
alias Peterson, träumt von einem Aussteigerleben mit Ihrem Hund namens…
„Mein Leben gähnt mich an wie ein großer Bogen Papier, den ich vollschreiben soll, aber ich bringe keinen Buchstaben heraus. Mein Kopf ist ein leerer Tanzsaal, einige verwelkte Rosen und zerknitterte Bänder auf dem Boden, geborstene Violinen in der Ecke, die letzten Tänzer haben die Masken abgenommen und sehen mit todmüden Augen einander an. Ich stülpe mich jeden tag vierundzwanzigmal herum wie einen Handschuh. Oh, ich kenne mich, ich weiß was ich in acht Tagen, was ich in einem Jahr denken und träumen werde. Gott, was habe ich denn verbrochen, dass du mich wie einen Schulbuben meine Lektion so oft hervorsagen lässt?“

Die Komödie „Leonce und Lena“ ist vielen vermutlich noch aus der Schulzeit als einer der wenigen Texte des Woyzeck-Autors Georg Büchner bekannt. Sie wird bis Ende Mai im ETA Hoffmann Theater gespielt. Das 1836 geschriebene Stück wurde von Wilke Weermann nun umgeschrieben. Dabei hat er es mächtig umgekrempelt, ähnlich wie bei dem im Zitat erwähnten Handschuh. Büchners ursprünglicher Zweck den damals vorherrschenden Absolutismus zu parodieren, wurde zu einer Kritik an unserer aktuellen Mediengesellschaft verformt. Die Aufführung erinnert an einen Sci-fi Film. Die fünf DarstellerInnen Pit Prager, Jeanne Le Moign, Eric Wehlan, Ewa Rataj und Leon Tölle sind in schrillen Kostümen von Lara Scherpinski gekleidet.
Zukünftiger Medienabsolutismus?
Sie ähneln ein wenig den BewohnerInnen des Kapitols aus Tribute von Panem, die sich vor lauter Privilegiertheit langweilen und in Extravaganz schwelgen. Somit inszenieren die Theaterleute auch eine mögliche Zukunftswelt eines Medienabsolutismus. Einer Unterdrückung des Volkes durch Automaten oder einer höheren Substanz, wie sie König Peter in Weermanns Stück beschreibt.
Farbige Beleuchtung, schrille Monarchenkostüme, sphärische Klänge: alles ist perfekt aufeinander abgestimmt und schafft eine traumartige Atmosphäre. Das Dienstpersonal Valerio und Rosetta des Prinzen Leonce und der Prinzessin Lena, sowie König Peter – der Vater von Leonce sind Automaten ohne freien Willen. Jede Bewegung ist mechanisch einstudiert und auch die Stimmen klingen robotisch. Leonce und Lena scheinen noch die einzig echten Menschen mit freien Gedanken zu sein.
„Ein Narr! Wer will mir seine Narrheit gegen meine Vernunft verhandeln?“
Der melancholische Prinz Leonce vom Königreiche Popo ist gelangweilt vom Leben und von der Liebe. Ablenkung sucht er unter anderem auf „Tiktak“. Er leidet darunter, keine Ideale zu finden und daran, dass keine seiner Handlungen bedeutungsvoll sind. Daher lebt er mit seinem mechanischen Diener Valerio als Müßiggänger vor sich hin und geht in Narrheit auf. Ihrer Lebensweisheit nach ist die Welt so konfus und verrückt, dass man ihr nur als Narr begegnen kann. Ein nützlicher Teil der Gesellschaft will Leonce auch nicht werden.
„Denn wer arbeitet, ist ein subtiler Selbstmörder, und ein Selbstmörder ist ein Verbrecher, und ein Verbrecher ist ein Schuft, also, wer arbeitet, ist ein Schuft.“

„Warum schlägt man einen Nagel durch zwei Hände, die sich nicht suchten?“
Um eine Heirat mit der ihm unbekannten Prinzessin Lena vom Königreiche Pipi und seiner Nachfolge als König zu umgehen, flieht er nach Italien.
Auch seine Verlobte Lena ist eine Melancholikerin. Sie versucht ihre Langeweile in einem Liebhaber zu ertränken und erstellt sich durch ihren Automaten Rosetta ihre Ideal-Person. Eine ihr unbekannte Person heiraten möchte sie ebenfalls nicht. So flieht auch sie – ebenfalls nach Italien.
Pipi und Popo
Als die beiden sich auf ihrer Reise zufällig treffen, ergänzen sie sich perfekt. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Doch die ungewohnte Liebe macht Leonce Angst und er versucht sich umzubringen.
Sein Suizidversuch scheitert und alles endet schließlich in einer kuriosen Heirat zwischen beiden, bei welcher sie erst nach dem Ja-Wort realisieren, wer die andere Person wirklich ist. Doch ob diese Bindung und der Amtsantritt Leonce zu einer glücklicheren Zukunft für beide und ihre Untertanen führt, wird offen gelassen. Wird nicht einfach alles so weitergehen und alle werden von Algorithmengesteuerte Automaten?
Weermanns Generation Z
In „Leonce und Lena“ wird auf einer ironischen und poetischen Weise Einsichten in die Psyche zweier jungen Leute gegeben, die sich konstant mit Sinnfragen beschäftigen. Die Frustration an der Langeweile und der Sinnlosigkeit des Lebens, die nicht existente Lust auf Arbeit, sowie das Liebesleben unserer Generation wird gut porträtiert. Das ewige Herumvegetieren auf Tiktok, das nutzlose Versinken in den sozialen Medien oder das Suchen nach dem perfekten Ideal eines Partners auf Dating-Apps und der Angst vor der wahren Liebe oder wirklicher Bindung. Weermann hat in seiner Bamberger Bearbeitung des Stückes auch einige feministische Twists eingearbeitet. So ist Rosetta, nicht wie im Originaltext die Mätresse von Leonce, sondern dient als Liebhaberin Lenas und König Peter wird durch eine Frau gespielt. Zudem werden die stereotypischen Geschlechterrollen verhöhnt.
Der Kopf arbeitete während der Spielzeit aktiv und auch nach der Aufführung ist er noch am Rattern. Denn der Text ist sehr dicht und interpretationsbedürftig. Die Inszenierung ist wie ein Fiebertraum, aus der man eine Erleuchtung mitnimmt; nur muss man über diese immerfort nachdenken und dann wieder neu ansetzen.

alias Peterson, träumt von einem Aussteigerleben mit Ihrem Hund namens Findus. Im Wald, ihrem Lieblingsort, finden sich auch allerlei Inspirationen für ihre Artikel.