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Japanische Gewässer – extended Version

Japanische Gewässer – extended Version

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  • Ein Land, ein Mann und eine große Welle: Was sie verbindet? Eine Nacherzählung darüber, wie der Japonismus nach Europa schwappte.

Groß und bedrohlich bauen sich die Wassermassen über schmalen Fischerbooten auf. Wie züngelnde Flammen machen sich die hellen Schaumkronen bereit, um die hölzernen Boote mit ihren Insassen zu verschlingen. Eine weltweit bekannte Szenerie. Es ist fast unmöglich, ihr im Alltag zu entfliehen, denn es gibt sie nicht nur als Emoji und als Lego-Set, sondern auch in jeder anderen vorstellbaren Form von Merchandise: Die große Welle vor Kanagawa. Woher kommt die Faszination für diesen japanischen Holzdruck? Ein Rückblick auf die Geschichte Japans soll Aufschluss geben.

Die Isolation eines Landes

Die Geschichte Japans ist eine Außergewöhnliche. Aus dem Wunsch nach Unabhängigkeit wurden Ausgrenzung, Abschiebung und schließlich Isolation. Das Land schottete sich über 200 Jahre lang von der Außenwelt ab – heute unvorstellbar.

Nach langer Zeit unter monarchischer Herrschaft kam es in Japan zwischen dem 9. und 12. Jahrhundert zur Bildung der Samurai. Krieger*innen des Landadels schlossen sich zusammen, um für die Einhaltung der kaiserlichen Regeln im Land zu sorgen. Im Lauf der Zeit gewannen die Samurai immer mehr Macht, bis sie einflussreicher als der Kaiser waren. Unter der Herrschaft der Samurai wurde der Regierungssitz nach Edo (heutiges Tokio) verlegt. Um sich vor äußeren Einflüssen zu schützen, vor allem vor den Gedanken des christlichen Glaubens, schottete sich das Land ab 1630 von der Außenwelt ab. Die katholische Religion wurde verboten und das Ein-und Ausreisen wurde mit dem Tode bestraft. Die einzigen Ausnahmen galten für den Handel mit China und Holland über eine kleine Insel im Hafen von Nagasaki.

Erst 1853 öffnete sich der Inselstaat unter dem Druck der USA wieder zum Austausch. Nach der Öffnung wurden Japaner*innen nach Europa geschickt, um sich ein Bild von der Welt zu verschaffen. Zeitgleich wuchs das europäische Interesse für die japanische Kunst und Kultur. Durch die japanische Affinität für die preußische Verfassung kam es zu einem engen Verhältnis mit Berlin. Die japanischen Universitäten tauschten sich mit den Deutschen aus und vor allem die Impressionisten und Künstler*innen des Bauhauses waren fasziniert von der japanischen Kunst. Schon bei einigen Kunstwerken ab 1860 ist es möglich, den japanischen Einfluss zu erkennen. Vor allem bekannte Künstler wie Van Gogh, Kandinsky und Mies van der Rohe ließen sich stark beeinflussen. 1862 nahm Japan zum ersten Mal an der Weltausstellung in London teil und präsentierte sich zum ersten Mal seit der Isolation dem Rest der Welt. Japonismus wurde zum Trend.

Hokusais große Welle

Der Künstler Katsushika Hokusai wurde im Jahr 1760 in Edo geboren, inmitten der japanischen Isolation. Durch seine erste Anstellung in einer Buchhandlung entwickelte er eine Passion für Illustrationen und das Malen. Um 1778 fing Hokusai an, in Katsukawa Shunshōs Atelier zu arbeiten. 1830/32 schnitzte er die Originalplatten des berühmten Kunstwerks “Die große Welle vor Kanagawa”, als Teil einer Sammlung von Farbholzschnitten mit dem Titel „Die 36 Ansichten des Berges Fuji“. Der Holzschnitt gehört zu den sogenannten Ukiyo-E, wobei für jede verwendete Farbe eine individuelle Holzplatte benötigt wird. Die Holzplatten können mehrfach verwendet werden, weshalb unklar ist, wie viele Drucke es von der Welle gibt. Schätzungen liegen zwischen 5000 und 8000 Stück.

Obwohl heutzutage eigentlich jede*r sein Werk kennt, war Hokusai zu Lebzeiten alles andere als berühmt. Der Künstler wechselte während seines Lebens nicht nur häufiger den Wohnort, sondern auch seinen Namen. Dies führte zu einigen Uneinigkeiten in der Rezeption von Hokusais Werk und Leben. Viele seiner Kunstwerke sind heute nicht mehr erhalten, da sein Haus gegen Ende seiner Lebzeiten niederbrannte.

Hokusais Bild: Die große Welle von Kanagawa
Foto: United Archives International / IMAGO

Die Welle überrollt Europa

Europas Japanbegeisterung sorgte dafür, dass japanische Kunstwerke in Europa verbreitet wurden. Die europäischen Künstler*innen unter anderem die Vertreter des Bauhauses, ließen sich davon beeinflussen. Aber nicht nur die Vertreter*innen der bildenden Kunst waren für Japan zu begeistern. Rainer Maria Rilkes Gedicht „Der Berg“ (1906/07) ist wohl von Hokusais Abbildung inspiriert.

Das Werk ist auch ein Zeitzeuge für den Austausch zwischen den Niederlanden und Japan. Denn Hokusai verwendet für die große Welle Preußisch Blau, welches um 1706 in Deutschland entdeckt wurde. 1829 kam es über den Handel mit Holland nach Japan. Vor Ort hatten die Künstler*innen bisher mit Indigo gearbeitet, welches weniger kräftig ist als Preußisch Blau.

Wahrscheinlich steuert auch die Reichhaltigkeit an Kontrasten in dem Werk zur Faszination bei. Auf der einen Seite ist das Werk geradezu aufgeladen mit Dynamik durch die detaillierte Darstellung der großen Welle. Auch die kontrastreiche Verwendung der Farben lässt das Werk dynamischer wirken. Zum anderen hat der Künstler den statischen Berg Fuji im Hintergrund platziert. Er strahlt Ruhe aus. 

In dem Buch “Hokusai” herausgegeben von Matthi Forrer wird die These aufgestellt, dass das Kunstwerk in Japan selbst, im Gegensatz zur positiven Rezeption der Europäer, eher negativ aufgenommen wurde. Dies wird damit begründet, dass die große Welle von links auf die Fischerboote zukommt. Der Lesefluss des Werkes ist also hier von links nach rechts, was untypisch in Japan ist.

Ein Stück Japan jetzt auch in Bayern

Mit großen Wellen kennt man sich in München aus. Egal ob Sommer oder Winter, wenn man an der Eisbachwelle vorbeispaziert, ist immer jemand am Surfen. Jetzt bekommt sie Konkurrenz. Die Bayerische Staatsbibliothek hat im letzten Jahr einen von Hokusais originalen Drucken erworben. Eine Summe im siebenstelligen Bereich mussten sie bezahlen, um „Unter der Welle im Meer vor Kanagawa“ (1760-1849) in ihre Sammlung aufzunehmen. Die Staatsbibliothek konnte den Farbholzschnitt aus einer Privatsammlung ankaufen. Kunsttechnologische Untersuchungen der Bayerischen Staatsbibliothek am Werk konnten belegen, dass es sich hierbei um einen frühen Druck aus den Jahren 1830-32 handelt. Etwas müssen sich die Fans der großen Welle allerdings noch gedulden, denn der Druck soll der Höhepunkt einer bereits geplanten Ausstellung im Jahr 2025 werden.

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