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Herzlich Willkommen, German Angst!

Herzlich Willkommen, German Angst!

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  • Eine Bestandsaufnahme dieses Landes bringt das ETA Hoffmann Theater mit „Das Deutschland“
  • auf die Bühne. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Humor und Horror.

Es zeichnet Menschen aus, Teil einer Gemeinschaft sein zu wollen. Doch wie wird man einer Gruppe zugehörig? Dies kann durch gemeinschaftsstiftende Strukturen geschehen, die eine*n einordnen, Vergangenheit und Zukunft geben. Dann kann Heimat gefunden werden. Heimat kann ein Gefühl sein. Das können Menschen sein, aber natürlich auch ein Ort oder ein Staat. Ein Staat wie auch Deutschland.

In diesem Land gibt es Regeln für das Zusammenleben. Und geregelt ist in Deutschland so ziemlich alles. Es gibt für alles und jeden eine Struktur. Diese kann sowohl befreiend als auch begrenzend sein. Es gibt einerseits kodifizierte Gesetze und andererseits ungeschriebene Normen, die unser Miteinander ausmachen. Über letztere lässt sich freilich heftig streiten. Thomas de Maizière hat eine Streitschrift 2017 in einem Diskussionsbeitrag als damaliger Bundesinnenminister vorgelegt. Er diskutiert in diesem über eine deutsche Leitkultur. De Maizière geht der Frage nach deutscher Lebensgewohnheit nach und was typisch deutsch ist. In seinem erarbeiteten 10-Punkte-Plan stellt er Standards auf – Ein Abweichen davon ist unerwünscht. Laut De Maizière seien wir aufgeklärte Patrioten, geben uns zur Begrüßung die Hand und nennen unseren Namen. Wer sich dem nicht beugt, so scheint der Eindruck, wird Deutschland zu spüren bekommen und dessen furchteinflößende Gewalt.

Wer sich nicht beugt, wird Deutschland zu spüren bekommen

Diesen Horror bringt das ETA Hoffmann Theater auf die Bühne. Das Stück von Bonn Park zeigt uns die deutsche Mittelmäßigkeit auf. Die Eltern Thumas (Paul Maximilian Pira) und Sondra (Ewa Rataj) fahren mit ihrem Sohn Lonnart (Daniel Dietrich) und dessen Freundin Emulie (Clara Kroneck) in das eigene Ferienhaus und verbringen dort das Wochenende. Die Szenerie wird deutschtümelnd eingeläutet mit dem deutschen Volkslied „Kein schöner Land in dieser Zeit“. So findet sich das Publikum eingestimmt auf das, was die nächsten eineinhalb Stunden folgt.

Zu Beginn sehen wir die Familie im klassischen Sinne: Vater, Mutter und Kind. Es wird evident, dass anhand des familiären Nukleus‘ das Normale, das Mittelmäßige, das Heimelige fingiert werden soll. Doch normal ist das Familienleben keineswegs. Merkwürdigkeiten werden zugleich sichtbar. Das Bühnenbild, durch Bühnenbildnerin Julia Nussbaumer perfekt in Szene gesetzt, besticht durch und durch im Laminat-Look. Ferner sind einzelne Buchstaben in den Namen der handelnden Personen verdreht – aus Thomas wird Thumas – und aus der im Schrank stehenden Enzyklopädie Brockhaus wird Bröckhaus.

Deutsche Heimeligkeit versus Andersartigkeit

Die Freundin Emulie wird sofort durch ihre pinke Hautfarbe und Outfit im Verhältnis zur Familie als „das Andere“ dargestellt und wahrgenommen. Schnell merkt die lebhafte Emulie selbst, dass in dieser scheinbaren Idylle etwas nicht stimmt und so meint sie zu Lonnart: „Deine Familie ist richtig komisch manchmal.“

Gemeinsam sitzt die Familie auf der Couch und schaut TV. Punkt 16 Uhr ploppen die Bierflaschen. Das Wochenende wird bestimmt durch eingefahrene Rituale und Gewohnheiten. Diese sind die reine Monotonie und für Emulie schließlich der blanke Horror. Sie hat Angst und schreit und versteht die Familie nicht. Verängstigt von der Szenerie, äußert sie den Wunsch, nach Hause gehen zu dürfen. Doch es gibt kein Entkommen – im wahrsten Sinne. Denn die Tür ist bei der Jahresuntersuchung. Auch ein Anruf bei ihrer Mutter scheitert. Dieser scheint manipuliert zu sein. Bestärkt wird dieser Eindruck durch das Einsetzen eines Zwergenchores, der oberhalb des Bühnenbildes aus dem Fenster schaut und den Anrufbeantworter der Mutter vorliest. Spätestens jetzt durchschauen auch die Zuschauer das perfide Spiel auf der Bühne. Wenn sich Emulie anpasst, dann wird sie akzeptiert. Sobald sie die Sitten in Frage stellt, bekommt sie die Unbarmherzigkeit, vor allem der Eltern, zu spüren.

Ich habe Angst um Deutschland

Im Mittelteil des Theaterstückes zeigt sich die ganze Ambivalenz der heilen Familienwelt. Die Eltern und Emulie sitzen gemeinsam zum Abendbrot am Tisch, während Lonnart den prall gefüllten Einkaufsbeutel ausräumt. Die Eltern unterhalten sich. Es geht um Banalitäten und Pedantisches. Doch schnell geraten die Gespräche in populistische Aussagen. Es folgen Sätze wie „Ich habe nichts gegen Ausländer, aber wehe sie sind nicht richtig integriert“ und „Es ist doch okay, dass ich Verben nur noch im Infinitiv sage, damit mich alle verstehen.“ Die Sätze klingen maschinell, wie Facebook-Posts. Das Publikum reagiert darauf verschieden. Vereinzelt sind laute Lacher zu hören, aber auch lachendes Getöse, welches sukzessive quälender wird und gar erstickt. Bei manchen Zitaten wird sich der Zuschauende wiedererkennen, zumal Vater Thumas während dieser Aussagen mit dem Rücken zum Publikum sitzt und dies das Identifizieren unterstützt. An dieser Stelle gehen Wirkung und Pointierung der Aussagen infolge der überdehnten Darstellung deutscher Klischees und Vorurteile etwas verloren. Hier wäre weniger mehr gewesen. Vielleicht war dem Autor Bonn Park aber genau diese Betonung wichtig: die unablässige Zementierung blasierter deutscher Attitüden und das Spiel mit einer nebulösen Ängstlichkeit.

Alles ist Mittel, es ist alles in Butter

Lonnart merkt an, dass seine Familie komisch ist, aber wenn man alles so lässt, wie es ist, dann passt alles. Das nennt man deutsche Mittelmäßigkeit. Nun setzt zum wiederholten Male die Horrormusik ein und führt die Zuschauer szenisch in eine deutsche Amtsstube. Emulie darf nun endlich heim. Zuvor muss sie aber noch ein Formular unterschreiben. Sie wird konfrontiert mit Behördensprache und Kaltherzigkeit. Das ist zu viel für sie. Sie sackt zu Boden. Es folgt eine Gehirnwäsche durch die Mutter Sondra, bei der Emulie ihrer Individualität und Lebensfreude beraubt wird. Dieser Akt wird symbolisiert durch ein Stückchen Stoff. In Form einer brutalen Zeremonie wird Lonnart dieses Stoffteil durch ein Rohr eingeflößt. Daraufhin stirbt er.

Emulie nun ganz und gar verändert, äußert nur lapidar: „Das Deutschland will es so.“ Am Ende des Prozedere ist Emulie zur Deutschen gekrönt wurden. Sie möchte von jetzt an dem Deutschland alles geben und dessen Strukturen kennenlernen. Der Höhepunkt und gleichzeitige Schlusspunkt des Stückes ist die Reinwaschung des Mädchens und ihre Inkarnation zur Deutschen. Damit endet das Stück und lässt das Publikum geschockt und begeistert zugleich zurück. Es ist ein gewagtes Unterfangen, ein so aktuelles und gefühlsbesetztes Thema als Theaterstück zu inszenieren. Doch es gelingt, da das Publikum nicht belehrt wird. Vielmehr werden Fragen, wie die nach einer deutschen Leitkultur und Auswirkungen der Flüchtlingskrise, mit den eigenen Erwartungen der Schauspielenden und des Publikums gekoppelt. Das Stück hinterfragt, was gesellschaftliche Ereignisse mit den Menschen machen. Das gelingt Bonn Park nahezu perfekt. Dabei kommt ihm zu Gute, dass er in dem Stück „Das Deutschland“ nicht nur Regie führt, sondern auch den Text selbst konzipiert hat. Dies ist die kennzeichnende Arbeitsweise von Park. So kann er seine eigene Sozialisation mit einfließen lassen.

Der Text kann nur gut zur Geltung kommen, wenn auch die schauspielerischen Leistungen stimmen. Dem ETA Hoffmann Theater unter der dramaturgischen Leitung von Victoria Weich kann zu dieser Besetzung nur gratuliert werden, zumal die Schauspielenden am Text selbst mitgewirkt haben. Beispielhaft kann dafür der beeindruckende Anfangsmonolog von Emulie stehen. Die Schauspielerin Clara Kroneck erdachte diesen aberwitzigen, in sich selbst verlierenden Monolog.

Fazit

Das Horrorstück „Das Deutschland“ kann ganz klar empfohlen werden für alle, die der (eigenen) Mittelmäßigkeit und dem „typisch Deutschen“ nachgehen und hinterfragen wollen. Es ist eine Bestandsaufnahme des Landes der Denker und Dichter. Wer dabei über sich selbst sinniert, möge vielleicht wie der Autor dieser Zeilen auch die Liedzeilen aus „Deutschland“ von Rammstein im Ohr gehabt haben: „Deutschland, mein Herz in Flammen. Will dich lieben und verdammen. Deutschland, dein Atem kalt.“ „Das Deutschland“ von Bonn Park ist ein Plädoyer für mehr Sensibilität mit dem Anderen, dem Fremden und den Auswirkungen des Bewusstwerdens der eigenen nationalen Identität.

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