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Ritalin, verleih’ mir Flügel

Ritalin, verleih’ mir Flügel

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  • Doping liegt im Trend und ist für Studierende in unserer leistungsorientierten Gesellschaft zur Normalität geworden. Gerade der Schwarzmarkt für Ritalin in Bamberg boomt.

Das verschreibungspflichtige Medikament wird immer häufiger konsumiert. Im Volksmund steht es auf einer Stufe mit freiverkäuflichen Aufputschmitteln — doch was steckt hinter den kleinen, weißen Tabletten und wie hoch ist der Preis für die “neuen Flügel”?

Mediziner und Hersteller warnen vor missbräuchlichem Konsum

Es ist 23 Uhr. Wie so oft sitze ich noch an meinem Schreibtisch. Die Buchstaben verschwimmen vor dem schwachen Licht meiner Schreibtischlampe. Liegt es an meinem Zeitmanagement? Liegt es am Lernumfang? Liegt es am Anspruch, der immer höher wird in unserer heutigen Gesellschaft? Die Begründung lässt sich wahrscheinlich in allen drei Punkten finden. Doch statt in meine Unterlagen zu sehen, recherchiere ich online nach Ritalin. Kein leichtes Unterfangen.

Während mir das Medikament in meinem universitären Umfeld beiläufig begegnet, warnen Mediziner und Hersteller vor missbräuchlichem Konsum. Ich frage mich ob es wirklich so schwer ist, an das verschreibungspflichtige Arzneimittel zu kommen. Mein Blick schweift von den Vorlesungsfolien zu dem leeren Energydrink, der genau vor meiner Nase steht.

Stress ade mit Ritalin?

Nahezu alle Studierende kennen das Gefühl, nicht genug Zeit investiert zu haben. Die Abgabe der Hausarbeit steht an oder die Klausur bevor. Auf den letzten Metern wird es stressig und während einem bereits die Augen zufallen, werden mit letzter Kraft noch ein paar Vorlesungsfolien ins Gedächtnis gezwängt. Der Kopf raucht, die Hände zittern, die Konzentration sinkt. Hin und wieder fällt meine Wahl auf den Energydrink, der das nächtliche Lernen erleichtern soll. Doping für Geist und Körper, Doping für die überforderten Studierenden.

Wenn ich mich in meinem Kommilitonen Kreis umhöre, stehe ich mit meinem Stress nicht alleine da. Die Wenigsten gehen gelassen durch die Prüfungsphase. Während ich mir das ein oder andere Mal einen Energydrink genehmige, taucht der Name einer anderen Substanz immer wieder im Diskurs auf: Ritalin. Das Medikament wird in einem Atemzug mit meinem heißgeliebten, flüssigen Wachmacher genannt. Dass Ritalin nicht ohne Grund verschreibungspflichtig ist, gerät dabei in Vergessenheit.

Kokain für Kinder

Denn Ritalin ist ein Medikament. Es wird Menschen mit der Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS, verschrieben. Zumeist sind die Patienten Kinder, doch auch Erwachsene erhalten ein Rezept. Bei einem Blick in den Beipackzettel des Arzneimittels, welcher auf der Website des Herstellers Novartis einsehbar ist, wird deutlich, dass es sich nicht um ein Aufputschmittel für Studierende handelt. In öffentlichen Debatten ist die Sprache von „Kokain für Kinder“. Tatsächlich wird mit einer Überdosierung ein ähnlicher Effekt wie mit der bekannten Droge erzielt. Von einem harmlosen Aufputschmittel kann hier nicht die Rede sein und von medizinischer Seite ist Ritalin lediglich der letzte Ausweg.

So wirkt Ritalin auf das Gehirn

Laut Beipackzettel wird es nur angewendet, wenn Verhaltenstherapien und psychologische Beratung erfolglos waren. Erwachsene können das Rezept ausschließlich von einem Spezialisten für Verhaltensstörungen erhalten. Die Einnahme wird nur unter regelmäßigen Untersuchungen genehmigt und setzt eine genaue Diagnostik voraus. Die Listen der Warnhinweise, Vorsichtsmaßnahmen und Nebenwirkungen sind lang.

Persönlichkeitsveränderungen, Psychosen und Selbsttötungsgedanken seien nur als die ersten drei Punkte auf mehreren Seiten genannt. Unklar sind die langfristigen Effekte auf das Gehirn. Der Wirkstoff in Ritalin heißt Methylphenidat-Hydrochlorid und gehört zur Gruppe der Amphetamine. Das Arzneimittel aktiviert Teile im Gehirn, die bei erkrankten Menschen nicht aktiv genug sind und soll damit die Aufmerksamkeitsspanne vergrößern, die Konzentration verbessern und impulsives Verhalten verhindern.

Zwölf Prozent der Studierenden nehmen Ritalin als Hirndoping

Laut einer Umfrage der Jade Hochschule Wilhelmshaven greifen zwölf Prozent der Studierenden in Deutschland auf Ritalin als Hirndoping zurück. 50 Prozent der Einnahmen finden demnach während der Klausurenphase statt. Die erhofften Effekte des Medikaments sind Leistungs- und Konzentrationssteigerungen. Doch bei gesunden Menschen tritt meist der gegenteilige Effekt ein. Selbst wenn eine kurzweilige Leistungssteigerung erzielt wird, sind Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, Schlaflosigkeit und Anspannung die Folge. Wie die meisten Amphetamine birgt das Medikament ein hohes Suchtpotenzial.

Lässt die Wirkung nach, erfährt der Konsument ein Gefühl der Leistungsträgheit. Ritalin wird zur Voraussetzung, um Leistung zu erbringen: Ein Teufelskreis. Das Medikament wird unterschätzt. Ritalin wird als Droge benutzt und scheint sich auch in der Biermetropole Bamberg zu etablieren. Die Risiken werden heruntergespielt, das Medikament verharmlost. Es in einem Atemzug mit Energydrinks, Kaffee und Koffeintabletten zu nennen, ist nicht nur grundlegend falsch, sondern auch gefährlich.

Ein bis zwei Euro kostet die Tablette in Bamberg

Ich bringe die Thematik der stressigen Prüfungsvorbereitung bei meinen Kommilitonen nun bewusst zur Sprache. Um das als harmlos angesehene Aufputschmittel komme ich in der Universität nicht herum. Sollte es wirklich so einfach sein wie Energydrinks kaufen, an ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel zu kommen? Ich denke an meine Internetrecherche und fange an, meine reellen Kontakte zu aktivieren. Erst seit ein paar Monaten in Bamberg lebend, kenne ich bei weitem nicht so viele Menschen wie in der Heimat. Trotzdem ist es wie immer dasselbe: Einer kennt einen, der einen kennt… Es hat mich exakt zwei Fragen gekostet.

Einen ortsansässigen Dealer habe ich aufgetrieben. Den Einstieg finde ich über Haschisch. Alle Studierenden haben Bekannte in ihrem Umfeld, die mit dieser Droge in Kontakt stehen. Wird mit dem illegalen “Weed” gedealt, ist der Weg zu weiteren illegalen Substanzen nicht weit. So finde ich auch das Ritalin. Kostenpunkt: ein bis zwei Euro für eine Tablette. Verkraftbar für das studentische Portemonnaie. Ich habe die Worte meiner Freundin noch im Ohr: “Ich kann für dich bei ihm bestellen, aber einmal bestellt, musst du es abnehmen. Aufträge dieser Art und Weise werden nicht storniert.” Ich frage mich, ob ich mich auf dieses Geschäft einlassen soll.

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