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Dichterwettstreit auf Leben und Tod

Dichterwettstreit auf Leben und Tod

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Ende Oktober, ein Tag vor Halloween: Es war mal wieder an der Zeit, die kalten und toten Körper einiger großer Literaten direkt aus ihrem nassen Grab auf die Bühne des E.T.A.-Hoffmann-Theaters zu holen. So galt es auch beim diesjährigen “Dead or Alive Poetry Slam” für vier junge lebendige Slam-Poeten sich in den Wettkampf mit anerkannten Größen der (deutschen) Literatur – verkörpert von den neuen Mitgliedern des Theater-Ensembles – zu stürzen. Sogar der deutsche Dichterfürst höchstselbst sollte sich zu diesem Anlass die Ehre geben: J. W. von Goethe. Auch sonst war nicht an einschlägigen Persönlichkeiten gespart worden, Bachmannpreisträgerin Nora Gomringer (im Kakerlakenkostüm) und Bamberger Poetry-Slammer und Initiator Christian Ritter (im Anzug) waren zur Moderation des Abends berufen worden. Für den Trommelwirbel hatte man eigens den Drummer Philipp Scholz aus Leipzig herangekarrt, der in den poetischen Verschnaufpausen gemeinsam mit DJ Kermit gekonnt für das nötige Bum-Bum-Chak sorgte.

Wider dem Schönheitswahn

Über Beginnen und Nicht-Beginnen wurde per Wurf der noch schnell aus dem Publikum geliehenen Münze entschieden; der Totenkopf lag obenauf und so begann der Kampf – „Mein Kampf“. Für das Team der toten Poeten eröffnete nämlich Stefan Hartmann als George Tabori den Abend. Ob das Publikum noch nicht recht in Stimmung war oder man es Tabori übel nahm, das eigene Werk nicht ganz ohne Spickzettel über die Bühne bringen zu können, der Saal wollte noch nicht recht zu kochen beginnen. Dennoch vermochten spätestens Schlomos und Hitlers hitzige Ausführungen zum Ohrläppchenknabbern der Menge einige Lacher zu entlocken und auch die fünf unparteiischen Schildchenwinker im Publikum ließen sich milde stimmen und vergaben solide 22 Punkte von 30 möglichen Punkten.

Das Team der Lebenden setzte gleich zu Beginn auf weiblichen Charme, um die Herzen der Jury für sich zu gewinnen. Mona Harry aus Hamburg machte den Anfang und fand beim Publikum mit einem Text über „Analogkäse“ in Form von, in flinker Folge vorgetragenen, Alliterationen Anklang. Am lautesten bejubelte die blondierte stark geschminkte Dame zu meiner Rechten (Mitte Vierzig) den Aufruf gegen Schönheitswahn und ‑zwang bis ins hohe Alter hinein. Frau Harry aus Hamburg erntete 27 von 30 Punkten, und auch sonst sollte es ein Abend der Hoch- und Höchstwertungen werden.

Die Teams schickten abwechselnd ihre Poeten auf die Bühne – auf Seiten der Schauspieler jandelte man sich vom Krieg zum Mai, der junge Werther erzählte dem Publikum vertraulich bei einem Bier von seinen Problemen und versprach wiederholt, sich zu bessern, nur um von der nächsten Kandidatin mit einem lauten „Fack ju Göhte!“ symbolisch unter einem Berg aus gelben Reclam-Heftchen begraben zu werden. Leider ist mir nicht bekannt aus welchem Bernhard-Roman Katharina Rehn sich das freche Mädchen mit den abstehenden roten Zöpfchen ausgeborgt hatte, das da so freigiebig den Bühnenboden schulranzenweise mit deutschen Klassikern bedeckte. Dem Publikum aber gefiel es und der freudsche Verschreiber in der Ankündigung – Katharina „Zehn“ – sollte sich bewahrheiten: Höchstwertung.

Polizeigewalt gegen Büsche und Rehe

Doch auch auf Seite der quicklebendigen Slammer ging es ordentlich zur Sache: Andy Strauss erzählte anprangernd von Polizeigewalt gegen Büsche und Rehe, sowie dem unverhältnismäßigen Einsatz von Pfefferspray gegen Letztere – aus geschmacklichen Gründen –, Nick Pötter berichtete von vier streitsüchtigen Geistern in seinem Kopf, Quizduellsiegen der Weisheit gegen die Liebe, und wie diese dazu führten, dass er in faustischer Manier irgendwann alles studiert hatte – und BWL. Und Thomas Spitzer verriet uns schließlich, wie es wäre, wenn alles anders wäre. Genauso bunt gemischt ging es auch weiter ins Finale. Bevor es aber zum mit Spannung erwarteten Höhepunkt kommen sollte, gönnte man den Lachmuskeln und Blasen der Besucher noch einmal eine kurze Entspannungspause.

Wieder zurück auf den Plätzen gab sich die in Würde gealterte Handpuppe „Clarissa“ die Ehre eines Gastauftritts, ihren täuschend echten Pflegeroboter Nicole Weissbrodt im Gepäck, und stimmte die Menge gebührend auf das Finale ein. Hier sollten dann noch einmal die beiden Bestbewerteten aus jedem Team zum ultimativen Showdown aufeinandertreffen.

Team Tot behielt Bewährtes bei, Rot-Zopf Katharina Rehn weitete ihren kulturellen Rundumschlag auch noch auf das schillersche Schaffen aus – inklusive des obligatorischen Schulranzens voll gelber Büchlein. Bertram M. Gärtner Werther wagte ein interessantes Experiment und sprach den bereits in der Vorrunde vorgetragenen Text erneut, setzte allerdings ganz andere Akzente und die leicht verrückte, joviale Lockerheit des Textes, welche ihn noch in der Vorrunde ausgemacht hatte, wich nun einem Gefühl von todernster Beklommenheit und unterschwelliger Verzweiflung.

Aus den toten Händen gerissen

Für Team Lebendig ging erst Nick Pötter erneut ins Rennen, mit einem Text über Liebe — inklusive eines, zuvor allerdings fairerweise angekündigten, Happy-Ends. Sein Kalkül ging aber vollends auf, die griechische Mythenwelt erwies sich tatsächlich als die richtige Wahl, um heute junge Menschen anzusprechen – und das gedankliche Bild vom kleinen Hermes unter MDMA-Einfluss auf einer Rave-Party vermochte auch das eisernste Herz zu erweichen. Thomas Spitzer verlegte sich schließlich darauf, den Alkohol und dessen Jünger zu dissen.

Die abwechslungsreichen Performances wussten zu überzeugen, und so gelang es Team Alive letzten Endes – mit knappem Vorsprung – auch in diesem Jahr, den Wanderpokal den kalten toten Händen der arrivierten Literaten zu entreißen und das ThETAer als Sieger zu verlassen.

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