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Mauer im Kopf

Mauer im Kopf

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  • Ein Kommentar zu 30 Jahren Mauerfall

Keiner hatte die Absicht, diese Mauer zu bauen, doch 28 Jahre lang stand sie da. Mitten in Deutschland, mitten durch Deutschland. Ob als Mauer oder Zaun, sie teilte nicht nur die Nation, sondern vor allem ihre Menschen. Heute ist sie seit genau drei Jahrzehnten Geschichte. Der Mauerfall am 09. November 1989 veränderte Deutschland. Das geteilte Land war wieder zu einem geworden. Die Freude war groß, die Hoffnung stieg ins Unermessliche. Vor allem die im Osten.

Die Hoffnung im Osten stieg ins Unermessliche.

30 Jahre später sieht das ganz anders aus. Resignation, Enttäuschung und Ärger beherrschen öffentliche Debatten, beherrschen die Politik, beherrschen Wahlergebnisse. Im Herbst diesen Jahres wurde in drei Bundesländern im Gebiet der ehemaligen DDR gewählt. Brandenburg, Sachsen, Thüringen.

Selten wartete das Land so gespannt auf die Ergebnisse von Landtagswahlen. Alle drei waren niederschmetternd. Ein Faustschlag ins Gesicht der Demokratie: 23,5%, 27,5% und 23,4% für die AfD. Jeweils knapp ein Viertel aller Stimmen für eine offen rechtspopulistische, zu Teilen offen rechtsradikale Partei. Gewählt vor allem auch von jungen Menschen. Der Osten hat gewählt und der Westen fasst sich mal wieder an den Kopf: „Was ist denn los mit diesen Ossis, die waren schon immer extrem, der Osten ist undankbar und sowieso sind das da drüben alles Nazis.“ Kommentare, wie der von Christian Bangel veröffentlicht auf ZEIT-Online, helfen da nicht weiter. Man müsse laut Bangel ja froh sein, dass die AfD in keinem der Ostländer die Wahl gewonnen habe. Doch wenn wir so denken, wo kommen wir dann hin?

Das einzige, was wir jetzt tun können, ist unsere Einstellung zu ändern. Denkweisen zu verwerfen, Verhaltensweisen zu verbessern, Einsicht und Verständnis zeigen. Denn wo die Mauer noch immer steht, ist in unseren Köpfen. Und das darf nicht so bleiben. Das hätte niemals so kommen dürfen. Denn nach der Wende war es nicht nur die Aufgabe der „Ossis“, sich einzugliedern. Doch genau das wurde erwartet und wird es immer noch. Das kann nicht sein. Darf nicht sein.

Die Mauer steht noch in den Köpfen.

Ich habe im Jahr 2017 in Baden-Württemberg Abitur gemacht. Über die DDR habe ich im Geschichtsunterricht kaum etwas erfahren. Über den Mauerfall noch weniger. Über die Wende und Zeit danach gar nichts. Nach 1989 war Schluss. Natürlich war ich schon in Berlin. Natürlich habe auch ich schon den Checkpoint Charlie besucht und hab mich vor der East-Side-Gallery ablichten lassen. Doch so richtig im Osten war ich noch nie. Und so richtig mit ihm beschäftigt habe ich mich auch erst nach den jüngsten Wahlergebnissen. Zehn Jahre nach der Wende geboren, war das für mich ganz weit weg. Doch es ist nicht weit weg.

Verglichen mit dem Westen Deutschlands schneidet der Osten immer noch und immer wieder schlecht ab. Höheres Armutsrisiko, höhere Arbeitslosigkeit, hohe Abwanderungsraten, selbst eine geringere Lebenserwartung hat man im Osten. Und wenn man diese Gefälle sieht, dann ist es klar, warum auch weiterhin noch von Ost und West die Rede sein muss. Denn im Vergleich gibt es die beiden Teile leider eben noch deutlich erkennbar. Viel zu deutlich erkennbar.

Es wird ebenfalls klar, dass der Westen Deutschlands seiner Verantwortung dem Osten gegenüber nie gerecht wurde und enttäuscht hat. Denn bevor nach jeder Wahl, nach jeder Pegida- oder Legida- Demonstration auf den Osten gezeigt wird; bevor man die Schuld immer genau dort sucht, bevor man all dies tut, sollte man sich als „Wessi“ erstmal an die eigene Nase fassen. Denn eine Wiedervereinigung ist keine einseitige Aufgabe. Eine Vereinigung erfordert zwei Partien. Und auch deren Engagement. Eine Wiedervereinigung ist keine Assimilation eines Beteiligten.

Natürlich wurde der Soli gezahlt, na klar hat man den Osten finanziell unterstützt. Mit Milliarden aus dem Westen. Doch was zu oft auf der Strecke blieb und auch weiterhin bleibt ist der Austausch, die Beschäftigung mit dem Osten. Mit seiner, mit unserer Geschichte. Mit seinen Menschen und mit seinen Problemen, die weit vielschichtiger sind als sie wirken. Wer die Wende miterlebt hat, musste das irgendwann mal in irgendeiner Weise tun. Doch es scheint, als sei die Freude über ein geeintes Deutschland schnell dem Ärger über den Osten gewichen. Wer nach der Wende im Westen geboren ist, hat generell wenig davon mitbekommen, bis die Menschen bei Pegida auf die Straße gingen.

Die Wende ist nicht ganz weit weg.

Eine „Angleichung der Lebensverhältnisse“ versprach Helmut Kohl einst. Im Grundgesetz wurde das zu einer Schaffung von „gleichwertigen Lebensverhältnissen“. Die Realität ist wohl eher eine schleichende Annäherung. Und das ist auch das Stichwort. Annäherung. Wir müssen uns nicht wie nach dem Mauerfall heulend in den Armen liegen. Doch wir sollten uns klar über unsere Geschichte werden. Uns damit beschäftigen, warum Dinge im Osten so sind, wie sie sind. Warum Menschen dort teilweise so denken, wie sie es tun. Warum so gewählt wird, wie es die Bürger-innen getan haben. Und warum wir dreißig Jahre nach der deutschen Einheit immer noch eine Mauer haben. Diese Mauer steht nicht quer durch Berlin, sondern ganz heimlich und leise in unseren Köpfen. Und wir alle müssen daran arbeiten, dass auch diese Mauer fällt.

Wer nichts über seine Geschichte weiß, kann aus dieser auch nichts lernen.

Die Lösung für dieses Problem kann primär nur ein Austausch sein. Ein Austausch zwischen Ost und West, zwischen Alt und Jung. Dieser muss schon in der Schule beginnen. Hier werden Geschichts- und Politiklehrer in die Pflicht genommen, Schülern auch die jüngste Geschichte zu vermitteln. Angesichts der aktuellen politischen Lage ist es notwendig, genau diese ganz präzise weiterzugeben. Dazu gehören die NS- und Nachkriegszeit genauso wie die Wende.

Denn wer nichts über seine Geschichte weiß, der kann aus dieser auch nichts lernen. Und vielleicht gehen wir noch weiter und machen in Zukunft Schulausflüge oder gar Schüleraustausche mit dem Osten/Westen. Gelebte Städtepartnerschaften gibt es bereits, doch lassen wir diese doch überall so aktiv werden, wie es auch die mit Frankreich mittlerweile sind. Es ist egal, wie wir es tun. Doch eins ist sicher: Wir müssen die Einheit, die wir 1989 formal erlangt haben, leben. Nur dann werden wir es schaffen, auch die Mauer in unseren Köpfen einzureißen.

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