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Im Wohnzimmer der Bamberger
Dunkel Hell

Im Wohnzimmer der Bamberger

  • Das großzügige Licht der Bühnenscheinwerfer reicht bis ins Publikum. Im hellen Halbdunkel von Reihe fünf, direkt hinter dem Dirigenten, sitzt es sich ungewohnt, vielleicht auch, da kein weiterer Zuhörer im Saal ist. Die Symphoniker plaudern munter in Kapuzenpulli oder buntem Hemd, werfen ab und an Blicke von der Bühne und warten auf ihren Chef.

Wir erwischen das Orchester in einer geschäftigen Phase. Eben aus Spanien zurückgekehrt, bleiben nach der heutigen Probe noch zwei Tage bis zum nächsten Konzert. Beethoven und Mozart in Barcelona und Madrid folgt Bruckners Fünfte in Bamberg. Tags darauf empfängt das Orchester die Weltklassecellistin Sol Gabetta. Wieder einen Tag später geht es mit Wagners Walküre nach Baden-Baden, alsdann zu drei weiteren Konzerten mit Sol Gabetta. Im November werden drei Gastdirigenten, darunter Jonathan Notts Nachfolger Jakub Hrůša, am Pult stehen. Der Dezember verspricht vier weitere Gastdirigenten und 14 Konzerte. Ein Dauerlauf für die Musiker.

Marcus Axt weiß das und findet erklärende Worte. Der Intendant spricht von anstrengenden Wochen, die auch im Büro zu spüren seien. Ein Weltklasseorchester müsse aber gewisse Konzerttermine annehmen, um seiner Stellung gerecht zu werden. Nott wartet derweil am Bühnenrand und sieht zu, wie Axt seiner Mannschaft eine freie erste Januarwoche verspricht. Allgemeine Zustimmung und Auftritt des Chefdirigenten.

Es ist sofort still, obwohl sich 80 Musiker auf der Bühne tummeln. Nur ein paar vereinzelte Hüstler und Raschler im Orchester verraten, dass es sich um keine Konzertsituation handelt. Es darf gescherzt werden, aus der ersten Reihe geht ein gestikulierender Gruß an den Hornsatz im hinteren rechten Eck. Als Nott die Arme zum Beginn des ersten Satzes hebt, hört auch das auf. Nach einer Sekunde ist das Orchester spielbereit.

Schlagartig füllt sich der leere Saal mit Leben, obwohl keiner der 1400 Plätze besetzt ist. Die Musiker kennen die Spielstätte. Es ist ihr Wohnzimmer, der beste Konzertsaal Bayerns. Da will man nicht stören. Ich kann mich nicht entsinnen, jemals so still und unbeweglich in einem Konzert gesessen zu sein. Nott dirigiert Bruckners Fünfte mit gelegentlichen Zwischenkommentaren, die er ins spielende Orchester ruft. Sein Schlag ist etwas akkurater als gewohnt, er selbst näher am Blatt und positionsfester. Manchmal wendet er sich vom Orchester ab, um ein Einzelthema anzuleiten. In solchen Momenten spielt der Rest weiter, unbeirrbar. Nach einigen Augenblicken haben die Bläser Pause. Der Tubist holt ein Buch hervor, um für die nächste Viertelstunde dahinter zu verschwinden.

Am Ende der 20 Minuten des ersten Satzes fällt die Anspannung ab, es wird geredet, Stühle gerückt. Mein linkes Bein ist taub, das merke ich erst jetzt. Während ich mich in Reihe fünf noch über den ausbleibenden Applaus wundere und mit gymnastischen Übungen beginne, diskutieren vorne die Musiker. Das Blech schaut mit stoischer Gelassenheit zu, wie Nott Ansagen an einzelne Sätze verteilt und sich „A little bit more time auf der zweiten Achtel“ erbittet.

Das erregt eine professionell konstruktive aber lebhafte Diskussion der hohen Streicher. Die ersten Geigen interessieren sich auffallend für den richtigen Strich und geraten in ein lebendiges Hin und Her, bis sich der Konzertmeister erhebt und die Stelle einmal mit Nachdruck vorspielt. Die Bratschen beobachten die Szenerie entspannt aus der Ferne. Als die Rede auf sie fällt, winkt ihr Stimmführer ab und meint: „Das kriegen wir hin.“ Diskussion beendet und Beginn von Satz zwei. Schließlich bleibt heute noch einiges zu tun.

Am Samstag, 12. Dezember findet das nächste Studentenkonzert statt. Der junge finnische Shootingstar Santtu-Matias Rouvali wird ein Programm seines Landsmannes Jean Sibelius dirigieren. Im Anschluss spielt ein Ensemble aus Violine, Harmonium und Kontrabass finnischen Jazz in der bis in die Nachstunden geöffneten Konzerthalle. Beginn ist um 21:30 Uhr.

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