Support Student Journalism!
Du liest gerade
The first sentence

The first sentence

Avatar-Foto
  • Erste Sätze sind meistens die Schwersten. Und die, bei denen man oft schon innerlich entscheidet: ist das das richtige Buch, Serie, Film, ein cooler Mensch?

Manche Menschen kennt man nicht, aber man weiß: man würde gut zusammenpassen. Nicht immer unbedingt wie Chandler und Monica oder wie Bonny und Clyde. Sondern sich einfach nur gut verstehen. Weil der Kleidungsstil passt, die Haltung, die Mimik. Weil die Stimme sich sympathisch anhört und die wenigen Wörter, die man erhaschen konnte, auch. Weil der Blick da ist, ein kurzes in-die-Augen-Gucken. Und dann wartet man. Auf den Moment, in dem der oder die Andere auch versteht. Auf eine Chance, Gelegenheit, Tatsachen schaffen. Du und ich würden reden, erst zögerlich, dann immer öfter, dann auch über Wichtiges.

Dann sind erste Sätze bezeichnend ein: “Nices T‑shirt!”. Ein: “Ich mag die Band auch.” Um über Oberflächliches auf anderes kommend. Oder auch einfach nur “Hi”.
In Persönlichkeitstests wird oft abgefragt, ob man gut darin ist Menschen anzusprechen. Ob einem Gesprächseinstiege leicht fallen. Weil es erste Worte sind, die etwas anfangen. Etwas Neues, etwas, wovon man oft noch nicht genau weiß, was eigentlich.
“Mr. und Mrs. Dursley im Ligusterweg Nr. 4 waren stolz darauf ganz und gar normal zu sein, sehr stolz sogar.” Hätte man nach diesem ersten Satz gewusst, was da auf einen zukommt hätte man diesen Satz vielleicht epischer in seinem Kopf gehört.

Erste Sätze sind sehr oft nicht die Besten. Sehr oft sind sie eher pragmatisch. Bei vielen Serien muss man erst einmal zwei, drei Folgen gesehen haben um Charaktere zu verstehen und zu wissen, ob man sie weiter gucken wird oder eben nicht. Muss erst das Grundgerüst kennen um den Inhalt bewerten zu können. “Hello. My name ist Forest- Forest Gump”, hört man eine Stimme das erste Mal und weint dann zwei Stunden mit ihm mit. Die Person zuerst, dann die Lebensgeschichte.

Das ist das schöne an Anfängen: Man kann ein Stück weit bestimmen, wie es weitergehen soll.

Anfänge sind sehr oft eine Bestandsaufnahme, erstmal ein Was-davor-geschah zusammengefasst. “Wenn ihr das wirklich hören wollt, dann wollt ihr wahrscheinlich als Erstes wissen, wo ich geboren bin und wie meine miese Kindheit war und was meine Eltern getan haben und so, bevor sie mich kriegten, und den ganzen David-Copperfield-Mist.“ Holden Caufield (aus Der Fänger im Roggen) sagt das zum Lesenden, immer ein bisschen passiv-aggressiv. Denn meistens werden Personen in Filmen sehr schnell definiert. Ihr Handeln erklärt durch Vergangenheit, Familie, das alles. Und man wartet nur darauf.
“Es war ein verrückter schwüler Sommer, dieser Sommer, in dem die Rosenbergs auf den elektrischen Stuhl kamen und ich nicht wusste, was ich in New York eigentlich wollte”, auch Dichter*innen wie Sylvia Plath schildern erstmal die Lage, die Jahreszeit, das, was ist. Es werden Bilder gemalt, sorgfältig, mit Details, in die Menschen gesetzt werden. Charaktere, die sich entwickeln, darin.

“Ding Dong, es klingelt. Ich gehe zur Tür, öffne und stehe einem Känguru gegenüber”, ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Dann erfährt man erste Dinge, erfragen Protagonist*innen, was man wissen will. Beim Kennenlernen ist das genauso: man erzählt sich das Wichtigste. Namen, Herkunft, was man tut. Man erzählt das, was der oder die Andere wissen muss. Anderes verschweigt man. Kann es verschweigen, weil es unerheblich ist oder man sich anders definieren will. Das ist das schöne an Anfängen: Man kann ein Stück weit bestimmen, wie es weitergehen soll.

“Ich habe meine Mutter auf Tinder gematcht”, sagt ein Poet (Valerio Moser) auf der Bühne und man lacht kurz und findet das ganz schön weird und wartet auf eine Erklärung. Weil von ersten Sätzen kommt man immer auch auf Fragen. Und je mehr man weiß, desto mehr Fragen hat man meistens. Man tastet sich vor, man interessiert sich, wenn es wichtig scheint. Man lächelt, weil diese Situationen meistens auch ein bisschen unangenehm, aber doch auch sehr schön sein können.

Für erste Sätze braucht man immer ein bisschen länger.

Erste Worte sind meistens die Schwersten, genauso wie erste Schritte. Aber sie führen sehr oft zu mehr. Und vielleicht auch zu guten Dingen. Zu Entdecken und weiter-Sehen als vorher. Zu Neuland und vielleicht zu neuen Glücksmomenten.

Für erste Sätze braucht man immer ein bisschen länger. Spricht sie sich im Kopf vor, bis der Mut nachgezogen hat. Und springt dann.

Kommentare anzeigen (0)

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.