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Bundespolitik in Bamberg
Dunkel Hell

Bundespolitik in Bamberg

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  • Am Montag scheiterten die Vorgespräche für eine mögliche Regierungskoalition aus CDU/CSU, FDP und Grünen: die FDP war, nach Aussage der Verhandlungspartner, kurz vor einer Einigung vom Tisch aufgestanden. Ein geplanter Abbruch? Am Donnerstag, 23.11.2017, trafen wir die Bamberger Grünen-Abgeordnete Lisa Badum und den Wahlkreiskandidaten der FDP, Sebastian Körber, zum Streitgespräch.

Wohin steuert unser Land jetzt, nach diesem Scheitern?
Sebastian Körber: Es gibt drei mögliche Szenarien: Neuwahlen, eine Minderheitsregierung oder doch eine Große Koalition. Was genau es wird, kann man jetzt noch nicht sagen. Alle im Bundestag vertretenen Parteien sind aufgerufen, Gespräche zu führen.
Lisa Badum: Das Ausland schaut jetzt auf Deutschland. Die New York Times, der Guardian, alle fragen: Ist Deutschland noch der „Hort der Stabilität“? Der Abbruch seitens der FDP war staatspolitisch unverantwortlich.
S.K.: Es ist blanker Unsinn, zu sagen, Deutschland befände sich jetzt im Chaos. Wenn ich mich umschaue, ist alles in Ordnung, die Aktienkurse sind stabil, die Börse spielt nicht verrückt. Ich bin da völlig tiefenentspannt, für mich hat sich nichts verändert und für 99 Prozent der Bürger auch nicht.

Frau Badum, waren Sie ein Fan der geplanten Jamaika-Koalition?
L.B.: Ich glaube, ein wirklicher Fan war bei den Grünen niemand, gerade, weil es für uns besonders schwierig war: wir und drei bürgerliche Parteien, das sind ganz unterschiedliche Milieus und Wertevorstellungen. Es gab aber die Notwendigkeit aus dem Wählerauftrag und wir haben die Verantwortung angenommen.

Herr Körber, wäre die FDP personell überhaupt zum Regieren aufgestellt gewesen?
S.K.: Selbstverständlich. Ich kenne ein Dutzend ministrable Liberale. Darum geht es aber gar nicht. Die FDP kann nur regieren, wenn sie die auf dem Parteitag beschlossenen „Trendwenden“ auch umsetzen kann. Die Frage nach den Themen stellt sich also vor der Frage nach dem Personal.

L.B.: Ich glaube nicht, dass es der FDP um Themen ging. Am Ende der Sondierungen lagen große Zugeständnisse an euch auf dem Tisch: Soli, Vorratsdatenspeicherung, Hochschulpakt. Alles wichtige Punkte aus eurem Wahlprogramm und dann geht ihr einfach raus. Hattet ihr Angst, eure Inhalte, euren Wählerauftrag umzusetzen?

S.K.: Ganz und gar nicht. Aber wenn man sich mal anschaut, welche Zugeständnisse wirklich an die FDP gemacht wurden und welche wieder eingesammelt wurden, merkt man: Dass uns die anderen Partner so stark entgegengekommen seien, ist Legendenbildung.

L.B.: Dann muss man sich schon mal fragen, warum dann Grüne, CDU und CSU das Gleiche sagen. Nämlich, dass eine Einigung nahe war. Abgesehen davon muss man sich als Zehn-Prozent-Partei darüber im Klaren sein, dass man sein Wahlprogramm nicht eins zu eins umsetzen kann. Wir haben das erkannt.

S.K.: Natürlich kann man nicht alle Inhalte umsetzen, aber verarschen lassen braucht man sich auch nicht. Wenn schon in vier Wochen Vorgesprächen nichts zustande kommt, sind wir nicht verdammt zu regieren.

L.B.: Ihr hättet eure Punkte doch umsetzen können! Stattdessen habt ihr ein Scheitern inszeniert und seid aus dem Raum gerannt. Erklär mir einfach, was eure Taktik ist. Was verspricht sich die FDP davon? Eine Schwächung Merkels? Mein Eindruck ist, dass die FDP einfach nicht regieren möchte.

S.K.: Die FDP regiert in verschiedensten Konstellationen in deutschen Bundesländern. Aber hier hat die Partei jetzt den Schlussstrich gezogen und da bin ich auch stolz drauf! Wir sind nicht dazu bestimmt, faule Kompromisse einzugehen und sind nicht scharf auf drei Dienstwagen und drei Ministerien.

Herr Körber, funktioniert diese Strategie: viel fordern, zum Beispiel enorme Steuerentlastungen, und wenn dann schon einiges erreicht wurde, sagen: „Das reicht uns noch nicht“?
S.K.: Man kann viel fordern, wenn man diese Forderungen auch gegenfinanzieren kann. Das könnten wir. Und ich möchte nicht immer hören, ‚Entlastung‘! Der Bürger zahlt doch erstmal diese Steuern, es ist ja nicht so, dass Schäuble dieses Geld einfach hat. Man lässt ihnen einfach mehr in der Tasche.

L.B.: Wir sind uns aber schon einig, dass sich der Staat mit Steuern finanzieren muss?

S.K.: Ja, aber man muss ja nicht jede soziale Wohltat, wie die Rente mit 63, über Jahre fortführen und den Staat dadurch enorm belasten.

L.B.: In welcher Koalition hättet ihr denn bitte diese Steuerentlastung durchsetzen können? Ich sag‘s nochmal, ich denke, die FDP wollte diese Koalition nicht.

S.K.: Ich glaube, Wolfgang Kubicki hätte auch vier Wochen etwas Besseres zu tun gehabt, wenn er diese Koalition nicht gewollt hätte. Wir haben ja Sondierungsgespräche geführt! Und da haben wir auch das Recht, in einem gemeinsamen Projekt auch erkennbar zu sein und im Zweifelsfall auch aufzustehen.

Frau Badum, sind die Grünen zu große Kompromisse eingegangen?
L.B.: Nein. Jamaika war die einzige rechnerische Möglichkeit, man musste einfach verhandeln. Sicherlich musste man schmerzhafte Kompromisse eingehen, wir Grüne wären da auch an unsere Grenzen gekommen. Unsere Sondierungsgruppe hat aber gut verhandelt und wir stehen auch jetzt geschlossen hinter dem Kurs. Mit diesem „100% GRÜN“ würden wir auch in einen neuen Wahlkampf gehen.

Können sie mir jeder drei Gründe sagen, warum Bamberger Studierende ihre Partei in die Regierung wählen sollte?
S.K.: In Bamberg sind die Miet- und Wohnungspreise hoch. Als FDP wollen wir Baukosten senken, um den Wohnungsmarkt langfristig zu entspannen. Beim Thema Digitalisierung sind wir die progressivste Partei und eine Aufhebung des Bildungsföderalismus würde die Weitergabe von Geldern vom Bund an die Länder erleichtern. Davon würden die Hochschulen, also auch die Studierenden, profitieren.

L.B.: Vielen Studierenden ist sicherlich humanitäre Asylpolitik ein großes Anliegen, dafür stehen wir, und nur wir! Ein anderer Punkt ist der Radverkehr beziehungsweise auch der ÖPNV-Ausbau. Wir Grünen möchten einfach weniger Geld in den Autoverkehr stecken und mehr in alternative Mobilität. Außerdem glaube ich, dass die Themen Ernährung, ökologische Landwirtschaft und Massentierhaltung vielen Bambergern wichtig ist. Da gäbe es mit den Grünen konkrete Verbesserungen.

Wenn wir hier jetzt kleine Sondierungen simulieren: bei welchen Themen würden sie dem anderen am ehesten oder am wenigsten entgegenkommen?
S.K.: Beim Thema Asyl sind wir natürlich bereit, ein Einwanderungsgesetz voranzutreiben. ÖPNV-Ausbau ist immer gut, aber nicht auf Kosten des Autoverkehrs, das kann im ländlichen Raum nicht funktionieren.

L.B.: Bezahlbarer Wohnraum ist natürlich auch für uns Grüne ein großes Thema. In der Instrumentenwahl sind wir uns aber wohl uneinig, wir wollen jedenfalls sozialen Wohnungsbau betreiben.

Wie geht es im Bund jetzt weiter?
S.K.: Bevor es Neuwahlen gibt, ist ja ein gewisser Prozess zu durchlaufen. Ich fände eine Minderheitsregierung durchaus interessant, wo man auch mal themenbezogen Dinge durchsetzen kann und muss. Das wird Merkel aber nicht mitmachen. Ich halte eine neue Große Koalition für wahrscheinlich, vermutlich ohne Martin Schulz.

L.B.: Ich bin keine große Freundin von Neuwahlen, die würden vermutlich erst im nächsten Frühjahr stattfinden können. Ich glaube auch nicht, dass sich an den Mehrheitsverhältnissen viel ändern würde, wir würden wahrscheinlich zugewinnen, die FDP vielleicht auch. Dann stünden wir wieder vor dem gleichen Problem. Man sollte jetzt eine Lösung suchen, da liegt der Ball wohl bei der SPD.

Herr Körber, müsste die FDP ein nochmaliges Erstarken der AfD bei Neuwahlen auf ihre Kappe nehmen?
S.K.: Es wäre völlig falsch, das einer Partei zuschieben zu wollen. AfD-Wähler generieren sich ja nicht aus FDP-Wählern. Es müssen vielmehr alle Parteien, auch die SPD, auf ihre Kappe nehmen, weil sie keine Regierung zustande gebracht haben. Die Regierungsbildung ist eine gesamtdemokratische Aufgabe.

Von wem wird Deutschland in einem Jahr regiert?
S.K.: Als Prognose würde ich sagen, von einer Großen Koalition. Meine Präferenz wäre aber ein schwarz-gelbes Bündnis.

L.B.: Vorhersagen kann ich das nicht. Am liebsten wäre mir natürlich eine Regierung mit klar grünem Profil.

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