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#Teachout: Queer in der Bildung
Dunkel Hell

#Teachout: Queer in der Bildung

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  • Kondome über Holzpenisse oder Gurken ziehen, verlegenes Kichern, wenn das Wort „Sex“ fällt, und ein „Ach, ihr kennt euch damit schon aus, passt einfach auf“ des Biolehrers, als Sexualkunde auf dem Tagesprogramm stand – das war alles, was ich in meiner Schulzeit mit auf den Weg bekommen habe, wenn es um sexuelle Orientierung und geschlechtliche Vielfalt ging. Von Lehrkräften, die offen nicht-cishetero waren und die ich mir als Vorbilder hätte nehmen können, keine Spur.

Wie mir ging und geht es wahrscheinlich auch anderen Schüler*innen bis heute. Queere Lehrkräfte? Nirgends zu sehen. Gegen genau diese Unsichtbarkeit von queeren Pädagog*innen will #TeachOut vorgehen. Unter dem Hashtag outen sich auf sozialen Medien immer mehr Lehrkräfte und Pädagog*innen, um dadurch Vielfalt und Diversität in verschiedenen Bildungskontexten selbstverständlicher zu machen. Das Konzept kommt euch bekannt vor? Richtig, #TeachOut ist an das #ActOut-Manifest angelehnt, über das der Ottfried bereits berichtete. Für Anja und Felix, die beide im #TeachOut-Team sind, ist vor allem diese Zusammenkunft verschiedener Menschen, die das Queersein verbindet, auf einer persönlichen Ebene eine positive Erfahrung. „Dass Leute, die im Beruf stehen oder auf dem Weg dorthin sind, dass die so in dieser Zahl zusammenkommen, hatte ich davor noch nicht erlebt“, erzählt Felix begeistert.

Zeit für Vielfalt

Im Zuge des Internationalen Tags gegen Homo-, Bi, Inter- und Transphobie veröffentlichte das Team von #TeachOut sechs Forderungen. Diese reichen von Antidiskriminierungsgesetzen auf Landesebene über verpflichtende Aus- und Weiterbildungen über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt bis hin zu mehr Diversität in Lehrmaterialien, angefangen mit gendergerechter Sprache. Felix hat sein Studium und Referendariat abgeschlossen und arbeitet als Lehrer an einem Gymnasium in Baden-Württemberg. Dort verwendet das Ministerium in seinen Schreiben immer noch das generische Maskulinum – das heißt, außer männlichen Schülern und Lehrern wird niemand ausdrücklich angesprochen. Für Anja, die im Herbst ins Referendariat an einem Gymnasium startet, sind auch die Aus- und Weiterbildungen wichtig: „Die sind schon mal der erste Grundstein, da überhaupt so ein Basiswissen über Diversität zu vermitteln.“ Felix stimmt ihr zu: „Ich habe das Gefühl, dass die meisten wissen, dass es schwul und lesbisch gibt. Bisexualität existiert in den Köpfen der Menschen nicht, weil ‚die können sich ja nur nicht entscheiden‘ und alles andere ist nicht auf dem Schirm. Man müsste da ganz kleinschrittig anfangen bei vielen Menschen.“ Im Moment ist es in den meisten Bundesländern der Lehrkraft überlassen, wie viel diese im Unterricht über Vielfalt sprechen möchte. In Baden-Württemberg gibt es beispielsweise eine Leitperspektive, die sich „Bildung für Toleranz und Vielfalt“ nennt. Umgesetzt wird diese anscheinend von den wenigsten.

Welche Möglichkeiten gäbe es, solche Weiterbildungsangebote auch an der Uni Bamberg einzuführen? Für Prof. Dr. Ute Franz von der Professur für Didaktik der Grundschule liegt in ihrem Fachgebiet die Chance hierfür vor allem auf der Lehrveranstaltung „Familien- und Sexualerziehung“. „Das ist kein Seminar, das ‚Queer‘ heißt, aber ich weiß von Herrn Treubel, dem Dozenten, dass er zum Beispiel verschiedene Familienformen darin behandelt und da sind wir schon beim Thema“, erklärt sie. Außerdem seien die Ringvorlesungen der Frauenbeauftragten und der VC-Kurs „Huwi Gender & Diversity Netzwerk“ immer zu empfehlen. Möglichkeiten, sich zu informieren, sind in Bamberg durchaus vorhanden. Aber wie sieht das konkret aus, wenn eine Lehrkraft vor einer Schulklasse steht? Würde es Kindern helfen, wenn Lehrkräfte diverser wären? Franz fängt da für den Grundschulkontext weiter vorne an: „Es ist ganz wichtig, dass alle Grundschullehrkräfte gute Pädagog*innen und didaktisch kompetent sind, sowie mit den Kindern gut umgehen können. Jetzt ist die Frage: inwiefern gehe ich mit meinem Privatleben in die Klasse? Das ist in der Grundschule tatsächlich meistens der Fall, dass man was von sich erzählt. An sich ist es den Grundschulkindern aber erstmal ‚wurscht‘, wie der*die Lehrer*in lebt, Hauptsache, sie sind gerne bei dem Menschen.“

Ich bin so im Reinen mit mir, das will ich doch jetzt nicht wieder kaputt machen.

Felix vom #TeachOut-Team hat konkrete Erfahrungen gemacht, welche Auswirkungen seine Offenheit auf seine Schüler*innen hat. „Seit September bin ich an der neuen Schule und habe jetzt schon von Zweien im Nachhinein gehört, dass das unheimlich geholfen hat, dass sie mich als Lehrkraft hatten und die sind jetzt geoutet.“ Unterstützung und Sichtbarkeit sind bitternötig. Um diese zu schaffen, muss sich allerdings kein*e Pädagog*in am Arbeitsplatz lautstark zu sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität äußern. Es geht vielmehr darum, eine Normalität zu schaffen – das ist Queersein nämlich: normal. So hat Felix seinen Schüler*innen beispielsweise einen persönlichen Einblick gegeben, wie er sich fühlt, wenn Firmen Pinkwashing betreiben und ihre Logos pünktlich zum Pride Month mit Regenbogenfarben versehen und nach einem Monat wieder zum ursprünglichen Design zurückkehren.

Weder Anja noch Felix können es sich vorstellen, wieder zurück in den Closet zu gehen, also so zu tun, als wären sie hetero, nur, weil sie jetzt im Lehrberuf sind. Für Anja hängt das auch mit dem Projekt zusammen: „In den letzten Monaten bin ich auch durch #TeachOut nochmal so selbstbewusst geworden und mit mir ins Reine gekommen. Das will ich doch jetzt nicht wieder kaputt machen.“ Wichtig bleibt jedoch, dass ein Outing auch immer vom Kollegium und Standort der Schule und dem Umfeld abhängt und niemals Pflicht sein sollte.

In der Grundschule gilt laut Franz vor allem eines: „Dass man entspannt mit der Welt außen umgeht. Dass man klarmacht, das ist die Welt, die ist zum Glück ganz bunt und verschieden. Du hast eine ganz tolle Chance, dich in der Welt zu orientieren. Du hast ganz viele Möglichkeiten, zu entscheiden, wie du leben möchtest und mit wem du zusammenleben möchtest. Man muss das wirklich als Chance sehen und nicht als Einschränkung.“ Diese Chance, dass es in Zukunft mehr Lehrkräfte geben wird, die sich der Vielfalt in unserer Gesellschaft bewusst sind und diese an ihre Schüler*innen weitergeben, schafft das Projekt #TeachOut. Und je mehr Menschen sich mit dieser Vielfalt beschäftigen, desto mehr Akzeptanz wird es auch geben, denn „was man nicht kennt, macht einem auch heute im Jahr 2021 Angst und bringt Vorbehalte“, so Franz. Mit der Arbeit von #TeachOut ist es also hoffentlich nur noch eine Frage der Zeit, bis queere Themen in Bildungskontexten mehr als eine Doppelseite über die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe im Sozialkundebuch sind.

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