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Wenn Regisseure in Flüsse springen

Wenn Regisseure in Flüsse springen

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  • Endlich sind die Semesterferien da. Aber was fängt man mit der freien Zeit eigentlich an? In unserem Semesterferien Special erzählt jede Woche ein Ottfried-Redakteur, wozu er die Zeit zwischen den Semestern genutzt hat. Dieses Mal: Praktikantin zwischen Süßholzgeraspel, Intrigen und Auferstehung von den Toten. Ein Erlebnisbericht über ein Regiepraktikum am Set von Deutschlands erfolgreichster Telenovela „Sturm der Liebe“.

Am Set steht ein Servierwägelchen im Weg. Ich will ihn wegschieben. Mein Chef, der Regieassistent, hält mich zurück und sagt mir, ich solle keine berufliche Existenzberechtigung untergraben. Ich stocke und verstehe nicht. „Es gibt jemanden, der dafür zuständig ist, den Tisch wegzuschieben“, erklärt er mir. Ich weite die Augen ungläubig und schaue ihn an. Er schmunzelt und sagt: „Ja jeder hier hat seine kleine, aber sehr wichtige Aufgabe.“ Das war mein Empfang am Set von Sturm der Liebe. Eine Einführung in die generelle Arbeitsteilung. Meine Zuständigkeit bestand in der Anordnung von Hintergrundaktionen, damit Bewegung im Bild entsteht und die Szene nicht künstlich wirkt, wenn sich die Hauptdarsteller im 16:9 Format bewegen.

„Helen wo bist du, Helen hol’ mal die Komparsen“, knackt es mir durch mein Headset ins Ohr. Ich hatte mich gerade weggeschlichen, um mit dem Aufnahmetrainee Timo* ein kurzes Schwätzchen zu halten. Bei der Dunkelheit im Studio und ohne etwas zu tun – außer Stühle zu tragen – schläft man sonst im Stehen ein. „Ja, ich komme“, rufe ich, den Aufnahmeknopf gedrückt, und renne die Treppen hoch. Im Aufenthaltsraum für die Komparsen sitzen sieben Gestalten. Manchmal muss man Glück haben, dass der Anteil von Leopardenprint tragenden Jungdamen mit Selbstdarstellungsdrang nicht überwiegt. Leoprint passt nicht an den Fürstenhof. Heute ist die Auswahl angenehm unaufregend, genau wie sie sein soll.

Der Fürstenhof, das ist das Fünf-Sterne-Hotel, das als Schauplatz für die Intrigen von Doris, Charlottes Psychoattacken und die Vorzeigeehe von Alfons und Hildegard dient. Nicht zu vergessen das wechselnde Pärchen, das am Ende einer Staffel immer heiratet. Und gefühlt hat im Laufe der Serie jeder mal etwas mit jedem. Egal, ob Mann oder Frau, der Chefautor Peter Süß schreckt eigentlich vor keiner Konstruktion zurück. Je spannender, desto explosiver sind die Einschaltquoten. Aufgeteilt ist die Kulisse auf drei Standorte, damit das Bild des Luxushotels und die Klischees des Bayrischen Hinterlandes im Fernsehen dann vollständig sind. Meine Dreharbeiten im Außenbereich, außerhalb des massiven Studios im Münchner Süden, beginnen im Januar. Tatsächlich im Schneeregen. Mit UGGs an den Füßen und ohne etwas zu tun zu haben, stehe ich also da. Wenn sich ein Pärchen heimlich an einer Waldhütte trifft, haben Komparsen am Set nicht so viel zu suchen. „Schau erst mal zu.“ Na gut. Nach neun Stunden Zuschauen allerdings sind die Lammfellschuhe irgendwann keine Schuhe mehr, sondern triefendnasse Schwämme. Definitiv die falsche Kleiderwahl. Ich schaue mich um: Alle haben Wanderschuhe und frostfeste Skikleidung an. Das nächste Mal bin ich dick eingepackt.

Dick eingepackt bin ich allerdings mit der Zeit auch ohne Winterkleidung. Und zwar mit einer dicken Schicht Winterspeck. Das Catering am Set ist bombastisch und die Langeweile zwischendurch so massiv, dass Fleischsalatbrötchen meine neue Leibspeise werden. Während ich also Fleischsalatbrötchen esse, Stühle verrücke und unterschiedlichsten Komparsen lautlose Unterhaltungen dirigiere, wird täglich 45 Minuten fertiggeschnittenes Material abgedreht. Im Studio die Innenaufnahmen und auf Landstraßen spektakuläre Motorradunfälle, bei denen der Zusammenprall von Metall und Baumholz im Nachhinein per Ton eingefügt wird. „Unfälle sind zu teuer.“ Der eigentlich tödlich verunglückte Schauspieler taucht dann Staffeln später natürlich doch wieder auf.

Manchmal landet man auch in oberbayrischen Dörfern oder am wirklichen „Fürstenhof“. Das Privathaus eines halbwegs vermögenden Mannes, der anscheinend etwas für Tränen und Drama übrig hat. Oder die gezahlte Miete von der ARD. Die Produktion läuft wie am Fließband. An jedem Wochentag des Jahres wird gedreht, mit Ausnahme einer vierwöchigen Sommer- und einer zweiwöchigen Winterpause. Alle wichtigen Abteilungen inklusive Ton, Schnitt und Postproduktion sind im Gebäude des Studios integriert. Die Bavaria Filmstadt selbst liegt in der Gemeinde Grünwald, direkt am Perlacher Forst. Das ist dort, wo die Hälfte des FC Bayern München in ihren Villen Fifa zocken. In der Filmstadt wurden 20 Jahre Marienhof abgedreht, Das Boot und Die Rosenheim Cops. Neben der gefühlten Dauerinstallation von Sturm der Liebe, kann man bei Besichtigungen momentan sogar den Stuhl umarmen, den Elyas M’Barek als Lehrer in Fack ju Göhte gewärmt hat. Wenn man das denn möchte.

Am Set selbst sind unheimlich viele Menschen involviert. Aufnahmeleiter die rumbrüllen und gestresst Zeitangaben verkünden. Die Schauspieler, die dramatisch noch „in Ruhe bitte“ ihren Text durchgehen wollen. Kostüm, Maske, Requisite, Skript, Regie. Und dann Licht und Technik, die meistens entspannt an ihren Lastwagen qualmen. Noch nie in meinem Leben habe ich das Wort „Angelschatten“ so oft gehört. Der Moment, wenn Licht und Ton sich in die Quere kommen und die Tonangel einen Schatten ins Bild wirft. Aber bei all dem Durcheinander und Gewusel, kann man einen nicht aus den Augen verlieren: das schwäbische Unikat Dieter Schlotterbeck. Bekannt durch seine Regie bei Tatorten, ist er einer der wechselnden Regisseure der Telenovela, aber definitiv derjenige, der einem am längsten im Gedächtnis bleibt. Mit seinen über 70 Jahren, seinem tiefschwäbischen Dialekt und einem gestikulierenden sowie rhetorischen Einsatz, hat er das beste Händchen für schöne Bildkompositionen. Es heißt, er habe sich einmal spontan in einen Fluss geworfen, um dem Schauspieler zu zeigen, wie es richtig funktioniert. Das nennt man doch mal Initiative zeigen.

Vier Monate lang habe ich insgesamt am Fürstenhof gedient, zweimal sogar vor der Kamera als Kellnerin mit Tablett in der Hand. Das war aufregend! Und vier Monate lang habe ich auch viel gelernt. Letzten Endes weiß ich, wie bewundernswert ich gute Filmkunst finde. Und zwar so bewundernswert, dass ich bei Telenovelas heute noch, ohne mit der Wimper zu zucken, umschalte. Es sei denn, es ist eine Folge von Dieter Schlotterbeck.

*Name geändert

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