Du liest gerade
Auf der Suche nach dem Heimathafen

Auf der Suche nach dem Heimathafen

Avatar-Foto
  • Zwischen neuen Erfahrungen, alten Heimatgefühlen und ganz viel FOMO. Ein Essay über die Gedanken und Emotionen auf der Suche nach dem Anker im Leben und der Frage: ,,Wo bin ich Zuhause?”.

Die Feiertage sind um und ich sitze am Schreibtisch meiner Kindheit, hinter mir der offene und durchwühlte Koffer, neben mir meine Katze in meinem 90 cm Bett. Und ich frage mich: „Ist das noch mein Zuhause? Und wenn nicht hier, wo bin ich dann Zuhause?”. Nicht viel hat sich in meinem Zimmer verändert, seit ich vor rund drei Jahren ausgezogen bin, und trotzdem ist alles anders. Nach dem Abitur bin ich für 9 Monate ins Ausland und dann direkt im Anschluss in eine andere Stadt zum Studieren gezogen. Bamberg wurde mein neues Zuhause. Doch wenn ich in Bamberg bin und mal wieder nach Frankfurt fahre, sage ich meistens zu meinen Freund*innen: „Ich fahre übers Wochenende nach Hause.“ Irgendwie ist das kompliziert mit dem „zuhause sein“. Der Duden definiert Zuhause als die Wohnung, in der man wohnt (und sich wohlfühlt). Laut dieser Definition bin ich in Bamberg zuhause, auf dem Papier ist mein Zuhause aber immer noch Frankfurt. Also, eine klare Antwort bekomme ich dadurch nicht. Vielleicht bekommt man sie auch nicht, vielleicht braucht es sie auch nicht, aber trotzdem kreisen die Gedanken in meinem Kopf. Mit diesen Bedenken bin ich nicht allein. Laut dem Statistischen Bundesamt ziehen Kinder in Deutschland mit rund 23 Jahren von Zuhause aus. Dann ist erstmal alles neu und aufregend. Man denkt nicht mehr an sein altes Zuhause. Doch in Momenten der Einsamkeit und Verzweiflung wäre eine warme Umarmung von seiner Mama das, was man bräuchte. Sie ist aber leider 3 Stunden weg. Zu dem eigenen Gedankenchaos, gesellt sich der Druck, es allen gerecht machen zu müssen. Den eigenen Ansprüchen gerecht werden. Ich möchte für meine Freund*innen da sein, meine Oma anrufen, meine Eltern stolz machen, mein Studium erfolgreich durchziehen, nebenbei noch arbeiten, ein Praktikum wieder in einer anderen Stadt -für die Karrierefrau in mir – und mich aber nicht in allem verlieren.

Und selbst wenn ich Bamberg als mein Zuhause definiere, warum habe ich dann eine dauerhafte FOMO (Fear of missing out) bezüglich meiner Heimat? Durch mein Leben in Bamberg verpasse ich die jährlichen Dorffeste, Geburtstage von alten Freund*innen oder frage mich, worum es jetzt schon wieder in der Familien-WhatsApp-Gruppe geht. Wenn ich dann mal Zuhause bin, fühle ich mich wie ein Gast, der übers Wochenende zu Besuch ist. So viele Dinge habe ich nicht mitbekommen. Ich treffe mich mit Freund*innen aus der Kindheit, probiere jeden zu sehen, um sich ein Update zu geben und über alte Zeiten zu reden. Dann heißt es nach drei Tagen wieder alles in den Koffer packen und drei Stunden im überfüllten Zug nach Bamberg fahren. Manchmal habe ich das Gefühl, ich lebe auf gepackten Koffern. Das macht das Ankommen schwierig.

Heimat, das ist das Wort, was es noch braucht. Heimat ist der Ort, an dem man geboren und aufgewachsen ist. Oft verwende ich die zwei Begriffe Heimat und Zuhause als Synonym. Schaut man sich die Definitionen jedoch genauer an, bekommt man eine Antwort auf die Frage vom Anfang: „Wo bin ich Zuhause?“. Zu Hause ist da, wo ich aktuell bin, mein Lebensmittelpunkt. Ein Zuhause kann sich ändern. Freunde kommen und gehen. Erfahrungen kommen dazu. Heimat bleibt für immer der Ort mit den schönen Erinnerungen aus der Kindheit, dem Weg zum Erwachsenwerden. Heimat ist der Ort, an den man zurückkommt, wenn alles mal zu viel wird.

Aber trotz aller Schwierigkeiten bin ich gerne ausgezogen und weiter weg von daheim. Es hat mich reifer, selbständiger und erfahrener gemacht. Ich mag die Person, die ich bin, und die wäre ich nicht geworden, wenn ich in meiner Heimat geblieben wäre. Mein Zuhause wird sich bestimmt noch ein paar Mal ändern, bis es zur Heimat für meine späteren Kinder wird.

Kommentare anzeigen (0)

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.