„Applaus für den Mut und nicht um einen*e Sieger*in zu küren“
Poetry Slam wird oft als Dichterwettstreit beschrieben, was er traditionell auch ist, denn Poet*innen kämpfen an einem Abend um den Sieg. Doch beim Poetry Slam gilt: „The best poet never wins“. An dieses Motto hält sich die Huwi-Fachschaft. Sie gründeten den Poetry Slam eines Abends als Freundesgruppe mit der Intention, dass der Huwi Poetry Slam kein Wettbewerb wie sonst üblich wird, sondern eher eine Lesebühne. Diese bietet dann einen Raum für Slammende, die das erste Mal auftreten. Sie teilen ganz intime Erfahrungen, Gedanken zu psychische Krankheiten und ihren Emotionen. Den mutigen Texten soll an dem Abend eine Bühne geschenkt werden, ohne Bewertung: Denn jede Geschichte, Emotion und jede Erfahrung hat seine Daseinsberechtigung.
Anna, eine der Organisator*innen des Slams und Teil der Huwi-Fachschaft, teilte freudig mit: „Das Publikum wächst von Jahr zu Jahr. Auch die Auftrittsanfragen von Leuten, die durch ihre Texte Stigmata enttabuisieren wollen. Das motiviert uns in der Organisation immer wieder.“
Psychologieprofessor wird zu Poetry Slammer
Der Abend wurde um 19 Uhr von den Moderator*innen Michi und Nadia eingeleitet, die neun Poet*innen, zwei Musikacts und vier psychologische Institutionen ankündigten. Als „Opferlamm“, wie man es in Poetry Slam Sprache nennt, trat Professor Jörg Wolstein des Lehrstuhls für klinische Psychologie auf die Bühne. Er las dem Thema getreue Aphorismen bekannter Poet*innen vor.
Verschiedenste Gedanken in verschiedensten Texten
Den literarischen Auftakt machte Julia, die in ihrem Text „Unsicher“ lyrisch von Momenten erzählte, in denen Selbstzweifel und Unsicherheit den Alltag prägen. Danach hörten wir Emanuel, der in einem Prosatext, der Ernsthaftigkeit mit Humor vereinte, von seinem Aufenthalt in der Klinik am Michelsberg berichtete.
Im weiteren Verlauf des Abends betrat Michi die Bühne. Sie trat schon öfter als Poetin auf. Sie präsentierte einen lyrischen „mentalen Wetterbericht“. Die Idee dazu kam ihr bei einem Spaziergang im Regen. Ihr folgte Miriam, deren Text an einen lyrischen Tagebucheintrag erinnerte. Sie ließ das Publikum durch ihren Text an ihrer Arbeit in einer psychiatrischen Einrichtung teilhaben. Besonders eindrücklich: Ein im Text wiederkehrendes Hoffnungsmotiv „trotzwärts“, eine Wortneuschöpfung aus „trotzdem“ und „vorwärts“.
Des Weiteren hörten wir Cinja. Sie ist ebenfalls erfahren in der Poetry-Slam-Szene. In einem sehr persönlichen Text sprach sie offen über ihre psychische Verfassung. Ihr Ziel war es, mehr Transparenz und Verständnis für psychische Erkrankungen zu schaffen.
Musik als Rettungsring
Kurz vor der Pause sorgte der erste musikalische Beitrag des Abends für eine sowohl nachdenkliche als auch auflockernde Stimmung. Musiker Fabio spielte zwei selbstgeschriebene Songs, die Erfahrungen während seines Klinikaufenthalt verarbeiteten. Der erste Song, “I Can See Myself Again“, entstand während seiner Zeit in der Klinik. Zwei Jahre später schrieb er dann den zweiten Titel „From a Hospital Bed“, in dem er reflektiert, wie es ihm seither ergangen ist. Beide Stücke verbanden persönliche Tiefe mit musikalischer Ausdruckskraft.
Wie Erfahrungen zu Poesie werden
Nach der Pause folgte Daniel. In einem erzählerischen und lyrisch untermalten Text sprach er über seinen ehemals besten Freund, der Sucht.
Nach ihm betrat Alina die Bühne, deren fiktiver Text „zwischen Januar und mir“ von sozialer Isolation und Depression handelte. Der Ottfried hat über solche Themen auch schon berichtet.
Die nächste Poetin, Marie, erzählte in ihrem dichterischen Text von Leistungsdruck und warf einen kritischen Blick auf unsere Leistungsgesellschaft. Gerade die wenigen Plätze für Therapie machen ihr zu schaffen.
Als letzte Poetin durften wir Celina hören, die in einem sehr persönlichen Text Einblicke in ihre Ängste und Gedanken gewährte.
„Psychisch kranke Menschen sind hochsensible und emphatische Menschen, sie sind höchst sympathische Menschen.“ – Elisabeth Landgraf
Im Laufe des Abends stellten sich verschiedenste psychologische Institutionen vor, was das ganze Motto des Abends unterstrich.
Als erste präsentierte Cindy Strömel-Scheder die Antidiskriminierungsstelle der Universität Bamberg (antidiskriminierung@uni bamberg.de). Diese Institution bietet eine erste Anlaufstelle für Studierende, die jegliche Form von Diskriminierung verspüren.
Als zweite psychologische Einrichtung des Abends wurde die Beratungsstelle des Studierendenwerks Würzburg vorgestellt. Elisabeth Landgraf legte auf persönliche und zugängliche Weise ihren Berufsalltag dar. Typische Themen, mit denen Studierende ihre Hilfe aufsuchen, seien die Anfangs-, Prüfungs- und Abschlussphasen, psychischen Belastungen, familiäre Probleme oder Trauerfälle während des Studiums. Ihren Vortrag beendete sie mit dem Zitat: „Psychisch kranke Menschen sind hochsensible und emphatische Menschen, sie sind höchst sympathische Menschen.“
Paula und Isabell warben außerdem für den AK Psychiatrie. Sie sind eine Gruppe Ehrenamtlicher, die psychiatrischen Patient:innen bei Kaffee und Kuchen einen Ausgleich zum Klinikalltag bieten. Sie freuen sich immer über neue Mitglied*innen.
Als letzte Anlaufstelle für psychologische Unterstützung stellte Julia die Nightline Bamberg vor, ein Zuhörtelefon von Studis für Studis, das montags, mittwochs und donnerstags zwischen 21-0:00 Uhr unter 0157/35233503 erreichbar ist
Gänsehautmoment als Abschluss des Abends
Der Abend wurde von dem zweiten Musikact, Marlene, beendet. Sie sang für uns einen Song, der sie schon durch alle möglichen emotionalen Phasen ihres Lebens begleitete. Vergangenes Wintersemester gründete sie einen Chor, dessen Auftritt für einen Gänsehautmoment sorgte. Die Sängerin schickte das Publikum mit der Nachricht „Kein Gedanke nach Mitternacht wurde je zu Ende gedacht“ aus dem Song „Schlaf gut“ von Betterov nach Hause. Der Abend war einer, der in Erinnerung bleibt. Die offene, wertschätzende Atmosphäre schuf einen Raum, in dem sich viele verstanden und aufgehoben fühlten. Das vielfältige Programm bot nicht nur Anlass zur Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Strukturen, sondern auch mit sich selbst. Vor allem aber war es eine Möglichkeit für Poet*innen, ihre ungefilterten und echten Gedanken, Emotionen und Erfahrungen ungefiltert zu teilen, außerhalb eines Wettbewerbs und ohne Stigmatisierung.