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“Was nützen uns niedrige Schuldenstände, wenn unsere eigene Zukunft nicht gesichert ist?”

“Was nützen uns niedrige Schuldenstände, wenn unsere eigene Zukunft nicht gesichert ist?”

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  • Carolina Ortega Guttack von Fiscal Future im Gespräch über Generationengerechtigkeit und Staatsschulden.

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Der Bund darf Gelder, die eigentlich für die Bekämpfung der Corona-Krise gedacht waren, nicht wie geplant umschichten und in den Klimaschutz investieren. Konsequenzen hat das unter anderem für den Klima- und Transformations-Fonds und den Wirtschaftsstabilisierungs-Fonds. Nun ist die Schuldenbremse auch 2023 wieder ausgesetzt, um bereits getätigte Staatsausgaben im Nachhinein rechtlich abzusichern. Im nächsten Jahr soll aber gespart werden, um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und gleichzeitig auch die Schuldenbremse wieder einzuhalten.

Warum geht mich als Student*in die aktuelle Debatte rund um Schuldenbremse und Bundeshaushalt überhaupt etwas an?

Ich würde das ganze sogar auf das Thema Finanzpolitik ausweiten. Also auf all das, was mit dem Geld des Staates zu tun hat. Staatshaushalt, Rente, Steuern, Staatsschulden sind allerdings alles Begriffe, die für Menschen ohne ökonomischen Hintergrund oft sehr abstrakt wirken. Gleichzeitig sind das aber wichtige Aspekte, auch für unser gesellschaftliches Zusammenleben. Denn Finanzpolitik bringt eigentlich alle relevanten Bereiche wie Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit, Bildung, Digitalisierung etc. zusammen. Das sind Themen, bei denen wir ohne Geld nicht weiterkommen. Die Schuldenbremse ist dabei ein Instrument, um die Schulden, die ein Staat aufnimmt, man könnte auch sagen, Kredite des Staates zu begrenzen, um Ausgaben zu tätigen. Gerechtfertigt wird das unter anderem mit der Annahme, dass Politiker*innen in der Regel zu viel Geld für eigene Projekte ausgeben, um wiedergewählt zu werden. Und damit das nicht ausufert, braucht es eine Art der Begrenzung von Schulden. Das Problem ist allerdings, dass in viele wichtige Dinge, die keine starke Lobby haben, nicht genug investiert wird. Eine Schuldenbremse führt also nicht automatisch zu einer guten Haushaltspolitik, welche natürlich daran zu messen ist, ob sie den gesellschaftlichen Herausforderungen von heute und morgen gerecht wird.

Was besagt die gesetzliche Schuldenbremse?

„Die Schuldenbremse sieht vor, dass die Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen sind. Diese Regelung ist in Artikel 109 Grundgesetz verankert. (…) Die maximal zulässige strukturelle Nettokreditaufnahme ist auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes begrenzt. (…) Eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder andere außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, sichert die notwendige Handlungsfähigkeit des Bundes zur Krisenbewältigung. Gleichzeitig muss ein Tilgungsplan beschlossen werden, der eine Rückführung der ausnahmsweisen bewilligten Kreditaufnahme in angemessener Zeit vorsieht.“

Quelle: Bundesfinanzministerium

Kommen wir zur aktuellen Lage. Um nachträglich bereits geleistete Zahlungen rechtlich abzusichern, wird die Schuldenbremse 2023 doch ausgesetzt. Wie bewertet ihr diese Entscheidung?

Dass die bereits getätigten Ausgaben im Nachhinein rechtlich abgesichert werden, ist natürlich eine gute Entscheidung. Ökonomisch betrachtet macht diese rechtliche Legitimation allerdings keinen Unterschied. Durch die Aussetzung der Schuldenbremse für 2023 würden wir rückwirkend leider keinen einzigen Cent an zum Beispiel Klimainvestitionen dazugewinnen. Und das ist für uns immer die Linse, durch die wir auf ökonomische Entscheidungen blicken. Viel wichtiger ist für uns jetzt, was 2024 passieren wird.

2024 soll die Schuldenbremse wieder eingehalten werden.

Die Grünen haben sich immer wieder für eine Reform der Schuldenbremse ausgesprochen. Auch die SPD fordert seit ihrem letzten Bundesparteitag eine Reform und hat sogar einen Beschluss gefasst, dass starre Schuldenregeln nicht in die Verfassung gehören. Trotzdem plant die Ampel, die Schuldenbremse 2024 wieder einzuhalten. Dazu muss man sagen, dass sich die Ampel die Möglichkeit offen hält, im Laufe des Jahres 2024 doch eine Notlage auszurufen, um z.B. Mehrkosten für das Ahrtal oder die Ukraine zu stemmen. Und die FDP musste bei einer ihrer Leitlinien, keine Abschaffung klimaschädlicher Subventionen, Abstriche machen, genauer bei der Kerosin-Vergünstigung von innerdeutschen Flügen. Damit spart die Ampel ca. 3 Mrd. Euro. Dennoch ist klar, dass diese “Wieder-Einhaltung der Schuldenbremse” auf Kosten des gesellschaftlichen Zusammenhalts geht. Die Kürzungen aus dem Sparhaushalt treffen vor allem diejenigen, die ohnehin bereits stark betroffen sind. So wird beispielsweise das Klimageld, also den Umverteilungsmechanismus für den CO2-Preis, beerdigt und die Gaspreisbremsen laufen Ende 2023 aus. Auch Klimainvestitionen und weitere Zukunftsinvestitionen bleiben auf der Strecke, Investitionsbedarfe werden nicht gedeckt. 

Wenn die Ampel bei ihrer Entscheidung bleibt, was sich, wie gesagt, erst im Laufe des Jahres 2024 zeigen wird, wäre es das erste Mal nach vier Jahren der Aussetzung – wobei sich die Krisen weiterhin verschärfen und die Herausforderungen nicht weniger werden. Und auch  wenn eine Aussetzung in 2024 richtig wäre, kann ein jährlich zu wiederholender Kampf um die Aussetzung der Schuldenbremse keine nachhaltige Lösung sein. Es braucht ein langfristiges Signal, dass der Staat die Herausforderungen erkannt hat und die zu ihrer Bewältigung notwendigen Summen in die Hand nimmt. Ökologisch und gesellschaftlich betrachtet sind wir sowieso schon in einer Dauerkrise.

Die deutlich relevanteren und dringenden Debatten um eine grundsätzliche Reform der Schuldenbremse werden nun weiter in die Zukunft verschoben.

Oft wird beim Einhalten der Schuldenbremse aber auf Generationengerechtigkeit verwiesen. Heute lieber etwas sparsamer sein, damit wir den zukünftigen Generationen nicht übermäßig viele Schulden hinterlassen. Ist da was dran?

Diese Argumentation der Generationengerechtigkeit ist ein sehr eng gefasstes Verständnis von finanzieller Nachhaltigkeit, welches die realen Bedürfnisse, Ressourcen und Kosten nicht berücksichtigt, die auf uns zukommen werden, wenn wir nicht in unsere Zukunft investieren. Schulden und Investitionen sind im Grunde zwei Seiten der gleichen Medaille. Es ist klar, dass man für hohe Investitionen auch hohe Schulden braucht. Was wir jetzt sehen, sind Investitionslücken im Gesundheits- und Bildungssystem, bei der Deutschen Bahn, beim Klimaschutz. Hinzu kommen weiterhin eine steigende Ungleichheit und Bedrohung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Das sind alles Auswirkungen einer Politik, die nicht genug investiert hat. The cost of inaction is the highest. Das stimmt nicht nur aus einer ökologischen und sozialen, sondern gerade auch aus einer ökonomischen Perspektive.

Und was nützen uns niedrige Schuldenstände in der Zukunft, wenn unsere eigene Zukunft nicht gesichert ist? Investitionen in sinnvollen und sozial gerechten Klimaschutz werden sich auf jeden Fall auszahlen. Das wäre dann eine tatsächliche und umfangreiche Form von Generationengerechtigkeit, der man nachgehen könnte. Um nochmal zurück zum Bundesverfassungsgericht zu kommen, genau dafür hat es sich mit dem Urteil zum Klimaschutzgesetz aus 2021 auch schon entschieden: Die Freiheit zukünftiger Generationen muss bereits heute berücksichtigt und gewährleistet werden.

Aber müssen Staatsschulden in Zukunft nicht irgendwann zurückgezahlt werden? Wir als Privatpersonen müssen das ja auch.

Grundsätzlich ja. Aber eben nicht so, wie man sich das bei einer privaten Person vorstellt. Es ist der größte Fehler, den Staatshaushalt mit einem privaten Haushalt gleichzustellen. Ich als Privatperson gehe zur Bank und nehme einen Kredit auf. Diesen muss ich dann bis zu einem gewissen Stichtag, meistens in Raten, abbezahlen. Der Staat hingegen verschuldet sich, indem er Staatsanleihen ausgibt, die von einem ausgewählten Kreis an Geschäftsbanken gekauft werden. Wenn ich als Finanzministerin beispielsweise eine Milliarde mehr in Klimaschutz investieren will und dafür Schulden aufnehmen muss, würde ich eine Staatsanleihe mit genau diesem Wert ausgeben. Diese Staatsanleihe hat eine bestimmte Laufzeit, zum Beispiel zehn Jahre. Das bedeutet allerdings nicht, dass ich diese eine Milliarde woanders einsparen muss, um sie in zehn Jahren für die Tilgung der Staatsanleihe wieder auszugeben. Der Staat kann tatsächlich nach diesen zehn Jahren einfach eine neue Staatsanleihe ausgeben, um die Ablaufende zu finanzieren. Diesen Prozess nennt man „überwälzen“. Alte Schulden mit neuen Schulden zu finanzieren, hört sich erstmal kritisch an. Für den Staat ist das aber überhaupt kein Problem, weil es keinen Stichtag gibt, an dem er schuldenfrei sein muss.

Braucht es denn gar keinen finanziellen Rahmen, eine Art Limit, mit dem ein Staat seine Ausgaben tätigt?

Natürlich braucht es so etwas. Es ergibt allerdings keinen Sinn, sich an absoluten Schuldenständen zu orientieren. Wichtig ist der Bezug zu realen Ressourcen und Herausforderungen. Aktuell werden Staatsschulden oft in Relation zum BIP betrachtet, welches jedoch eine sehr schwierige Kennzahl ist, um das gesellschaftliche Wohlergehen zu messen. Vielmehr muss man auf die realen Grenzen der Staatsverschuldung schauen. Und das sind unter anderem ökonomische Grenzen, also wie viel Luft nach oben haben wir noch bis zur Vollauslastung der Wirtschaft, wie ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt und so weiter. Dazu kommen soziale und ökologische Grenzen.

Angenommen, die gesetzliche Schuldenbremse ist abgeschafft. Wieviel mehr Geld müsste der Staat denn ausgeben?

Wie viel Geld man ausgeben müsste, ist sehr schwer zu sagen, da das zunächst mit qualitativen Faktoren gemessen werden müsste. Also sind die Menschen zufrieden, fühlen sie sich sicher, haben ihre Kinder eine lebenswerte Zukunft? Und dann gibt es Studien, die den Investitionsbedarf in diesen Bereichen bemessen. Eine besagt zum Beispiel, dass wir 460 Milliarden Euro für den Umbau unserer Wirtschaft und das Erreichen der Klimaziele bis 2030 brauchen.

Die primäre Frage ist aber vor allem nicht wie viel, sondern wofür wir mehr Geld ausgeben. Denn wenn man über Klimaneutralität spricht, muss gleichzeitig auch an die soziale Daseinsvorsorge gedacht werden. Dafür brauchen wir einen Staat, der sich am tatsächlichen Wohle der Gesellschaft orientiert und nicht an Lobbyisten*innen oder kurzfristigen “Erfolgen”. Finanz- und wirtschaftspolitische Bildung der Gesellschaft und vor allem junger Menschen ist dahingehend gerade wichtiger denn je und genau dafür setzen wir uns bei Fiscal Future ein.

Also weniger starre Zahlen, sondern die realen Tatsachen betrachten?

Richtig.

Vielen Dank!

FiscalFuture ist eine überparteiliche und gemeinnützige Initiative, die sich für eine zukunftsfähige Finanzpolitik einsetzt. Wir machen Finanzpolitik zugänglich, indem wir finanzpolitisches Wissen vermitteln und junge Menschen dafür begeistern, den finanzpolitischen Diskurs mitzugestalten. Unser deutschlandweites Netzwerk engagiert sich für eine Finanzpolitik, die die Interessen zukünftiger Generationen in den Mittelpunkt stellt.

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