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Wie iranische Stimmen endlich Gehör finden
Dunkel Hell

Wie iranische Stimmen endlich Gehör finden

Zwischen Wut, Angst und Mut – Natalie Amiri und Düzen Tekkal geben in ihrem Buch „Wir haben keine Angst!“ 15 mutigen Iranerinnen den Raum, ihre Geschichten zu erzählen – aus dem Exil, Hafturlaub oder Gefängnis. Eine Rezension.

Dieser Artikel ist Teil der Reihe „Wutentbrannt – FLINTA zwischen Ärger und Antrieb”, in der wir Wut und die unterschiedliche Wahrnehmung von Wut bei Frauen*, Lesben und intersexuellen, nicht binären, trans und agender Personen (FLINTA*) im Vergleich zu cis Männern beleuchten.

„Ich wache jeden Morgen mit dieser Wut, diesem Schmerz in meinem Körper auf. Dieser Schmerz bringt mich dazu, aufzustehen“, schreibt die iranische Fotografin Ghazal Abdollahi im Buch „Wir haben keine Angst!“. Sie ist eine der mutigen Frauen Irans, die die Autorinnen Natalie Amiri und Düzen Tekkal in ihrem neuen Buch – erschienen im März 2023 im Elisabeth Sandmann Verlag – zu Wort kommen lassen – und die die Wut als treibende Kraft hinter ihrem Aktivismus für einen freien Iran beschreiben.

Denn seit dem gewaltsamen Tod der iranischen Kurdin Jîna Masha Amini durch die sogenannte Sittenpolizei im September 2022 gehen die Menschen auf die Straße, um gegen das iranische Regime zu protestieren. Sie rufen „Jin, Jîyan, Azadî“, auf Deutsch „Frau, Leben, Freiheit“. Den Spruch gibt es in der kurdisch-feministischen Bewegung schon länger. Neu ist nun, dass ihn breite Bevölkerungsschichten rufen – und damit eine Revolution einläuten.

Das neue Buch von Natalie Amiri und Düzen Tekkal: Die mutigen Frauen des Irans. Wir haben keine Angst! Foto: Lea Hruschka

Natalie Amiri und Düzen Tekkal fangen die Stimmen ein, die so vieles zu erzählen haben und dennoch zu selten Gehör finden. Ghazal Abdollahi etwa flüchtete Ende 2022 nach Deutschland. Ihr Mutter aber ist im Iran, gefangen im Evin-Gefängnis am Stadtrand Teherans. Die Rechtsanwältin Nasrin Sotoudeh sitzt selbst seit 2018 im für Folter berüchtigten Gefängnis. Ihren Hafturlaub – eine Ausnahme, die sie nicht einmal zur Trauerfeier ihres Vaters bekommen hat – nutzte Sotoudeh für ein Gespräch mit der Autorin Amiri, obwohl sie eigentlich nicht reden darf. Narges Mohammadi, eine Journalistin und Menschenrechtsaktivistin, schrieb ihren Text im Evin-Gefängnis und schmuggelte ihn heraus. Diese Geschichten zu lesen, lässt einen nicht nur ungläubig über die Brutalität des iranischen Regimes zurück. Es lässt einen vielmehr staunen über den unbändigen Mut, den die Frauen beweisen. Jede einzelne der 15 Iranerinnen ist ein Vorbild im Kampf um Demokratie und Freiheit – und gibt so viel Mut und Zuversicht.

Von Kurdinnen und Belutschinnen

Das Buch macht mit seinen vielfältigen Geschichten deutlich, dass die iranischen Frauen nicht nur wegen ihres Geschlechts unterdrückt werden. Es ist komplexer. „Als kurdische Frau muss man gegenüber so vielen Unterdrückungen stark sein, sonst verliert man“, berichtet eine anonyme Jura-Studentin von der doppelten Diskriminierung, die sie im Iran erlebt: einmal als Frau, einmal als Kurdin. Fariba Balouch erzählt von ihrem Leben als Belutschin. „Wir erhalten keine Geburtsurkunde, keinen Personalausweis.“ So soll die Volksgruppe der Belutsch*innen, die ihre Heimat seit 100 Jahren im Iran, in Pakistan und Afghanistan hat, ohne Identität leben. Balouch stellt sich der Unterdrückung als Menschenrechtsaktivistin für Frauenrechte entgegen. Damit machen die Autorinnen eindrucksvoll die Diversität der iranischen Gesellschaft deutlich. Durch die persönlichen Geschichten lernt der*die Leser*in beinahe nebenbei viel über das Land und seine reiche Geschichte. Etwa, dass Menschenrechte schon Teil der persischen Kultur waren (Die erste Menschenrechtscharta der Welt verfasste ein altpersischer König im Jahr 539 v. Chr.).

Natalie Amiri (links) und Düzen Tekkal (rechts) sagen: „Regime profitieren immer von den Geschichten, die nicht erzählt werden.“ Ihr Buch fasst deshalb die Geschichten von 15 iranischen Frauen. © Markus C. Hurek/Elisabeth Sandmann Verlag

Natalie Amiri und Düzen Tekkal zeigen: Die Iranerinnen sind keine passiven Opfer eines brutalen Regimes. Sie treiben den Iran aktiv in eine neue, freie Ära.Die Künstlerin Parastou Forouhar etwa versucht mit ihren Zeichnungen und Fotografien, das Gedenken an ihre Eltern hochzuhalten, die das iranische Regime aus politischen Gründen ermordet hat – und deren Schicksal „keineswegs eine Ausnahme“ sei, wie sie schreibt. Die Wut könne einen in solchen Momenten auch auffressen und Rachegefühle hervorrufen, warnt Forouhar. „Vor diesen muss man sich, glaube ich, unbedingt schützen“, reflektiert sie.

Die Iranerinnen sind keine passiven Opfer eines brutalen Regimes.

Wut auf den Westen

„Wir haben keine Angst!“ erzählt aber nicht nur von der Wut auf das iranische Regime. Nargess Eskandari-Grünberg, die in Teheran geborene Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt am Main, erzählt auch von der Wut über die Untätigkeit des Westens. Die Pasdaran, die iranische Revolutionsgarde, sollte als das eingestuft werden, was es ist: eine Terrorgruppe. Doch das Europäische Parlament blieb tatenlos und argumentierte, es müsse ein Gericht geben, das darüber entscheidet. „Ich war enorm enttäuscht“, schreibt Eskandari-Grünberg und bringt das Plädoyer, das im gesamten Buch zwischen den Zeilen zu lesen ist, auf den Punkt: „Die Menschen im Iran müssen wissen, dass wir uns gegenseitig stärken können. Wir sind hier für sie. Ob es schneit, ob die Sonne scheint, wir gehen auf die Straße, in Paris, in Frankfurt, in Toronto, egal wo.“

Bildnachweis: ©Suhrkamp Verlag

Info:
Das Buch „Wir haben keine Angst! Die mutigen Frauen des Irans“ könnt ihr kostenlos in der Bamberger Bibliothek ausleihen.