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Kann ich queer und gläubig sein?

Kann ich queer und gläubig sein?

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  • Man muss nicht gläubig sein, um vorfreudig in das verlängerte Pfingstwochenende zu starten. Um den heutigen IDAHOBIT* auf dem Schirm zu haben aber vermutlich mindestens Ally der LGBTQIA+-Community. Wer beides im Kalender hat, ist vielleicht queer und gläubig. Wie das zusammenpassen kann und warum die LGBTQIA+-Community nicht aus der Kirche austreten sollte, erzählen zwei queere Aktivist*innen der Initiative #OutInChurch.

Dieses Wochenende (19./20. Mai 2024) feiern viele gläubige Christ*innen mit Pfingsten den „Geburtstag der Kirche“, wie die Evangelische Kirche Deutschland auf ihrer Website schreibt. Auch die Katholische Kirche in Deutschland erklärt auf katholisch.de Pfingsten als „Geburtsfest der Kirche“.

Weniger bekannt als das Pfingstfest dürfte der heutige IDAHOBIT* sein. Der findet seit 2005 jedes Jahr am 17. Mai statt und stand lang für International Day Against Homophobia, Biphobia, Intersex Discrimination and Transphobia. Seit 2022 steht er für International Day Against LGBTQIA+ Discrimination, um inklusiver zu sein. Am 17. Mai 1990 strich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Homosexualität von der Liste psychischer Krankheiten, woran der IDAHOBIT* erinnert. Transgeschlechtlichkeit strich die WHO erst 2018 von der Krankheitsliste. Der Tag macht auch darauf aufmerksam, dass immer noch viele Menschen von Queer- und Transfeindlichkeit betroffen sind und diskriminiert werden. Daten des queeren Verbands ILGA World zeigen, dass queere Menschen in vielen Ländern strafrechtlich verfolgt werden und in 12 Ländern sogar die Todesstrafe drohen kann.

OutInChurch: Wie queere Menschen für ihre Rechte kämpfen

Während der IDAHOBIT* also für die queere Community weltweit sehr wichtig ist, spielt die Kirche für sie häufig keine Rolle (mehr). Vielen Mitgliedern der LGBTQIA+-Community fällt es schwer, ihre Religion mit ihrer Sexualität oder Gender-Identität in Einklang zu bringen. Das Thema Glaube und Kirche ist oft mit Vorurteilen, Machtmissbrauch und durch die Kirche zugefügtem Schaden verknüpft. Tatsächlich treten laut einer amerikanischen Studie aus dem Jahr 2020 im Journal for the Scientific Study of Religion doppelt so viele queere Christ*innen aus einer Kirche aus als andere. Gerade die römisch-katholische Kirche hat sich bisher keinen besonders queer-freundlichen Ruf eingebracht. Für die #OutInChurch-Aktivist*innen Sophie, 32 und Oblat*in Schwester Micha, 30, ist die Antwort auf die Frage, ob man queer und gläubig sein kann, trotzdem ein klares „Ja“. Die beiden kämpfen für queere Rechte und Sichtbarkeit in der römisch-katholischen Kirche.

Am 24. Januar 2022 erschien die einstündige ARD-Doku „Wie Gott uns schuf – Coming-out in der katholischen Kirche“ , angekündigt als das größte Coming-out in der Geschichte der katholischen Kirche. Darin werden die Geschichten von fünf #OutInChurch-Mitgliedern erzählt. 125 queere, in der katholischen Kirche tätige Personen, outeten sich an diesem Tag öffentlich gemeinsam als lesbisch, schwul, bisexuell, trans*, nicht-binär oder intergeschlechtlich, um ein Ende der Diskriminierung queerer Menschen durch ihren Arbeitgeber zu fordern. In einem Manifest und einer Online-Petition veröffentlichten sie Forderungen zum deutschen Arbeitsrecht der katholischen Kirche. Das besagte bis zu seiner Änderung im November 2022 nämlich, dass unter anderem das Ausleben von nicht-heterosexuellen Orientierungen als Loyalitätsverstoß gegen die Kirche gelte. In dem Fall drohte Mitarbeitenden der Kirche oft eine Kündigung.

Was die Doku bewirkt hat

Unter denen, die das Ereignis vor dem Fernseher verfolgten, war Schwester Micha. „Ich habe die Doku gesehen und war total geflashed“, erinnert sich Schwester Micha. Als queere Katholik*in fand sich Schwester Micha in den darin erzählten Geschichten wieder und fing an zu reflektieren. „Ich war nicht out, gar nicht. Das hat noch ein bisschen gebraucht, bis ich mich dazu durchgerungen habe. Nach einem halben Jahr habe ich mich dann bei #OutInChurch gemeldet.“ Seitdem ist Schwester Micha Mitglied und in der Ordensgemeinschaft geoutet. Schwester Micha ist Oblat*in, das heißt Teil einer Klostergemeinschaft, allerdings als Laienmitglied, nicht als Mönch oder Nonne.

„Ich habe die Doku gesehen und war total geflashed“ Schwester Micha

Sich vor der Klostergemeinschaft zu outen, sei nervenaufreibend gewesen. Die Angst davor war aber unbegründet. Der Orden unterstütze Schwester Michas Nicht-Binärität und Asexualität völlig. Zuvor war Schwester Micha in der Hochschulgemeinde der Universität nur als asexuell geoutet, hatte sich dort aber diskriminierende Kommentare dazu anhören müssen und hatte deshalb gezögert, sich auch bei dem Orden zu outen. Hier waren die Reaktionen aber nur positiv. Einer der ersten Gratulant*innen unter Schwester Michas #OutInChurch Social Media Post, war deren Prior, der stellvertretende Vorsteher des Klosters. Auch für die Oblation, den Eintritt in die Gemeinschaft, stellte das kein Problem dar. „Ich habe mit dem Prior besprochen, dass ich nicht-binär bin, aber eine Schwester in der Gemeinschaft sein werde und ich gerne einen männlichen Namen haben möchte, um das auszugleichen. Das hat mein Kloster mitgetragen.“, erinnert sich Schwester Micha.

Die Kirche und der Fußballverein

Sophie ist nicht katholisch, sondern Christin und seit einiger Zeit als aromantisch, asexuell und trans* geoutet. Hätte sie früher queer-offene Gemeinden erlebt, hätte das Outing, auch vor sich selbst, nicht so lang gedauert, vermutet sie. „Ich glaube, dass die gesamte Christenheit, nicht nur die katholische Kirche, davon profitiert, wenn sie sich mehr öffnet.“, findet sie. Die katholische Kirche gelte immer noch vielerorts als moralische Leitinstanz und wenn „sogar die“ sich öffne, sei das ein Zeichen. Obwohl sich die Lage für katholische LGBTQIA+-Menschen auf Weltkirchenebene nicht wirklich verbessert und der Vatikan keine großen Veränderungen vorgenommen habe, seien doch Verbesserungen auf lokaler Ebene in Gemeinden, Pfarreien und Jugendverbänden sichtbar. „Für das alltägliche queer und katholisch sein, ist es viel wichtiger, was in meiner Gemeinde passiert, als was Rom sagt.“

Sophie (links) und Schwester Micha (rechts) beim CSD in Gießen. Foto: privat

Warum haben sich die beiden, im Gegensatz zu so vielen anderen, entschieden in der Kirche zu bleiben? Sophie vergleicht die Kirche mit einem Fußballverein: „Da gibt es gute und schlechte Spieler*innen, das Management müsste man komplett auswechseln. Aber im Fanblock ist die Lage super und warum gehe ich zu den Spielen? Wegen den Leuten, die mit mir im Fanblock stehen, meiner Gemeinschaft. Die sind wichtiger als die Spieler*innen auf dem Platz und sowieso viel wichtiger als das Management. Wenn wir als Verein absteigen, ist das zwar scheiße, aber die Gemeinschaft bleibt ja da. Dann können wir unseren Verein Idiot*innen überlassen oder wir kämpfen als Gemeinschaft für Verbesserung. Also, wir müssen bei dem Laden dabeibleiben!“ Sie findet, dass die Botschaft der Kirche und des Glaubens zu wertvoll ist, um sie homo- und transphoben Menschen zu überlassen. „Ich verstehe jede*n, der*die austreten will und jede*n der*die sagt ‚Tritt da bloß nicht ein!‘, aber wenn alle gehen, dann bleibt am Ende ein noch schlimmerer Haufen übrig.“

Queer und in der Kirche: Diese Tipps geben die Aktivist*innen

Das sieht auch Schwester Micha so: „Nur weil ich diese christliche Gemeinschaft für mich gewählt habe, heißt das nicht, dass ich sie nicht verändern will und dafür stehe ich und bin laut. Mir war von vornherein klar, dass mein queer sein von Gott gewollt ist, sonst hätte ich nicht wieder angefangen zu glauben.“ Schwester Micha fand während dem FSJ auf einem Meditationswochenende in der Klostergemeinschaft zurück zum Glauben, als die eigene Queerness schon länger feststand. Als Teenager*in hatte Schwester Micha, trotz katholischen Aufwachsens, zeitweise gar nichts mehr mit dem Glauben zu tun. Aber auch nachdem der Glaube wieder Teil von Schwester Michas Leben war, blieben Zweifel, ob Schwester Micha Teil der katholischen Kirche sein kann und will. Die Idee, wieder Teil dieser Kirche zu sein, sei eine viel größere Überwindung gewesen, als queer zu sein, erklärt Schwester Micha. 

Queeren Menschen, die mit ihrem Glauben zu kämpfen haben, empfehlen die Aktivist*innen sich durch (internationale) Organisationen und (Jugend-)Gruppen zum Beispiel über Instagram mit anderen queeren Gläubigen zu vernetzen. Man kann beispielsweise bei #OutInChurch Mitglied werden. International gibt es das Global Network of Rainbow Catholics . So findet man leichter queere religiöse Gemeinschaften oder einzelne Menschen vor Ort, mit denen man Probleme diskutieren und voneinander lernen kann. Es gibt queere Gottesdienste, die auch online übertragen werden, wenn man sich eine Zugfahrt sparen möchte. Die beiden raten auch queer-theologische und queer-feministische Texte zu lesen. Darin stehen zeitgemäßere Interpretationen der im Original hebräischen Bibelverse. Diese können helfen, um Queerphobie zu entkräften, die mit Bibelübersetzungen gerechtfertigt wird, die sich auf angeblich enthaltene oder veraltete Regeln berufen.

Das Leben als queere Christin umgeben von Vorurteilen

Für Menschen im biblischen Zeitalter hätten die einen Nutzen und Sinn gehabt, nicht aber für eine Gesellschaft heutzutage, findet Sophie. Auch sie musste ihr Bibelverständnis weniger wörtlich nehmen und ihren Glauben umstrukturieren, um ihn mit ihrer Transidentität vereinen zu können. Mit Hilfe der wörtlichen Übersetzung und deren anderen möglichen Interpretationen können die originalen Bibelstellen auch queerfreundlich gelesen werden. Wer kein Hebräisch kann, denen empfiehlt Schwester Micha die Website Bible Hub . Da gibt es die Übersetzungsfunktion Interlinear Bible. Unter dem originalen Wortlaut steht eine wörtliche Übersetzung, mit Links zu allen anderen möglichen Übersetzungen jedes Wortes und Verweisen, in welchen Zusammenhängen das Wort sonst in der Bibel auftaucht. Als letzten Tipp, raten die beiden, sich von Menschen freizumachen, die einem nicht gut tun und einen nicht unterstützen.

Ich bin immer Botschafterin für die eine oder die andere Seite Sophie

Der Schaden und Verletzungen, die vielen queeren Menschen durch die Kirche zugefügt wurde, hat auch andersherum Vorurteile entstehen lassen. Sophie muss sich in queeren Kreisen oft für ihren Glauben rechtfertigen. Manchmal sei es einfacher sich in christlichen Kreisen als queer zu outen, als andersherum. „Ich wünschte, ich könnte mich mal einfach nur unterhalten, ohne Vorurteile, ohne Klischees, ohne Rückfragen. Ich bin immer Botschafterin für die eine oder die andere Seite.“ Trotz aller Anfeindungen, die Sophie überall erlebt, weiß sie, dass Gott sie so geschaffen habe und liebe, wie sie ist. „Ich weiß, dass ich in ihm einen sicheren Hafen und Halt habe.“

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