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Meine Straße, deine Straße

Meine Straße, deine Straße

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Der Radweg in der Langen Straße ist weg. Was unter den Radfahrern wenig Begeisterung hervorruft, sollte eigentlich zu ihrem Wohl sein: Endlich sind sie nicht mehr gezwungen, den engen Radweg zu benutzen, sondern können sich auf der Straße austoben! Der Umweltsenat des Stadtrates von Bamberg glaubt fest an ein friedliches Miteinander von Rad‑, Auto- und Busverkehr. Nähmen alle soviel Rücksicht, wie sie sollten, ergäbe das sogar Sinn.

Dienstag, 19.05.2015, kurz nach 14 Uhr. Nach und nach trudeln ein paar Radfahrer auf dem Maxplatz ein – wegen der Fußgängerzone vorschriftsmäßig ihre Räder schiebend – und versammeln sich direkt unter den Fenstern des Großen Sitzungssaales. Dort berät der Umweltsenat unter anderem über die Verkehrssituation in der Langen Straße. In der wurde auf der rechten Seite der Radweg entfernt und die Radler zu den Autos auf den Straße geschickt.

Flashmob unterm Fenster

„Das Radverkehrskonzept der Stadt ist furchtbar“, findet Hendrike, die an der Uni Bamberg den Master „Ethik im öffentlichen Raum“ studiert, und verweist auch auf die abgeschafften Radwege auf der Pfisterbrücke. Sie hat gemeinsam mit einem Freund den Flashmob auf dem Maxplatz angemeldet – angemeldet deshalb, weil Tanz- und Spaßflashmobs zwar jederzeit spontan stattfinden dürfen, politische aber eher Demonstrationscharakter haben. Dafür haben sie auch mehr Rechte und die Teilnehmer können nicht einfach weggeschickt werden. Außerdem hatte der Fränkische Tag die Aktion schon angekündigt. Wegschicken will die engagierten Radler jedenfalls niemand. Oben im Sitzungssaal wundert sich nur jemand über das Klingelkonzert: „Wogegen demonstrieren die denn? Oder demonstrieren sie für etwas?“

Nicht ohne meinen Parkplatz

Als die Senatssitzung beginnt, wird das Thema „Lange Straße“ auf Antrag von Gertrud Leumer von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN/Alternative Liste gleich von Tagesordnungspunkt 17 auf Punkt 1 vorverlegt – es ist ja nicht so, dass dem Umweltsenat das öffentliche Interesse entgangen wäre. Es ist ja auch nicht so, dass die Stadt die Lange Straße umgestalten würde, weil ihr sonst langweilig würde. Schon 2012 wurden die Grundsteine für die jetzigen Aktivitäten gelegt. Mitentscheiden durften damals neben Behördenvertretern auch Anwohner und Gewerbetreibende. Thomas Beese, Verkehrsreferent, erklärt, wie der Plan für die Lange Straße aussieht – mit Radverkehr auf der Straße, Baumkübeln auf den Gehwegen und ursprünglich auch ohne Parkplätze an den Straßenrändern. Auf letztere wollte die Mehrheit im Stadtrat dann 2012 aber doch nicht verzichten.

Ich habe regelrecht darauf gewartet, dass wenigstens jemand hupt. Das ist nicht passiert

Veni, vidi, Mischverkehr

„Mischverkehr“ heißt das Zauberwort, das Sicherheit für alle schaffen soll, wenn Autos und Fahrräder gleichberechtigt auf der Fahrbahn unterwegs sind, einander sehen und respektieren. Eigentlich nämlich ist die Aufhebung von Radwegen eine Maßnahme für den Radverkehr – und nicht dagegen. Blau markierte Radwege unterliegen einer „Benutzungspflicht“, d. h., dass Radfahrer zwingend dort fahren müssen, selbst wenn auf der Straße nichts los ist und sie dort schneller und bequemer vorankämen. Bei Nichtbeachtung dieser Benutzungspflicht droht ein Bußgeld von 20 Euro. Mit dieser Bevormundung wird jetzt zunehmend aufgeräumt, es entstehen Schutzstreifen auf der Straße oder eben Mischverkehr. Wenn man dem Verkehrsreferenten Beese zuhört, will man ihm nur zu gern glauben, dass das zumindest in der Langen Straße gut funktioniert. Laut Verkehrszählung fährt die überwältigende Mehrheit der Autos dort sowieso langsamer als 25 km/h, und dass Radfahrer weggedrängt oder angehupt worden wären, ließ sich, auch nachdem der Radweg entfernt wurde, bei einer Verkehrsbeobachtung nicht feststellen: „Ich habe regelrecht darauf gewartet, dass wenigstens jemand hupt. Das ist nicht passiert.“

Erwartung trifft Realität

Moment, mag sich der geneigte Radfahrer denken. Ist mir nicht gerade gestern auf der Memmelsdorfer Straße jemand ziemlich dicht aufgefahren? Und ist nicht in der Willy-Lessing-Straße direkt vor mir ein älterer Herr fast über den Haufen gefahren worden? Ja, aber das war nicht in der Langen Straße. Da sind vor allem Radfahrer über Fußgängerwege gefetzt und auf der falschen Straßenseite gefahren. Respekt sieht anders aus. Und dann hatte da doch wieder jemand den Radweg zugeparkt. „Es kann nicht Aufgabe des Stadtrates sein, auch noch Verkehrserziehung zu betreiben“, findet Dr. Franz-Wilhelm Heller von der CSU und verweist auf Paragraf 1 der Straßenverkehrsordnung: Wer am Verkehr teilnimmt, hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.

Hendrike fragt sich, ob so starke Verkehrspolitik aussieht. Foto: Lena Zarifoglu

Reichlich Luft nach oben

So ganz scheint das in Bamberg noch nicht zu klappen, sonst wäre beim Fahrradklima-Test des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs vielleicht auch etwas mehr drin gewesen als eine 3,77 als Gesamtnote. 414 Befragte haben das Radfahren in Bamberg anhand von Schulnoten in 27 Fragen bewertet. Deutschlandweit haben sich über 100.000 Menschen an der Befragung beteiligt und ihre jeweiligen Städte bewertet – die wenigsten schnitten gut ab und selbst die 12 Spitzenreiter erreichen nur Werte zwischen 1,94 und 3,33. Verkehrsreferent Beese sieht den Grund dafür auch in ständig steigenden Erwartungen vor allem in solchen Städten, die schon seit Längerem an der Verbesserung der Radinfrastruktur arbeiten. Doch Peter Gack von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN/Alternative Liste betont: „Wenn wir das Ziel erreichen wollen mit 30 % Radverkehrsanteil, dann müssen wir einfach mehr tun.“

Das sieht auch Harald Pappenscheller vom ADFC Bamberg so. „Der ADFC spricht den planenden Behörden der Stadt nicht die Bereitschaft ab, für Verbesserungen zu sorgen“, sagt er. Aber: „Sobald dies zu Lasten des motorisierten Individualverkehrs geht, fehlt jegliche Bereitschaft insbesondere in der Bamberger Politik.“ Zwar sei der ADFC in zwei städtischen Gremien vertreten, die sich mit Radwegen, Verkehrsführung und Abstellplätzen befassen, werde aber trotzdem oft vor vollendete Tatsachen gestellt. Der Ruf nach mehr Fahrradstraßen, auf denen Radfahrer – anders als auf Radwegen und normalen Straßen – auch nebeneinander fahren dürfen, verhallt bislang ungehört.

Ellenbogen einfahren

Was also ist zu tun? „Das Wichtigste ist, dass die Radler sich gegenüber den ‚schwachen’ bzw. noch ‚schwächeren’ Verkehrsteilnehmern rücksichtsvoll verhalten“, so ADFC-Vorstand Pappenscheller. Rücksicht auf unsichere, langsamere Radfahrer, auf Kinder und Fußgänger ist unabdingbar. Paragraf 1 StVO lässt herzlich grüßen. Dazu gehört auch, auf der richtigen Straßenseite zu fahren, bei Dunkelheit mit Licht, in angemessenem Tempo, ohne Drängeln. Allgemein müssen Radfahrer auf der Straße rechts fahren mit einem halben Meter Abstand zum Bordstein oder zu parkenden Autos. An Ampeln gilt, sofern es noch keine eigene Fahrradampel gibt, die Ampel für die Fahrbahn. Fußgängerampeln müssen seit 2009 nicht mehr beachtet werden (außer von Fußgängern, versteht sich). Vorsicht geboten ist beim Abbiegen, hier werden Radler am häufigsten von Autofahrern übersehen. Das Konzept der Haltekästen, in denen Räder an Ampeln vor den Autos zum Stehen kommen, sodass sie beim Anfahren auf jeden Fall gesehen werden, wird leider nur sehr spärlich ausprobiert – Beispiele gibt es immerhin in der Klosterstraße und der Luitpoldstraße.

Kann das Miteinander von Autos, Bussen und Fahrrädern in der Langen Straße gelingen? Die Mehrheit des Umweltsenats glaubt das, entgegen allem Protest und aller Skepsis der Radfahrer. Fahrradfeindlichkeit kann man dem Senat jedenfalls nicht vorwerfen, nur vielleicht, dass er schon für eine Welt plant, die es noch gar nicht gibt – eine Welt nämlich, in der Rücksicht im Straßenverkehr nichts ist, was jeder von allen anderen einfordert, sondern etwas, das jeder selbst leistet. Die Lange Straße jedenfalls wird in nächster Zeit ein veritables Übungsfeld für gutes Miteinander im Verkehr sein. Wenn das Experiment gelingt, werden Auto- und Radfahrer dazugelernt haben.

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