Christian Samadan, gebürtiger Oberfranke. Hat ein Faible für Geschichte, Politik…
Style hat er schon einmal. Neben dieser Beobachtung ist es allerdings noch weitaus interessanter, seiner Konversation am Telefon zu „lauschen“. Wobei dieser Euphemismus einer gewaltigen Untertreibung gleichkommt, denn im Flüsterton verständigt sich der junge Fahrgast keineswegs. Vielleicht denkt er, dass sich die Empfangsqualität mit steigender Lautstärke verbessern würde. „Wo bist du?“, brüllte er in sein Mobiltelefon. „Ah kay, Mäckes. Jo voll geil Alter, kauf Chickenburger für mich! Was? Alter, Chi-cken-bööör-ger. Du Pflaume!“ Die anderen Fahrgäste, schon sichtlich entnervt von der Geräuschkulisse, rollen wie einstudiert mit den Augen oder drehen sich demonstrativ weg. Ich hingegen höre amüsiert zu und verziehe keine Miene.
Eine reizende ältere Dame mit Wollhandschuhen, dickem Wintermantel und leicht abgegriffener Handtasche ist scheinbar ebenso unbeeindruckt von der Szenerie. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass sie offenbar schlecht hören kann, wie ich aus ihrem Hörgerät im Ohr schlussfolgere. Man könnte sie zu der Sorte Frau zählen, die als fürsorgliche Großmutter den Enkeln selbstgestrickte Socken schenkt und auch mit dem ein oder anderen Schein zur Taschengeldaufbesserung aushilft. „Entschuldigung, junger Mann? Können Sie mir sagen, wie spät es genau ist? Ich muss am ZOB meinen Anschlussbus erwischen.“ Die Antwort folgt prompt: „Jo Alter, warte mal, bleib dran… Was? Uhr? Ähm nach Handy 17:56 Uhr, wir sind gleich ZOB!“ Die Dame bedankt sich, was ihr Gesprächspartner aber schon nicht mehr registriert, da er bereits wieder an seinem Handy zugange war. „Jo sorry, so ne Alte wollte nur Zeit wissen.“
Im Kopf erstelle ich mir eine Checkliste. Style? Absolut, check. Kann sich gewählt und rücksichtsvoll ausdrücken? Aber sicher doch! Nimmt Rücksicht auf andere Fahrgäste? Wie könnte er anders! Ist der deutschen Sprache mächtig? Goethe würde sich (vor Neid!) im Grabe umdrehen. Vor mir sitzt also ein geräuscharmes Paradebeispiel an Tugendhaftigkeit, Sitte, Anstand und rhetorischer Finesse. Und dieser Style — zum Niederknien. Dank soviel imaginärer Ironie umspielt meine Lippen fast ein dezentes Lächeln, das ich aber, mit Mühe, Not und auf die Zunge beißend, zu unterdrücken vermag. Ich „lausche“ weiter seiner Konversation. „Kay, also ich bin gleich ZOB. Kommst du her? Sind 15 Minuten, stell dich net so an.“ Offenbar unbefriedigt von der Erwiderung seines Gesprächspartners entgegnet er: „Maaann, du Lappen, mir bums ob der Burger dann kalt is. Hauptsache spachteln, ich hab… Was? Boah drück dich g’scheit aus.“ Die Verbindung scheint offenbar nicht die beste zu sein. „Fuck Otelo-Netz… Was? Sag nochmal!“ Erneut erzielt die Nachfrage wohl nicht das gewünschte Resultat.
Alter, sprich Deutsch mit mir! Bring Chickenburger und Kippen mit. Was? Boah ja, dann nimm die Ische halt auch mit.
Wir erreichen den ZOB. Weitere Gesprächsfetzen gehen im Ausstiegslärm unter. Die anderen Fahrgäste sind sichtlich froh, endlich den Bus verlassen zu dürfen und nicht mehr dieser „Folter“ ausgesetzt zu sein. Ich frage mich allerdings: Welches „Deutsch“ wohl sein Freund am Telefon gesprochen hat? Sicherlich hatte es nicht dieses Niveau. Es wäre aus meiner Sicht auch nur schwer zu überbieten gewesen. Schade, ich hätte „Mr. Style“ fragen sollen, wo er sich eingekleidet. Aber der Hunger treibt mich in den nächsten Bus, Richtung „Mäckes“. Danke dafür.
Christian Samadan, gebürtiger Oberfranke. Hat ein Faible für Geschichte, Politik und kulturelle Errungenschaften, z. B. für Cocktails, Wein und Bier. Schreibt gerne Kommentare und Glossen; kann wenig Mathe, ist aber trotzdem gelernter Banker (einer von der ganz üblen Sorte!). Er redet und lacht gerne gut und viel mit Freunden, für seine Korrespondenz greift er schon mal zu Füller und Briefpapier — Oldschool.