Wenn sie sich nicht gerade für Ottfried auf einer Demo…
Wunderkerzen in rot, gelb und grün sprühen am letzten Montag Funken auf der unteren Brücke – die Farben der Flagge von Rojava. Trotz bunter Lichter und lauter Musik herrscht unter den versammelten Menschen recht ernste Stimmung. Alle lauschen schweigens den Redebeiträgen der Bamberger Seebrücke.
Grund der Mahnwache ist die alljährliche Winterspendenaktion der Bamberger Seebrücke Fraktion. Dieses Jahr gehen die Spenden an Heyvar Sor a Kurdistanê – eine Hilfsorganisation ansässig im Nordosten Syriens. Das Thema ist aktuell wie nie.
Heyvar Sor
„Wir sind möglicherweise die einzige Hoffnung für die größten Staatenlosen der Welt“
Ursprünglich gegründet in Bochum, NRW, ist die Non-Profit Organisation mittlerweile deutschlandweit sowie unter anderem im Einsatzgebiet Nord-Ostsyrien, auch bekannt als Rojava, vertreten. Die Hilfsarbeit dort fokussiert sich hauptsächlich auf Unterstützung für mittlerweile 800 Kinder in Kurdistan, Familienpatenschaften und Gesundheitsprojekte – wie den Aufbau von Krankenhäusern. Auch Soforthilfe im Fall von Krieg oder Naturkatastrophen wird geleistet.
„Wir sind möglicherweise die einzige Hoffnung für die größten Staatenlosen der Welt“, so verkündet die Website.
Der Name Heyvar Sor a Kurdistanê bedeutet übersetzt “der Kurdische Rote Halbmond”.
Sicherer Hafen Rojava
Die meiste Arbeit von Heyvar Sor findet in Teilen der autonomen Administration Rojava statt. Die Demokratie entstand zwischen 2012 und 2016 in Antwort auf den Syrischen Bürgerkrieg. Das Projekt steht ein für religiöse und ethnische Vielfalt, sowie Gleichberechtigung und ökologische Nachhaltigkeit. Schutz suchen hier unter anderem Flüchtende aus dem Libanon und neuerdings Menschen die im Zuge des Syrischen Regierungssturzes fliehen.
Assads Umsturz
Am Mittwoch, den 4. Dezember, passiert die Jahrhundertwende; der syrische Machthaber und Diktator Baschar al-Assad wird von der Rebellengruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS) gestürzt. Während Assad nach Russland evakuiert wird, findet in Damaskus eine Machtübergabe statt und der HTS stellt eine Übergangsregierung auf. Für Wehrpflichtige gilt: Generalamnestie, für Syrier*innen vor Ort wie auf der Flucht herrscht der große Jubel. Menschen schwenken Fahnen und feiern auf den Straßen.
Doch in der Freude kommen auch die Schattenseiten des Regimes ans Licht. Die Nachrichten fluten mit Horrorbildern: Unterirdische Gefängnisse, Folterstädte, zahllose Verluste. Zivilschutzorganisationen melden nach wie vor über 200.000 Vermisste. Das Leid von 24 Jahren wird nicht innerhalb von so wenig Zeit wettgemacht werden.
Was jetzt?
Die Welt steht vor der Frage: Was nun? Am Krisengipfel in Jordanien sind sich alle Fronten eines Zieles einig: ein friedlicher Übergang und zukünftige Sicherheit für Syrer*innen.
Deutschland ist hier insbesondere investiert, immerhin sind 22% aller Einwanderer aus Syrien – die zweitgrößte Gruppe nach Ukrainer*innen. In einem Video auf Social Media Plattform X, ehemals Twitter, verkündete Bundeskanzler Scholz seine Kooperationsbereitschaft mit der neuen syrischen Regierung, solange diese Freiheit und Sicherheit des Volkes sicherstellen. Auch in Deutschland untergebrachten Syrer*innen ist Bleiberecht garantiert – solange sie gut integriert sind. Für die zahllosen Einwanderer die in Massenunterkünften untergebracht sind oder keinen Zugang zu Deutschkursen erhalten bleibt die Zukunft ungewiss.
Taten sprechen allerdings lauter als Worte. Faktisch hat Deutschland keine 24 Stunden nach der Botschaft von Assads Sturz sämtliche Asylverfahren aus Syrien pausiert. Angesicht des Machtumsturzes sei unklar, ob man Asyl gewähren sollte, so das BAMF. Auch andere EU Länder folgen diesem Beispiel, oder kündigen im Fall Österreichs bereits im großen Stil Abschiebepläne an.
Aber wie sicher ist die aktuelle Lage wirklich?
Nicht in falscher Sicherheit wiegen
Laut dem Auswärtigen Amt ist es noch zu früh, um Schlüsse über Sicherheit zu ziehen. Denn in sofortiger Reaktion auf den Machtwechsel begann die Israelische Regierung, ehemalige Assad-Verbündete, Ziele in Syrien anzugreifen.
Hinzu kommen die ungewissen Motive der militanten islamistischen HTS Regierung. Die Organisation ging ursprünglich aus Al-Kaida hervor, streitet aber seit 2016 Verbindungen zu diesen ab. Starke religiöse Überzeugungen bleiben trotzdem bei, auch auf der UN-Terrorliste steht sie nach wie vor. Die Sicherheit der syrischen Bevölkerung – insbesondere von Randgruppen, die in Rojava Schutz suchen – ist keineswegs gewiss.
Noch ist die Lage reguliert durch ca. 900 US Soldaten, die vor Ort stationiert sind, um gegen den IS zu verteidigen. Während Biden deren Abwesenheit garantiert, ist das unter der anstehenden Trump-Regierung ungewiss.
Solidarität aus Rojava
Nachdem die Wunderkerzen abgebrannt sind, versammeln sich die Menschen auf der unteren Brücke um eine Lautsprecherbox, über die der letzte Redebeitrag läuft: von einer Angehörigen der Gruppe Women Defend Rojava. In ihrer Rede warnt sie nicht nur vor der Gewalt die ihren Landsleuten nach wie vor droht, sondern erinnert auch an die Werte, die das Projekt vertritt.
“Wir alle sind Teil von etwas, das größer ist als wie selbst. So wie die Bedeutung Rojavas weltweit größer ist, als wir es begreifen können. Rojava ist Hoffnung.”
Wenn sie sich nicht gerade für Ottfried auf einer Demo tummelt oder für Cash Money Flow sorgt, dann singt sie im Kino falsch bei Musicals mit.