein Traum, gar wie eine Utopie, hinter dem verbirgt sich eine Kleinstpartei im wahrsten Sinne des Wortes: Stolze 660 Mitglieder hat die MENSCHLICHE WELT bundesweit nach eigenen Angaben. Gegründet von einem Yogamönch, verfolgt die Partei vor allem zwei Ziele: Ein auf das Wohl aller ausgerichtetes Denken und Handeln von Führungskräften sowie ein Gesellschaftsmodell, das zugleich aus einer spirituellen Lebensweise und einer Gemeinwohlwirtschaft besteht. Aus diesem Zweck hat sich die Partei nicht nur auf die Liste für die Europawahl gesetzt, sondern bietet auch Führungstrainings, kostenlose Meditationen via Zoom und ein Freiwilliges Soziales Jahr an. Eine menschliche Welt, das klingt wirklich zu gut!

Aber ob die Partei 2024 mit diesem Ansatz mehr Leute catchen kann als bei der letzten Europawahl, bei der sie gerundet auf 0,1 Prozent gekommen ist? Ich denke zum Beispiel an die Bauernproteste in vielen europäischen Ländern, und daran, dass diese wütenden Menschen nichtmals grüne Anzugträger ernst nehmen können, und tippe auf nein. Wie wäre es, wenn die Spitzen der etablierten Parteien einfach mal an einem meditativen Führungsworkshop teilnehmen würden? Vielleicht hätte Fridays For Future dann weniger Arbeit und die MENSCHLICHE WELT ihre wahre Aufgabe gefunden.

Josefa Reineke

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