Bamberg, den 30. Oktober, 14:00 – am Bahnhofsvorplatz sammelt sich eine bunte Gruppe an Studierenden. Noch wirken alle ein wenig zurückhaltend und nehmen mit einem leisen “Danke” die Zettelchen an, die die Organisator*innen verteilen. Auf ihnen sind die Sprüche gedruckt, zum Beispiel “Psychotherapie ist unersetzlich, Weiterbildung finanzieren und zwar plötzlich” und “Warteschlange – nicht mit uns”. Leise murmeln wir sie vor uns hin und versuchen, uns die Sätze zu merken. Wir studieren beide Psychologie im Bachelor und können in der Gruppe einige bekannte Gesichter ausmachen. Aufmunternde Lächeln werden ausgetauscht. Alle wissen, warum wir hier sind: Wir machen uns für die geregelte Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildung und damit für die Sicherheit einer Versorgung durch Therapie laut. Und schreiben einen Artikel für Ottfried darüber. Zwei Fliegen. Eine Klappe.
Nach kurzen Redebeiträgen einer Studentin im Psychologie Master und Heiner Vogel, Mitglied der Fachkommission Psychologische Psychotherapeut*innen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen bei ver.di. und kurzem Einüben der Sprüche geht es auch schon los. Alle schreien wütend mit: “Bachelor, Master, Jahre warten – wir woll´n lieber gleich was starten”. Die Gruppe zieht über die Luitpoldstraße bis zum Maxplatz und ist dabei kaum zu überhören. Obwohl sich ratlose Passant*innen die Ohren zuhalten, präsentieren die Demonstrierenden weiter unbeirrt die Sprüche auf ihren Schildern und machen ordentlich Lärm. „Keine Weiterbildung, keine Therapie“ liest man auf vielen Plakaten. Am Maxplatz angekommen, wird die Demonstration mit weiteren Redebeiträgen, darunter ein Poetry Slam, final abgerundet.
Aber worum geht es eigentlich?
Um zu verstehen, warum die wütenden Studierenden Bambergs Straßen füllen, gehen wir zurück ins Jahr 2019: Nach langem Fordern wurde das Psychotherapeutengesetzes reformiert. In diesem wurde festgelegt, dass anstatt der bisher üblichen postgradualen psychotherapeutischen Ausbildung, für die Auszubildende mehrere zehntausend Euro zahlen mussten, nun eine Approbationsprüfung abgelegt werden muss, auf die eine fünfjährige Weiterbildung folgt. Erst nach dieser dürfen die frischgebackenen Psychotherapeut*innen das tun, worauf sie seit Jahren hinarbeiten – wirklich Patient*innen therapieren. So weit, so gut.
Das Gesetz schreibt für diese Weiterbildung eine Vergütung der Krankenkassen vor und so erhofften sich zukünftige Auszubildende endlich eine angemessene Bezahlung. Doch: “Jetzt, 5 Jahre später, ist die Finanzierung dieser Weiterbildung noch immer unklar und unsere Zukunft ungewiss”, fasst es Sophie Hartmann, die Vertreterin der Psychologie Fachschaften Konferenz (PsyFaKo e.V.) in ihrer Rede am Mittwoch zusammen. Was ursprünglich die finanzielle Lage der Psychotherapeut*innen, die sich aktuell in Ausbildung befinden, erleichtern sollte, entpuppt sich nun als weitere Hürde. Denn das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz schreibt für die Weiterbildung in Ambulanzen keine ausreichende Finanzierung vor und stellt keine Regelungen für die Weiterbildung in Praxen oder Kliniken. Denn auch diese Stationen müssen in der Weiterbildung durchlaufen werden, was ohne genügende Regeln kaum möglich ist.
„Jetzt, 5 Jahre später, ist die Finanzierung dieser Weiterbildung noch immer unklar und unsere Zukunft ungewiss.“
Therapie in Gefahr
Diese unsichere Situation zieht schwerwiegende Probleme mit sich. Hartmann kritisiert: “Meine Zukunft und die tausender Studierender ist dadurch ungewiss und kaum planbar. Schon jetzt haben hunderte Absolvierende den Master abgeschlossen und warten auf Weiterbildungsplätze.” Und auch ab 2025 rechnet sie jährlich mit mindestens 2500 absolvierenden Masterstudent*innen, die keine Weiterbildung antreten können. Ihre Forderung lautet also: “Wir brauchen eine vollständige Finanzierung der ambulanten und stationären Weiterbildung im Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz. Nur so kann die psychotherapeutische Versorgung auch in Zukunft sichergestellt werden!”
„Ich würd´ ja gerne Leben retten, aber ich darf nicht.“
Darüber hinaus weist Professor Dr. Heiner Vogel in seiner Rede am Maxplatz darauf hin, dass mehr als ein Drittel der Psychotherapeut*innen im stationären und ambulanten Bereich über 60 Jahre alt sind. Sie werden bald in den Ruhestand gehen. Ohne die Regelung der Finanzierung fehlt für diese Stellen jedoch der Nachwuchs – und das, obwohl die Nachfrage nach Therapieplätzen stetig steigt. Will man sich derzeit für eine Therapie registrieren, kann man mit monate-, wenn nicht sogar jahrelangen Wartezeiten rechnen. Doch in einer “Warteschlange” hängen zur Zeit nicht nur Therapiesuchende, sondern eben auch die zukünftigen Psychotherapeut*innen. “Ich würd’ ja gerne Leben retten, aber ich darf nicht.”, meint Anna-Lena Ditges, Psychologiestudentin aus Bamberg und Mitglied der Fachschaft Humanwissenschaften, und bringt damit die Verzweiflung der Studierenden sowie die Dringlichkeit der Situation auf den Punkt.
Aktiv werden
In den letzten Monaten gab es verschiedene Aktionen, um auf die kritische Situation aufmerksam zu machen. So haben Studierende tausende Postkarten an das Bundesministerium geschickt, in denen sie eine geregelte Finanzierung der Weiterbildung forderten. Außerdem rief die PsyFaKo zu einer Petition auf, bei der 72.000 Unterschriften gesammelt werden konnten – das Ziel: Aufsehen im Bundestag erregen. Eine Verbesserung der gesetzlichen Lage wurde aber noch nicht zugesichert. Wir fragen Lilli Herbelßheimer, Sprecherin der Fachschaft Humanwissenschaften, die die Demonstration organisiert hat, was man jetzt noch tun kann: “Weiterhin Mails an die Politiker*innen schreiben, an die Bundestagsabgeordneten, die in der jeweiligen Stadt sind und Briefe an den Gesundheitsausschuss direkt.” Nach der beendeten Demonstration wirkt sie hoffnungsvoll und betont: “Am 13. November ist die nächste Anhörung und bis dahin kann sich noch was verändern.“