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Gans schön betrunken — RiP 2015

Gans schön betrunken — RiP 2015

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  • Es ist der wohl längste jemals veröffentlichte Artikel im Ottfried. Aber: was unser Redakteur Arthur Hiller bei Rock im Park 2015 erlebt hat, kann man nicht kürzer fassen. Schonungslose Details, und Fotos der ungeschönten Wahrheit. Für uns hat er ganz genau aufgepasst. Wer dieses Jahr nicht dabei war, fühlt sich nach dieser Reportage trotzdem so, als wäre er mittendrin gewesen.

Freitag, 5. Juni.

Ich wache auf. Ein Blick auf die Uhr: 10:30. Scheiße! Ich bin über meinem Outdoor Rucksack beim Packen eingeschlafen. Die letzten Sachen reingeschmissen: ne Rolle Klopapier, ne Taschenlampe und – ganz wichtig – Dosenravioli (ein perfekter, reichhaltiger Snack für Jung und Alt, im warmen und im kalten Zustand „genießbar“). Eigentlich wollte ich bereits gestern losfahren. Da ich aber am Vorabend in der Kneipe schaffen musste, komme ich erst heute, am ersten Festivaltag los, so spät wie noch nie – auf zu Rock Im Park 2015.

Wobei, noch nicht ganz. Ich steige in mein Auto und fahre zum nächstbesten Supermarkt und versuche noch Dosenbier zu ergattern, im Optimalfall das gute 5.0er. Im Regal finde ich gähnende Leere vor. Einzig ein Dosenradler siecht einsam vor sich hin. Ich greife zu. 2.5, das gute, unkommerzielle Radler in der unverkennbaren metallic-grünen Dose, ist multifunktional einsetzbar, ob zum Zähneputzen, wenn man gerade kein Wasser zur Hand hat, als Frühstücksalternative oder einfach nur zur Erfrischung für zwischendurch – ein absolutes Muss! Leider kein Bier, also weiter zum nächsten Getränkehandel des Vertrauens. Ich schnappe mir die letzte Palette Prost Export und endlich geht’s los. Kurz vor 12… Zeit wird’s. Glücklicherweise beträgt die Entfernung von Bamberg nach Nürnberg nur 60 km, denke ich mir. Ich fahre los und komme – trotz einiger nerviger, aber wohl doch obligatorischer Baustellen – nach nur 40 Minuten an der Autobahnausfahrt „Messe“ an. Am Klinikum Süd vorbei und der Beschilderung gefolgt. So weit, so gut. Was dann folgt, ist aber ein Debakel. Ich folge kilometerlang diversen Beschilderungen und Displays, immer wieder kreuz und quer um den Dutzendteich herum… und immer wieder die Ernüchterung: Parkplatz voll, keine Zufahrt, nur für VIPs, nur für Presse (hätte ich mich mal doch akkreditieren lassen) und verfahre mich übel. Handynavi kann ich vergessen. Zu viele Polizisten unterwegs. Nach einer wahrlichen Parkplatzsuchodyssee – in dieser Zeit hätte ich noch zwei mal nach Nürnberg fahren können – stelle ich mein Auto schlussendlich auf einem Fahrradweg ab, so wie viele andere auch. Mein erster Eindruck: Not macht vor allem auf Festivals erfinderisch. Unfassbar, wie Autos Reih um Reih nach Pariser Mustermanier aneinandergequetscht stehen, teils mit der gesamten Aufhängung auf Verkehrsinseln.

Fast da!

Ich entlade meinen Wagen gar nicht großartig, Schuhe gewechselt und Jutebeutel umgeschnallt, und los geht’s. Mir begegnen T‑Shirtträger mit Aufschriften von Bands aller Couleurs. Ich nähere mich dem Festivaleingang, idyllisch am See gelegen… wenn es nur nicht so heiß wäre! Der Einlass geht recht flott von Statten: Ticket vorgezeigt, Arm in irgendeinen Apparat rein, der das Handgelenk mit einem getuckerten Bändchen füttert und zwei Müllbeutel geschnappt. Nach einer halben Stunde Warterei an der Schleuse, in der Nacken und Gesicht bestimmt drei mal verbrannt sind – böse Sonne — komme ich endlich rein. Mir schlägt der typische Festivalgeruch aus Schweiß, Hochprozentigem und Tabak entgegen. Die Sonne strahlt – nach zuvor beschissenem Wetter – gnadenlos vom Himmel. Glücklicherweise bekomme ich von zwei Festivalbesuchern etwas Sonnencreme, zumindest so viel, um Gesicht und Nacken vor der massiven Ultraviolett-Strahlung zu schützen. Nach unendlicher Steherei – alleine ist das besonders langweilig und anstrengend – betrete ich endlich das Festival.

Willkommen bei RIP 2015!

Vorbei an den ersten „Souvenir“-Shops und durch die Fressmeile gekämpft, direkt zur Zeppelinstage (Hauptbühne). Aus der Entfernung höre ich schon die Eagles of Death Metal, einer Rock´n´Roll Band, deren sexy Sänger den pornösesten Schnurrbart seit Tom Selleck (bekannt aus Magnum) trägt. Ich tanke mich durch die Campingplatzmeute zum Reichstagsgelände vor, stelle mich rechts in den Wellenbrecher der Zeppelinstage (völlig untypisch: das Ding wird von einem riesigen schwarzen Steg halbiert) in die pralle Sonne und höre mir das Gitarrengeschrammel der Band an. Im Getümmel erblicke ich den Heiland: der Eismann. „Ein Cola-Wassereis, bitte!“ Der Himmel. Ich gebe ihm 2,50 Euro und er quält sich weiter durch die Menge. Während ich genüsslich mein Eis vergenusswurzele, versuche ich meine Leute zu erreichen. Kein Netz – wieso auch sollte auf einem Festival organisatorisch auch mal etwas glattlaufen? Zufälle gibt’s aber auch immer wieder: in der anderen Hälfte des Brechers entdecke ich meinen sichtlich angetrunkenen peruanischen Kumpel Luigi. Er winkt mir, ich gehe rüber, er ist weg. Ich suche gefühlt das ganze verdammte Bühnengelände nach ihm ab. Nichts! Dann weiß ich halt weiterhin nicht, wo wir zelten. Kein Problem, ich habe ja eine perfekte telefonische Wegbeschreibung meines Zeltmitbewohners: „Du gehst an der zweiten Stage vorbei und in den Jurassic Park rein (???), bei den Fresständen ganz durch und auf der gegenüberlegenden Seite von Giorgio´s Pizza noch 50 Meter weiter und dann rechts. Da ist dann mein Zelt.“ Kurzzeitig überlege ich, ob das einfach in Maps eintippen soll… Schicksal: auf dem Weg zum Campingplatz treffe ich Luigi. Leider beeinträchtigt der Alkohol seine Orientierungsfähigkeit etwas.

Wo zur Hölle ist der Zeltplatz?

Nach fünf Anläufen führt er mich zu unserem Zeltplatz am See. Ich freue mich, meine Leute aus der Heimat endlich mal wieder zu sehen und das erste kühle Dosenbier gleitet die Kehle hinunter. Aah, ist das gut. Wir quatschen etwas – zugegeben, es gestaltet sich etwas schwierig, wenn man das einzig nüchterne Individuum ist. Zum Kennenlernen der Nachbarn eignet sich – natürlich – die Festival-Volkssportart Nummer Eins: Flunky Ball. Denn Flunkyball verbindet. Ziel des Spiels ist es, die eigenen Biere (jeder Spieler der beiden sich gegenüberstehenden Teams hat zu Beginn eine volle Dose für sich), auszutrinken, bevor der Gegner dies tut. Im Wechsel versuchen die beiden Teams mit einem Spielgerät (das kann eine Dose sein, ein Tennisball, Batterien etc.) eine mit Wasser gefüllte Plastikflasche in der Mitte aus gleicher Entfernung zu treffen. Trifft einer, dürfen seine Mitspieler so lange an ihren Bieren nuckeln, bis die gegnerische Mannschaft das Spielgerät geholt und die Flasche wieder aufgestellt hat. Nach diversen Runden begeben wir uns, gut angeheitert, zum Gelände und kämpfen uns zum ersten Hauptact vor: Foo Fighters um Ex-Nirvana-Drummer Dave Grohl. Sie spielen einen ihrer größten Hits der 90er gleich zu Beginn: „Everlong“. Den Refrain kennt jeder und die bestimmt 20000 Leute unterstützen Dave Grohl lauthals. Während des Gigs wird dann auch endlich klar, was es mit diesem schwarzen Steg (siehe oben) auf sich hat. In bester Video Music Awards-Manier spielt die Band darauf. Nach kurzzeitigem Verschwinden von der Bühne, tauchen die Foo Fighters auf eben jenem auf einer Plattform am Ende des Wellenbrechers auf. Blöde Floskel, aber hier sehr passend: Stars hautnah zum Anfassen. Den Abschluss des zweieinhalbstündigen Gigs bildet „Best Of You“, eine weitere Hymne dieser congenialen Musiker. Auf der zweiten Stage spielen meine Jugendhelden: die maskierten Nu-Metal-Herren von Slipknot. Spätestens bei Duality („I push my fingers into my eyes. It´s the only thing that slowly stops the ache!“) tobt der Park. Eine abgefahrene Pyro-Show und ein nicht definierbares Bühnenkonstrukt verleihen der Show noch mehr Power, egal, wo man steht, der Moshpit-Flut kann keiner entkommen. Zur Entspannung suche ich das Pall Mall Partyzelt auf. Sonnenbrille auf (sic!) und etwas zu Dirty Doerings elektronischen Sounds gestampft. Das überrascht mich auf Rock Festivals immer wieder. Die musikalische Toleranzschwelle der vermeintlichen Metalheads und Indiechicks. Sie feiern auch House und Clubsounds, und wie. Schönes Geschrammel, aber jetzt ist es halb 4, husch, ab ins Bett, äh Zelt.

Samstag, 6.Juni.

Ich wache in unserem Drei-Mann-Zelt schweißgebadet bei 86° (und es wird noch heißer) auf. Erstma Frühstück: Schnittbrot, die guten veganen Aufstriche vom Discounter und DAS Frühstücksradler (siehe oben). Dem Nachbarn von nebenan, der dich gestern Nacht zuvor noch mit seinen Beziehungsproblemchen – seine Ex, mit der er sage und schreibe einen ganzen Monat zusammen war, ist mit ihrem „neuen Macker“ da – vollgequatscht hat, noch guten Morgen gesagt und ab geht’s: der beschwerliche Gang zu Klo und Dusche. Wenn ich mich auf meinem Walk Of Fame (Insider für Menschen, die mit Klopapier in der Hand unterwegs sind) so umsehe, merke ich schnell, wer hier wie lange gefeiert hat. Ich nenne das Ganze „Augenringe-Indikator“. Bei angenehmen 36° Celsius schleppt sich nicht nur mein biergestählter Körper in die Dusche. Die Länge der Schlange übertrifft alles. Ich stehe bereits seit einer Stunde an … in mir brodelt es. Fraglich, ob das auf das Essen vom China-Fressstand von Dr. Dr. Chang (irgendwann haben wir ihn so getauft; warum das so ist? Keinen blassen Schimmer), zurückzuführen ist, oder doch auf die Hitze und die Wartezeit, die ich alleine schon zuvor in der Toilettenschlange über mich ergehen lassen musste. Über Preise beschwere ich mich nicht. Für halbwegs saubere sanitäre Anlagen bezahle ich gerne (0,50 Euro für´s Klo; 2,50 Euro für die Dusche), warum man aber Toiletten und Duschen durch zwei Kassenschlangen trennen muss, ist für mich reine Schikane. Das ist total bescheuert. Nach diesem Exkurs in die Sphären der Sinnhaftigkeit dieses logistischen Kunststücks zurück zur Dusche: mehrere Wagen mit Duschkabinen. Endlich bin ich an der Reihe! Ich öffne die Kabine und was grinst mir da frech entgegen? Ein richtig schöner Haufen. Da hat wohl jemand meinen Diskurs über den Sinn der WC-Duschen-Trennung dynamisch-transaktional in die Praxis umgesetzt. Also noch einmal gewartet. Die nächste Kabine ist sauber und die Dusche grenzt an eine Offenbarung. Frisch geduscht und auf den 200 Metern zurück zum Zeltplatz wieder schwitzend, kann der Tag starten. Zum Kennenlernen neuer Menschen eignet sich – natürlich – die Festival-Volkssportart Nummer Eins Flunky Ball. Denn Flunkyball verbindet. Für das Spektakel werfe ich mich in mein Brose-Baskets-Wendetrikot und eine Hawaii-Badehose, das richtige Schuhwerk habe ich in Form meiner Badelatschen nach dem Duschen schon an.

Die besoffene Gans

Nach fünf, sechs Runden mit freundlichen Mainzern, die uns zwischendurch auch mal mit Captain Cola versorgen, sind wir gut drauf. Denn Flunkyball verbindet, haben wir gelernt. Wir kommen mit diversen Leuten ins Gespräch. Flunkyball-Smalltalk? Währenddessen dreht der erste Festivalgossip seine Runden. „Habt ihr gehört. Alter, gestern is´ ne Graugans im Sanizelt behandelt worden. Die wurde besoffen am Ufer aufgefunden, muss wohl ´n halbes Bier gesoffen haben aus ´ner Dose, die umgekippt is´. Anscheinend hat sie sogar gekotzt.“ Wir stellen unsere Partie mit unseren neuen Flunky-Kollegen aus Mainz kurz ein und brechen vor Lachen ab. „Nicht dein Ernst?“, „Geil!“ Das macht die Hitze etwas erträglicher. Wir zocken noch fünf, sechs weitere Runden, alles ganz standardisiert und unspektakulär. Diese tragische Graugans-Geschichte lässt mir aber keine Ruhe, also unterhalte ich mich mit ein paar Leuten darüber. „Gerstenkomplott!“, „Bierattentat!“, so das Gros. Die morgen auftretende Band Interpol ist auch schon an der Sache dran.

Ich freue mich, dass Tiere auf Festivals endlich zugelassen sind.
Denn mein Kumpel ist selbst ein Schwein

Der sichtlich beunruhigte Festivalbesucher Rob C. berichtet: „Ich erinnere mich. Es war mittags herum, als mich diese Hiobsbotschat erreichte. Ich habe mich um meinen Scheiß gekümmert, und dann das. Ich freue mich, dass Tiere auf Festivals endlich zugelassen sind. Denn mein Kumpel ist selbst ein Schwein, weshalb ich bis dato jede Festivalsaison ausfallen lassen musste. Jetzt, endlich, wollte ich meine Brüder und Schwestern unterstützen, und dann verübt irgendso ein graugansophober Irrer diesen Anschlag auf die arme, wehrlose Graugans. Ich bin fassungslos! Nach meinen Informationen handelt es sich bei der Tatwaffe um ein Gemisch in einem zylinderförmigen Behältnis. Martin Luther King höchstpersönlich wäre auf diesen selbstlosen Einsatz der Gans stolz gewesen.“ Genau, I have a dream, äh, beer. Ein schwerer Schlag für die RIP-Gemeinde.

Samstag Nachmittag.

Wir begeben uns zur Mainstage und möchten in den Wellenbrecher. Auf der Schleuse steht ein Security und hält Schilder hoch, auf denen unter anderem steht „Habe keine Stimme mehr! Ihr seid geil, feiert eine gute Party!“ Er entpuppt sich als wahrer Entertainer und hält die paar hundert Besucher mit Laolawellen und einem Ball bei Laune, die bei dieser sengenden Hitze auf den Einlass warten. Endlich kommen wir rein. Wenigstens so aus der Nähe noch die letzten Metalcore-Tracks von A Day To Remember hören. Es folgen die Deutschpunk-Ikonen der Broilers. Mit ihrem ska-lastigen Sound und Mitgröhl-Songs verzaubern sie die Menge. Dann beginnt die Höllenzeit. Irgendwo schnappe ich auf, dass vor der Bühne ein Spitzenwert von 38 Grad gemessen wurde. Die Wartezeit zwischen Broilers und Rise Against ist eine Farce, zumindest gefühlt. Völlig dehydriert und mit angeschlagener Stimme stecke ich mir eine Kippe an – völlig kontraproduktiv, aber so geht die Zeit wenigstens rum. Dann ist es endlich soweit, Rise Against, meine absoluten Mittelstufen-Helden, betreten die Bühne und zerlegen mit ihren druckvollen Melodic Hardcore von der ersten Minute an alles! Ich kenne jedes Lied, springe in jedem Circle-Pit mit und schreie aus tiefster Seele mit. Scheiß auf die malträtierten Stimmbänder. It´s Rise Fuckin´ Against!! Tim McIllraths brachiale Stimme – ich liebe sie einfach. Gegen Ende beweisen die Jungs dann, dass sie auch weichere Töne erklingen lassen können und Tim spielt akustisch Swing Life Away und das in Ottfried-Jam-Kreisen sehr beliebte Hero Of War. Danach geht’s bei Savior nochmal rund. Nach Rise Against krieche ich auf allen Vieren aus dem Wellenbrecher und kaufe mir am Bierstand ein 0,3er Wasser. Ich bekommen es wirklich nur in ganz kleinen Schlücken runter. Der Großteil der Menge tut es mir gleich. Alle sind sichtlich durch den Wind. Ich gehe raus aus dem Stadion und hole mir einen veganen Döner. Der Oberknüller! Ich stehe vor der Entscheidung: Die Toten Hosen oder Marylin Manson. Da ich wirklich völlig im Eimer bin, entscheide ich mich für die Hosen aus der Distanz. Sie spielen eine solide Show. Hosen halt! Die werden immer 20 bleiben. Auf zum Zelt!

Samstag Nacht.

Endlich setzt etwas Regen ein, leider spät. Ich will nur noch pennen. Doch wer macht mir einen Strich durch die Rechnung? Genau, das Wetter. Ein Sturm zieht auf und es bildet sich ein Gewitter, das unaufhaltsam radial um den Campingplatz zieht. Blöde Seen, denke ich mir. Wir erfahren, dass gestern bei Rock Am Ring 33 Leute vom Blitz getroffen wurden. Und prompt kommt die Durchsage: „Achtung, Achtung! Evakuierung. Bitte begebt euch zum nächsten Ausgang!“. Zwei Uhr nachts. Mittlerweile ist es richtig kalt, aber ich glühe noch. Es beginnt zu regnen, und wie. Es gießt aus allen Eimern. Wir beeilen uns Richtung Ausgang. Draußen sollen wir in irgendeine Schutzhalle, die finden wir aber nicht. Klar, wieso auch? Stattdessen sehen wir eine Tankstelle, unter deren Dach nicht nur wir uns flüchten. Viele haben hier bereits ganze Quartiere aufgeschlagen. Der Tankstellenart macht mit seinem Verkauf noch einmal das Geschäft seines Lebens. Nach gut fünf Minuten ertönt elektronische Musik. Ich blicke um die Ecke. Hat da doch tatsächlich einer eine riesen Theke aufgebaut und ein Set gestartet. Und los geht’s. Tankstellenrave an der Zapfsäule. Die durchnässten Besucher feiern, als gäbe es kein Morgen mehr. Typisch Festival halt. Ausnahmezustand. Ich geselle mich zu den Leuten vor die Theke und stampfe stundenlang mit. Meine Leute sind fix und fertig, wie viele andere auch, im Halbschlaf. Irgendwann kommt die Erlösung. Wir dürfen zurück zu unseren Zelten. Das Gewitter tobt noch, aber das ist uns herzlich egal. Hauptsache pennen!

Sonntag, 7. Juni.

Angesagt 23°, Realität: 30°. Was gibt es da besseres als Flunkyball? Ich möchte euch in diesem Abriss nicht länger mit Details langweilen. Ich gebe mir Royal Republic, Interpol (die Graugans-Ermittler), bewundere Kraftklub beim Wettcrowd-Surfen, zu deren Gang ich mich nach diesem Gig zähle („Ich komm´ aus Karl-Marx-Stadt. Bin ein Verlierer, Baby. Original Ostler!“) und sterbe bei den Big Beat-Pionieren von The Prodigy, weil alle 15 Sekunden ein Crowdsurfer auf mich drauffällt. Vor allem als „Omen“ ertönt, gibt es kein Halten mehr. Die Waliser stellen jedes Mal aufs Neue unter Beweis, dass man sich auch bei elektronischer Musik wie in einem Karussell fühlen kann. Headbanger, Circle-Pits und die beiden völlig abgefahreren Frontmänner, die dem Publikum einheizen. Als Late Night-Act spielen noch Enter Shikari auf der dritten Stage im Eisstadion. Mit ihrem Trancecore (oder auch Technometal) haben sie die Metalwelt revolutioniert. Ja, richtig gelesen. Sie verbinden Metal mit technoiden und Trance-Sounds. Die Halle ist voll, auch auf den Rängen. Gleich als Viertes spielen für alle Fans, die von der ersten Stunde an dabei waren, „Sorry you´re not a winner!“
Absurd: Während des Gigs springt der Gitarrist mit beiden Beinen voraus und der Gitarre in der Hand in die Menge und verschwindet in der Traube. Plötzlich steht der Kollege in der Luft. Er spielt auf den Händen der ausgestreckten Arme der Meute auf seiner Klampfe. Unfassbar!!

Eine Wahnsinnsshow beendet Rock Im Park 2015. Bekannte Bamberger Gesichter muss man ja auch mal treffen. Das habe ich mir bis zum Schluss aufgehoben. An dieser Stelle Grüße an Ina, Basti und Tobi, die ich bei Enter Shikari getroffen habe.

Letzter Abend.

Beim dritten Gute-Nacht-Bierchen sitze ich im Zelt und schreibe meine Gedanken zusammenhangslos auf. Eine Art Stream of Conciousness. Habe ich mich anders verhalten, weil ich für den Ottfried da war? Nein, lediglich genauer hingeguckt.

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