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“Sie werden freundlich bedient”

“Sie werden freundlich bedient”

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Ich sitze in einem Café in Tanger, Marokko. Es riecht nach Zigarettenrauch, Espresso und viel heißer Luft. Die angespannte Atmosphäre kommt mir wie ein krasser Widerspruch zu der fröhlichen Mentalität der fast ausschließlich schwarzafrikanischen Kundschaft vor. „Wie geht’s?ˮ – „Es geht ein bisschenˮ, lautet die standardisierte Begrüßung. Als einziger Gast anderer Haarfarbe ziehe ich viele Blicke auf mich. Hin und wieder kommt jemand vorbei, setzt sich an meinen Tisch und wir wechseln ein paar Worte. Die meisten sind aus Kamerun oder dem Senegal gekommen, haben nur das dabei, was sie am Körper tragen. Fast alle sind gelaufen, bis an die Nordküste Marokkos – quasi einen Steinwurf entfernt von Gibraltar. Sie alle teilen die Hoffnung darauf, dass in Europa alles besser wird.  Täglich erbetteln sie stundenlang Geld an den Straßenkreuzungen großer Städte Nordafrikas, klopfen an die Fensterscheiben teurer Autos, in der Hoffnung, sich nach ein paar Monaten einen Platz in den zahlreichen Booten leisten zu können, die jeden Tag irgendwo an einem verlassenen Strand in Richtung Norden aufbrechen. Die Ausbeute guter Tage beträgt ungefähr fünf Euro, für die Überfahrt bezahlt man auf den billigsten Plätzen 500 Dollar. Die gefährliche Fahrt schreckt hier, kurz vor dem Ziel, niemanden mehr ab. Zu groß sind die schon erlebten Strapazen.

„Herzlich Willkommen!ˮ

Mir wird bewusst, dass ich an einem jener Orte gelandet bin, die als Anlaufstelle sowohl für Flüchtlinge als auch für deren Schleuser gelten. Hier werden Kontakte geknüpft und Geschäfte gemacht, in einer Seitengasse zwar, aber eigentlich ganz öffentlich. Vielleicht sitze ich gerade mit einer kompletten Bootsbesatzung im Café und trinke Espresso. Ich schicke mich an, das zwielichtige Café wieder zu verlassen. Am Eingang sehe ich ein großes Schild, das, abgesehen von mir, wahrscheinlich niemand versteht. An diesem Ort scheint es wie purer Sarkasmus, dass da in meiner Muttersprache geschrieben steht: „Wir sprechen Deutsch! Hier sind Sie herzlich willkommen und werden freundlich bedient.ˮ

Sind Flüchtlinge in Deutschland willkommen? Wie geht es jenen, die fernab ihrer Heimat und unberührt von jeder öffentlichen Debatte in einem Flüchtlingsheim in der fränkischen Provinz gelandet sind? Zusammen mit zwei Kommilitonen versuche ich, mir einen Eindruck zu verschaffen: Wir besuchen ein Wohnheim in der Nähe von Bamberg, in dem einige Flüchtlinge untergekommen sind.

Von Ämtern und Behörden

Unser Fahrer, der uns aus Bamberg abholt, verspätet sich etwas. Kurz vor der geplanten Abfahrt meldet sich ein Klient bei Michael, der für den Migrationssozialdienst der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Bamberg allein sechs Asylbewerberheime zu betreuen hat. Dort berät er bei allen offenen Fragen. 480 Asylbewerber gibt es in Bamberg Stadt, 460 sind es im Landkreis. Laut offizieller Richtlinie dürfen bis zu 150 von ihnen auf einen Sozialarbeiter kommen. Es gibt viel zu tun.

30 Minuten später halten wir vor einem Wohnhaus in Walsdorf. Durch einen kleinen Gang gelangen wir in einen freundlichen Eingangsbereich mit gelben Wänden und marmorierten Fliesen. Treppen führen ins Unter- und Obergeschoss. Wie lange die Bewohner hier bleiben, hängt von der zuständigen Stelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ab, die jeden Fall einzeln prüft, und von der Sicherheitslage im Herkunftsland des Antragstellers. Syrer bekommen dementsprechend bald eine Aufenthaltsgenehmigung ausgestellt, andere Fälle können sich um Jahre hinauszögern. Oft forschen die Behörden sogar im weiteren Umfeld der Antragsteller, prüfen die Lage in deren Nachbardörfern.

Zu Gast bei Gästen

Ein Stockwerk tiefer betreten wir die Terrasse, unter der sich ein großer Garten ausbreitet. Schnell bekommen wir Gesellschaft aus allen Teilen des Hauses. Keiner kennt uns, doch wir werden mit einem Lächeln begrüßt. Jemand serviert Tee, Michael schlägt derweil einen dicken Ordner und zwei Notizbücher auf. Ein Mädchen im Teenager-Alter und ihre Mutter kommen dazu. Erstere möchte über die Schule reden, ein Mann wartet seit über einer Woche auf die Verlängerung seines Ausweises. Augenscheinlich freuen sich alle über Michaels Besuch. Ein Vertrauensverhältnis herzustellen, wird er uns auf der Rückfahrt sagen, sei oft gar nicht so einfach, auch aufgrund der Sprachbarriere. Häufig werde er für ein Regierungsmitglied gehalten und müsse sich zuerst erklären. Werde die Beratung dann angenommen, sei es eine Herausforderung, sich nicht für alles verantwortlich zu fühlen, von den Schicksalsschlägen und Katastrophenerzählungen aus erster Hand ganz zu schweigen.

Binnen zwei Minuten ist Michael mit Telefonaten und Kalendereinträgen befasst. Wir sehen uns in der Zwischenzeit um. Der Garten ist weitläufig und größtenteils ungepflegt. Ein paar frisch angelegte Beete bilden die Ausnahme. Hinter dem Haus treffen wir auf eine Gruppe Männer, die um den Eingang eines Nebengebäudes herumsteht, ringsum stapeln sich Zementsäcke. Bei einer Runde Händeschütteln lernen wir die Betreiber des Heims kennen, Vater und Sohn Sendzikowski. Ihre Jugendherberge funktionierten sie gänzlich in ein Asylbewerberheim um, kurze Zeit später kauften sie auch das Haus in Walsdorf, renovierten und machten es bezugsfertig. Momentan beherbergt es 15 Bewohner. Die helfen fleißig mit, und so entsteht aktuell das „Café Asyl“, ein Treffpunkt für alle Bewohner des Hauses. Das Schlimmste für die jungen Männer sei die Untätigkeit, sagt der Betreiber. Bei ihm packen die Leute mit an, fühlen sich besser und beide Seiten profitieren davon.

Stacheldraht und Kuchenduft

Als uns ein Mann aus Afghanistan ein Handyvideo zeigt, bekommen wir einen Eindruck von den persönlichen Schicksalen der Menschen, die meist hinter einer freundlichen Fassade verborgen bleiben. Er gibt uns zu verstehen, dass er in Griechenland in ein Gefängnis gesteckt wurde. Das, was wir sehen, seien dort die normalen Lebensbedingungen für Flüchtlinge. Man erkennt Stacheldraht, Schwerbewaffnete und zusammengepferchte Menschen. „Das Einzige, was ich getan hatte, war, dort anzukommen“, sagt er, noch immer ungläubig.

Herr Sendzikowski junior führt uns durch das Gebäude. Was von außen wie ein Einfamilienhaus aussieht, hat nun die Ausmaße einer kleinen Villa. Im Obergeschoss machen wir – nicht ohne Folgen – einer Dame ein Kompliment zu dem leckeren Kuchenduft. Er entströmt der nach bestem WG-Vorbild voll ausgestatteten Gemeinschaftsküche. Uns wird die Einrichtung der Zimmer präsentiert – Stockbetten, Kleiderschrank, Sitzecke, Kühlschrank und ein Regal.

Sicherheitshalber unauffällig

„Anfangs hatten wir Probleme mit den Anwohnern“, erzählt Sendzikowski wenig später bei einem aserbaidschanischen Nusskuchen. Viele waren skeptisch, bislang hatten die meisten wenig Kontakt mit Ausländern. Die Abwesenheit des Fremden ist offensichtlich der beste Nährboden für Vorurteile und Ablehnung. „Die Leute fingen an zu tuscheln, einige taten ihren Unmut auch direkt kund.“ Um eine große Protestbewegung zu vermeiden, klärte er die Nachbarn erst unmittelbar vor dem Einzug der Flüchtlinge über die bevorstehende Eröffnung des Heims auf. Nachdem er mit den Asylheimbewohnern bei einigen Gelegenheiten am Dorfleben teilgenommen hatte, normalisierte sich das Nach- barschaftsverhältnis. Inzwischen sehe er keine Probleme mehr, größere Vorfälle habe es zumindest in einem der von ihm gestellten Heime noch nicht gegeben. Das Flüchtlingsheim wurde dennoch so unauffällig wie möglich konzipiert. Nur im Eingangsbereich hängen zusätzlich Überwachungskameras.

Auf der Rückfahrt nach Bamberg erstaunt uns immer noch, wie normal das alles wirkt. Wohl auch, weil die meisten über ihre Erlebnisse, Verluste und Erniedrigungen nicht reden möchten. In Walsdorf haben wir sicher eines der positivsten Beispiele erlebt. Andernorts in Deutschland herrschen Überfüllung, Streitigkeiten und Hilflosigkeit. Doch solcherlei Beispiele zeigen, dass durch den Einsatz engagierter Betreiber und die Arbeit der Sozialhelfer vor Ort eine freundliche Aufnahme gelingen kann.

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