Mit dem Selbsttest „Welches Uni-Klo bist du?“ hatte Kim 2019…
Am 5. Februar erschien in der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel „Wir sind schon da“ ein Artikel, in dem sich 185 Schauspieler*innen unter anderem als lesbisch, schwul, bi, trans*, queer, inter und non-binär outeten.
Im ersten Teil haben uns zwei der 185+ Schauspieler*innen des Manifests, Julius Feldmeier und Bärbel Schwarz, Fragen zu #actout beantwortet und ihre Sichtweise auf das Projekt geteilt. Damit sich in Theater, Film und Fernsehen in Zukunft etwas verändert, müssen mehr Menschen als die 185+ aktiv werden. Überall sollte sich eine kritische Auseinandersetzung anschließen – auch in Bamberg.
Wie sich das Manifest auf lokale Akteur*innen aus der Schauspielbranche ausgewirkt hat, erfahren wir in diesem zweiten Teil von Dramaturgin Victoria Weich und Schauspielerin Clara Kroneck vom ETA Hoffmann Theater.
Interviews mit Victoria Weich und Clara Kroneck vom ETA Hoffmann Theater
Von 2017 bis 2019 war Victoria Weich Dramaturgieassistentin am ETA Hoffmann Theater Bamberg, seit der Spielzeit 2019/20 ist sie dort Dramaturgin. In der Spielzeit 2020/21 ist sie bei „Schöne Aussichten!“, „Der Kirschgarten“, „Der Stock“, und „Gold“ für die Dramaturgie verantwortlich.
Clara Kroneck ist seit der Spielzeit 2019/20 festes Ensemblemitglied am ETA Hoffmann Theater Bamberg. In der Spielzeit 2020/21 wirkt sie mit bei „Der Kirschgarten“ und „Der Riss durch die Welt“.
Wie habt ihr das #actout Manifest wahrgenommen?
Victoria: Ich halte das Manifest unbedingt für eine Bereicherung, nicht nur für die Branche, sondern auch für das künstlerische und gesellschaftliche Zusammenleben insgesamt. Hier gehen Menschen einen Schritt, der für sie selbst, so sagen sie es im Interview, „lebensentscheidend“ ist. Sie fordern ihre Sichtbarkeit, ihren Platz und ihre Gleichberechtigung ein. Darüber freue ich mich und fühle: „Wir sind da!“
Schauspieler*innen erschaffen Welten für uns. Wenn sie sich frei und offen geschlechtlich identifizieren, begehren und lieben können, kann das nur eine Vervielfältigung der Perspektiven auf das Schauspiel sowie eine reichere Welt auf der Bühne bedeuten.
Aber es mischt sich auch ein Drang nach Aktivismus in die Freude: Für mich steht außer Frage, dass jede*r ihre*seine Liebe der Wahl mit auf den roten Teppich nehmen können muss, ohne (berufliche) Konsequenzen zu fürchten. Solange das noch so ist, brauchen wir Manifeste, Aktionen und Gruppen Coming-outs wie #actout und das bewusste Zugehen auf LGBTIQ-Menschen.
Clara: Ich habe es als unwahrscheinlich mutigen Akt der Betroffenen wahrgenommen und beschämend für alle Menschen, die dieses System dulden, mittragen und davon profitieren.
Habt ihr euch mit dem Thema queerer Menschen im Schauspiel schon vorher auseinandergesetzt?
Clara: Die Beschäftigung mit Repräsentation in der Kunst hat bei mir während des Schauspielstudiums angefangen. Außerdem die Frage, wer welche Geschichte erzählen darf. Ist es möglich, dass die Hauptfigur weiblich ist? Ist es darüber hinaus möglich, dass ihr dramatischer Konflikt nichts mit einem männlichen Liebespartner zu tun hat? Oder mit vermeintlich weiblich konnotierten Themen? Alte Fragen, die wir als Bechdel-Test aus politischen Diskussionen und Texten längst kennen.
Trotzdem haben die Geschichten, die wir auf Bühnen, in Film und Fernsehen heute noch abbilden, nur zum Teil mit der Realität zu tun, in der wir leben. Wir sind nicht nur weißer, heterosexueller Mittelstand.
Victoria: Ich möchte da zwischen queeren Schauspieler*innen und queeren Rollen unterscheiden. Queere Figuren und Erzählungen sind mir früher nicht ausreichend sichtbar gewesen. Ich habe das Theater als Ort kennengelernt, der natürlich nicht freizusprechen ist von der Reproduktion von Heterosexismen und Geschlechterklischees, die mich wütend machen können. Die Kunst des Schauspiels kann so viel, es gibt keinen Grund, sich mit Stereotypen zufrieden zu geben. Ich habe als Studentin z.B. zu Elfriede Jelineks „Krankheit oder Moderne Frauen“ gearbeitet. In dem Stück steht eine lesbische Vampirin (nebenbei Krankenschwester und Schriftstellerin) im Zentrum. Das Rütteln an den Geschlechterbildern ist hier der große Konflikt. Offensichtlich muss der heute noch beackert werden, denn auch in der neuen Theaterliteratur taucht Liebe, Sexualität und Identität, die nicht hetero und cis ist, als hinreichende Story auf. Das ist mir zu wenig.
Da ich nicht auf der Bühne stehe, liegt für mich die Frage in der Auswahl der Literatur und der Programmplanung: Welche Geschichten können wir erzählen, in denen Queerness eine Utopie tragen kann? Welche Visionen haben queere Autor*innen und Regisseur*innen zu neuen Stücken und der, oftmals heterozentrierten, klassischen Theaterliteratur?
Clara, welche Wirkung hat das #actout Manifest auf dich als in Bamberg arbeitende Schauspielerin?
Die wiederholte Äußerung, dass die Gesellschaft mit der Akzeptanz von Diversität viel weiter ist als die Kunstbranche selbst, ist eine peinliche Tatsache, der wir uns in unserer täglichen Arbeit stellen müssen.
Ist das Thema auch an verhältnismäßig kleineren Theatern wie dem ETA Hoffmann Theater relevant?
Victoria: Ja, auch für kleinere Häuser wie unseres ist #actout relevant. Queers gibt es nicht nur in der Großstadt und zuweilen sind wir an weniger in Diversität geübten Orten sogar unterstützungsbedürftiger. Ich finde, Bamberg ist eine aufgeschlossene Stadt, und wir stehen als Theater mittendrin, so ist Vielfalt für uns selbstverständlich ein Thema, auf und hinter der Bühne.
Clara: Ich denke die Tatsache, dass ich mich als weiße, heterosexuelle Cis-Frau zu der Initiative äußere, spricht für sich. Das ist nicht etwa als Vorwurf gegen das ETA Hoffmann Theater selbst gemeint, zeigt jedoch einen Teil des Problems. Die 185 Menschen, die in den letzten Tagen mit ihrer Kritik an die Öffentlichkeit gegangen sind, haben diesen Schritt für sich, aber auch für viele weitere Menschen aus der Branche gemacht, die bisher nicht bereit sind, mit ihrer Sexualität offen umzugehen. Große wie kleine Theater müssen Orte sein, an denen queere Menschen präsent sind und sich öffentlich zu ihrer sexuellen Orientierung, Identität und Gender äußern können.
Was können wir als Publikum vom #actout Manifest mitnehmen?
Clara: Als Außenstehende bin ich aufgerufen zuzuhören, mich zu solidarisieren und im eigenen Wirkungskreis, beruflich wie privat, Stellung zu beziehen. Der Heterosexismus, der hinter den unzähligen Berichten queerer Menschen liegt, die aufgrund ihres Outings berufliche Konsequenzen fürchten, denen nahegelegt wird, ihre Identität geheim zu halten, machen mich wütend.
Die Schauspielerin Maren Kroymann hat in einem SWR2 Interview zum Thema einen Satz gesagt, der sich hoffentlich spätestens jetzt bei uns allen als innere Haltung einbrennt: „Es ist völlig wurscht welche Sexualität ich habe, Hauptsache ich kann die Rolle spielen.“
Wir müssen uns als Publikum durch die Kunst für neue Held*innen öffnen
Victoria: Das Manifest zeigt den Stand der Debatte und offensichtlich gibt es noch viel zu tun. Coming-outs brauchen eine Gesellschaft, in der es keine Nachteile haben darf, offen lesbisch, schwul, bi, trans, inter oder queer zu sein. Und jeder solidarische Akt macht diese Gesellschaft möglicher. Davon unberührt bleibt die unabdingbare Verantwortung von Politik und Recht. Hier gibt es immer noch zahlreiche Benachteiligungen für LGBTIQ- Lebensentwürfe.
Als Zuschauer*in kann ich meine Sehgewohnheiten reflektieren und Bekanntes bewusst verlernen, als Konsumentin kann ich Vielfalt verlangen. Ein Theaterabend ist eine Einladung zum Gespräch, für die Zuschauer*innen untereinander oder mit dem Ensemble. Ich habe bei uns im Foyer mal eine Diskussion geführt, warum sich zwei Männer in der Inszenierung „Engel in Amerika“ denn auf der Bühne küssen müssten, das sei unanständig. Weil sie sich lieben. Solche Begegnungen gehören zum Theater und bergen eine gesellschaftsverändernde Möglichkeit im Mikrokosmos. Wir können uns als Publikum also durch die Kunst für neue Held*innen öffnen; müssen wir sogar, wenn wir sie auf der Bühne erleben. Zum Glück konnte der Zuschauer nicht den Sender wechseln!
Victoria, kannst du unseren Leser*innen Tipps für ihr Coming-out geben?
Für mich gab es das Coming-out nicht. Es war ein schleichender Prozess über Jahre, in einer Schleife aus Selbstvergewisserung und langsamer Veröffentlichung, in kleinen Dosen und Aussagen, mit denen ich testen konnte, wie mein Umfeld reagiert. Ich wünsche mir manchmal, mehr von der Welt eingefordert zu haben, lauter und früher, „Hallo, ich bin lesbisch!“ gesagt zu haben. Für jede*n ist da sicherlich etwas anderes richtig. Ganz grundsätzlich sind unterstützende Freund*innen sowie andere Queers, die mir gezeigt haben, was es alles Tolles und Befreiendes gibt, Gold wert. Eine Gruppe um sich rum zu haben – wie nun auch bei #actout – macht hoffentlich Mut und hilft damit sehr. Also bildet Banden!
Bildet Banden!
Mit dem Selbsttest „Welches Uni-Klo bist du?“ hatte Kim 2019 ihren journalistischen Durchbruch. Seitdem schreibt unsere Oma gegen Rechts über Themen aus Kultur, Lifestyle und Politik und hat aus ihrer Liebe zu Mutter Erde die Gewächshaus Bamberg Reihe ins Leben gerufen. Mittlerweile droppt sie außerdem regelmäßig Content auf Social Media.