Livia Hofmann verlor ihre Liebe zu Kaffee in Amerika. Seitdem…
Ich betrete die ersten Schritte auf amerikanischem Boden am John F. Kennedy Airport und bin schon fertig mit den Nerven. Noch nie war ich so aufgeregt vor einem neuen Abschnitt in meinem Leben. Es ist meine erste große Reise, die ich allein unternehme – und gleich in die USA. Drei Monate werde ich in New York leben, um mein Auslandspraktikum an der Ständigen Vertretung Deutschlands bei den Vereinten Nationen zu absolvieren. Dass ich es überhaupt soweit geschafft habe, konnte ich auch auf der Taxifahrt vom Flughafen noch nicht glauben. Fast wäre ich auch nicht in New York gelandet.
Die Zusage für meinen Praktikumsplatz kam weniger als zwei Monate vor Beginn. Ich hatte mich beim Auswärtigen Amt in einem langen Prozess mehr als ein knappes halbes Jahr zuvor beworben. Neben der anfänglichen Freude überwog aber auch schnell Panik. Oh Gott! Nicht mal mehr zwei Monate bis ich das Praktikum antreten muss und ich muss noch so viel organisieren – Visum besorgen, Flug buchen, Wohnung finden – wie soll ich das innerhalb kürzester Zeit schaffen? Mithilfe meiner Arbeitsstelle bekam ich schnell das Visum und fand meine Wohnung. Nach zehn Stunden Flug und in Jogginghose konnte ich durch mein Diplomatenvisum bei der Einreise eine Abkürzung nehmen. Ein Flughafenmitarbeiter blickte kurz auf meinen Pass und rief dann über die Reihen an Menschen hinweg: „Excuse me, excuse me! Diplomat here, please step aside!“. Ich durfte an allen Reisenden vorbeigehen und bekam als Erste einen Einreisestempel. Einer meiner coolsten Momente dieser Reise!
Excuse me, excuse me! Diplomat here, please step aside!
Die Orientierung in dieser großen und atemberaubenden Stadt fiel mir am Anfang auch nicht leicht. Im Vergleich zu New York ist unser Bamberg mehr wie ein Dorf. Es gibt nicht nur eine U‑Bahn, sondern gleich mehr als zehn Linien. Man muss nicht nur aufpassen, an der richtigen Station auszusteigen. Bei den Menschenmengen, die täglich mit der Metro fahren, ist es zunächst verwirrend, den richtigen Ausgang zu finden. Aber nach ein paar Wochen der Eingewöhnung hat man relativ schnell den Dreh raus. Ich hatte das Glück, bei einer super netten deutsch-amerikanischen Familie zur Untermiete zu wohnen, die mir zu Beginn viele hilfreiche Tipps mit auf den Weg gaben – zum Beispiel wie man sich eine Metrocard für die U‑Bahn kauft, welche U‑Bahn Linien ich in die Stadt nehmen muss und wo man gut einkaufen kann. Eine große Schattenseite der Stadt sind natürlich die Kosten, denn egal ob für Lebensmittel oder Miete – New York ist nicht billig. Für ein Stück Käse bezahlt man schon einmal locker fünf Dollar, die Mieten in Manhattan fangen bei 1200 Dollar an. Daher muss man auch ein paar Kompromisse eingehen. Bei mir war das der Wohnort. Da ich mir die hohen Mieten in Manhattan nicht leisten konnte, wohnte ich mit 800 Dollar deutlich günstiger in Staten Island. Dafür pendelte ich jeden Tag eineinhalb Stunden – aber dafür mit der Fähre.
Nach den ersten Wochen und dem Beginn meines Praktikums vergaß ich diese anfänglichen Ängste ganz schnell. In der Ständigen Vertretung arbeiteten neben mir noch zwanzig andere Praktikant*innen. Jede*r ist einem Fachbereich zugeteilt. In den nächsten Monaten unterstützte ich meine Referent*innen im Bereich Menschenrechte. Nach den ersten paar Tagen Eingewöhnung ging es auch gleich los: ich durfte am Dritten Ausschuss für soziale, humanitäre und kulturelle Fragen teilnehmen und regelmäßig Berichte über die Sitzungen für meine Referenten schreiben. Dieser Teil nahm den anstrengenden Teil des Praktikums ein, denn für die jährliche Generalversammlung, zu der auch der Dritte Ausschuss gehört, ist viel vor- und nachzubereiten. Gerade das zeigt, dass man öfters auch mal Überstunden machen und ein hohes Maß an Flexibilität mitbringen muss. Es ist kein normaler Job, bei dem man bis fünf Uhr im Büro sitzt.
Daneben habe ich immer wieder die Möglichkeit gehabt bei anderen wichtigen Veranstaltung teilzunehmen, wie zum Beispiel bei UNICEF oder UN Women. Als Deutsche Vertretung trafen wir immer wieder Menschenrechtsaktivist*innen, die über ihre Arbeit in Myanmar, China und anderen Ländern berichteten. Darüber hinaus habe ich auch an Sitzungen im Sicherheitsrat und der Generalversammlung teilgenommen, zum Beispiel zu Themen wie Israel und der Gazastreifen oder auch dem Kosovo oder aber auch zu Abstimmungen zu Menschenrechtsresolutionen. Einmal hatte ich sogar die Möglichkeit für Deutschland abzustimmen! Ich saß auf dem Stuhl hinter dem „Germany“-Schild und war richtig aufgeregt.
Es ist kein normaler Job, bei dem man bis fünf Uhr im Büro sitzt
Als der Moment der Abstimmung kam, musste ich nur einen kleinen Knopf drücken – trotzdem fühlte es sich an, als hätte ich etwas Wichtiges getan. Ich habe somit nicht nur die Chance gehabt, die Arbeit der Vereinten Nationen und der deutschen Diplomatie kennenzulernen, sondern auch wirklich wichtige und interessante Persönlichkeiten zu treffen. Dazu gehören die Hohe Kommissarin für Menschenrechte Michelle Bachelet oder auch die Schauspielerin Ashley Judd, die über Genitalverstümmelung im Sudan berichtet hatte. Beide sind inspirierende, starke Frauen, die nicht davor zurückscheuen, unangenehme Themen, wie Menschenrechtsverletzungen anzusprechen. Vor meinem Praktikum in New York habe ich gedacht, vieles über die Vereinten Nationen zu wissen. Mittlerweile kann ich sagen, dass meine Vorstellung über die Arbeit dort damals bei Weitem nicht dem entsprach, was sie wirklich ist. Vor meinem Praktikum war ich etwas frustriert, dass bei den Vereinten Nationen kaum Entscheidungen getroffen werden. Doch ich habe gemerkt, wie viel Arbeit eigentlich dahinter steckt: ein ständiges Miteinander von Kooperation und Diplomatie unter harten Bedingungen.
Neben der spannenden Arbeit bietet die Stadt New York aber noch viel mehr. Gerade für Studierende bietet die Stadt New York vergünstigte Eintritte in Museen, wie zum Beispiel im Museum of Modern Art oder dem Metropolitan Museum. Als Praktikant*innen haben wir natürlich auf die sogenannten „Pay-What-You-Wish“-Tage gewartet, an denen man so viel Eintritt zahlt, wie man möchte. Mein absoluter Geheimtipp sind die „Free Walking Tours“ von Einheimischen, die es für jeden Stadtteil und Sehenswürdigkeiten in New York gibt. Ob Harlem, Brooklyn, Soho, Little Italy, Chinatown oder Greenwich Village – auf diese Art lernt man die Stadt wirklich kennen! Darüber hinaus bietet es sich auch mal an, die große, laute Stadt für Neuland einzutauschen. Ich bin zum Beispiel übers Wochenende nach Washington D.C. gefahren, das knappe vier Stunden von New York entfernt und bequem und erschwinglich mit Reisebus erreichbar ist.
Für mich hat sich das Abenteuer auf jeden Fall gelohnt. Ich bin über mich selbst hinausgewachsen und habe mich neuen Herausforderungen gestellt. Ich habe einen Einblick erhalten, wie wichtig diplomatische Arbeit sein kann. Auch wenn Diplomatie nicht unbedingt mein Berufswunsch Nummer eins ist, kann ich mir vorstellen später einmal in dieser Richtung zu arbeiten. Das Leben in New York ist laut, stressig und viel. Für eine gewisse Zeit kann ich mir vorstellen dort zu leben. Trotzdem bin ich auch froh, wieder im beschaulichen Bamberg zu sein und das gegensätzliche „ruhige Leben“ zu genießen.
Wer Lust hat, sich auch für ein ähnliches Praktikum zu bewerben oder sich noch genauer über ihre Erfahrungen zu informieren, hat die Möglichkeit mit mir am Praktikumsabend für Politikstudierende am 4. Februar um 18 Uhr in F21/01.35 zu sprechen.
Livia Hofmann verlor ihre Liebe zu Kaffee in Amerika. Seitdem trinkt sie nur noch Kräutertee aus riesiger Tassen ohne Zucker. Nach stressigen OF-Schreibphasen trinkt sie auch mal einen Entspannungstee, aber was anderes kommt ihr nicht in den Beutel.