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Ritalin im Müsli
Dunkel Hell

Ritalin im Müsli

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  • Eine Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) belegt, dass mehr Studierende zu Medikamenten greifen als noch vor einigen Jahren. Auch an unserer Uni gibt es sogenannte „Hirndopende“, die im Prüfungsstress auf Schlafmittel, Ritalin oder Koffeintabletten setzen.

Lea* wirkt angespannt. Nervös blickt die 22-jährige Studentin immer wieder durch das Café, um sicherzustellen, dass niemand in der Nähe ist, der mithört. Der Grund: Sie nimmt seit ihrem zweiten Semester heimlich Medikamente, um im Studium mit ihren Kommilitonen Schritt halten zu können. Damit gehört Lea zu den 14 Prozent der Studierenden, die laut der DZHW-Studie schon einmal Substanzen eingenommen haben, um den Anforderungen des Studiums besser gerecht zu werden. Unterschieden wird dabei nach „Hirndopenden“, die verschreibungspflichtige Medikamente oder illegale Drogen zu sich nehmen (6 Prozent), und Soft-Enhancenden, die freiverkäufliche Präparate nutzen, etwa Koffeintabletten, Energy-Drinks oder Schmerzmittel (8 Prozent).

Hangover in der Prüfung
Mit ihrem Antidepressivum, das aufputschen und Ängste lösen soll, zählt Lea zu den „Hirndopern“. Klassischerweise verwenden Betroffene aber auch verschreibungspflichtige Schlaf- und Beruhigungsmittel (31 Prozent der Hirndoper), Cannabis (29 Prozent), Ritalin (21 Prozent) oder Schmerzmittel (20 Prozent). Lea setzt zusätzlich auf Quetiapin, um abends schlafen zu können. Diese Kombination von „Aufputschen“ und „Runterfahren“ hält Suchtforscher Prof. Dr. Jörg Wolstein gerade vor Prüfungen für wenig zielführend. Schlafmittel wirken zwar schlafanstoßend und angstlösend, erschweren durch ihre lange Wirkung aber auch den Wissensabruf.
Die Frage, ob das Hirndoping also zielführend ist, lässt sich demnach nicht einfach positiv beantworten. Lea ist zwar davon überzeugt, Prof. Wolstein hält aber ein andere These dagegen: „Es gibt kein Medikament, das wirklich das akademische Lernen verbessert.“ Leistungssteigernde Medikamente können lediglich die Aufmerksamkeit verlängern und intensivieren. Dabei wird das Arbeiten aber oft destruktiv. Der Fokus wird auf irrelevante Details gelenkt und man verliert das Gesamtkonzept aus dem Auge. „Gerade die Zusammenhänge sind im Studium ja von Bedeutung, nicht so sehr die Details“, gibt er zu bedenken.

Doper kiffen öfter
Die Medikamente stellen aber nicht nur ruhig und verschieben den Fokus auf unwichtige Nuancen, sie bergen auch andere Risiken. „Amphetamine wie Ritalin haben ein sehr hohes Suchtpotenzial und können Leberschäden verursachen“, berichtet Prof. Wollstein, betont aber, dass das Wissen darüber dünn ist. Weiter gibt es ein erhöhtes Risiko, auch von anderen Substanzen abhängig zu werden: Laut DZHW-Studie bezeichnen sich 32 Prozent der Hirndoper, die ein Mal pro Woche bis täglich Alkohol konsumieren, als alkoholabhängig. Der entsprechende Anteil der Nicht-Anwender liegt bei 16 Prozent. Ähnliche Korrelationen ergeben sich auch für den Nikotin- und Marihuanakonsum.
Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit und Anspannungen sind Auswirkungen, mit denen Lea zu kämpfen hat. Obwohl sie die Dosis langsam steigert und anschließend wieder senkt, treten die Nebenwirkungen auf. Das ist zwar nur in den Prüfungsphasen der Fall, da sie aber bereits zwei bis drei Wochen vor der Intensivlernphase mit der Einnahme beginnt, ergibt sich ein erheblich längerer Zeitraum. Obwohl sie weiß, dass sie abhängig ist und es ihr sichtlich schwerfällt, das auszusprechen, möchte die 22-Jährige nicht mehr auf die Medikamente verzichten: „Ich bin leistungsfähiger und habe mehr Antrieb.“ Lea spürt deswegen immer wieder Gewissensbisse, rechtfertigt ihr Verhalten sich selbst gegenüber aber damit, dass sie dadurch nicht leistungsfähiger, sondern nur genauso leistungsfähig wie ihre Kommilitonen ist. Weniger nachsichtig spricht Wolstein über den Medikamentenmissbrauch: „Moralisch gesehen ist das eigentlich ungerecht“; dann überlegt er weiter und ergänzt: „Da das Lernen aber nicht verbessert wird, kann ich darin keine Vorteilsnahme sehen.“ Ihm ist es als Dozent aber auch viel wichtiger, eine Kultur des Vertrauens und der Gespräche zu schaffen, als – wie in den USA – Urinproben vor Prüfungen einzuführen.

Konsumgrund Bologna?
Dass sich die Zahl der Studierenden, die leistungsbezogenen Substanzkonsum betreiben, erhöht hat, will Prof. Wolstein nicht auf den Bulimie-Effekt der Bologna-Reform schieben. Er denkt eher, dass Studierende heute offener darüber sprechen. Die Stigmata seien reduziert und dadurch die Dunkelziffer auch niedriger. Diese Präsenz verändere die subjektive Norm und mache Hirndoping für Studierende selbstverständlicher. Dem Verlangen nach dem Ausprobieren setzt Wolstein entgegen: „Eine Dosis Ritalin wirkt in etwa wie zwei Tassen Starbucks-Kaffee. Der hat allerdings nicht diesen Nimbus.“
Neben dem Kaffee gibt es aber auch andere Hilfsmittel, um mit Stresssituationen umzugehen: eine durchdachte und gesunde Prüfungsvorbereitung, bewusste Pausen, Entspannungstraining oder Sport. Für Studierende, denen der Stress im Studium zu viel wird, ist die psychotherapeutische Beratungsstelle der Uni die richtige Anlaufstelle.

* Name von der Redaktion geändert

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