Die Sonne geht über dem Nürnberger Messegelände unter, taucht den ausladenden Hallenkomplex in warmes Licht, während ich mich durch Ticket-Suchende, Rentergruppen und Dylan-Doubles schiebe. Kurz wird mein Ticket inspiziert, länger werde ich auf das Film- und Videoverbot aufmerksam gemacht. Wie im Berghain, denke ich, als ich die Frankenhalle betrete. 5000 Menschen passen hier rein, sold-out show. Von den Wänden der Eingangshalle lächelt mich Helene Fischer zigfach an. Queen H kommt nach Franken. Die Leute um mich herum sind gut gelaunt und das fröhliche Quasseln vermischt sich zu einem großen Summen. Weniger Alt-Hippies als ich dachte, eher so der Typ netter Nachbar, dessen Namen man immer vergisst. Hier und da die typischen, mehr oder weniger jung gebliebenen Stepdads mit coolen Bandshirts, die ganz bestimmt nicht erst kürzlich online geshoppt wurden. Ich entschlüssele den Weg zu meinem Platz und stelle fest, dass es ausschließlich Sitzplätze gibt. Nur fair, der Meister wird später auch meistens hinter dem Piano sitzen. Voll freudiger Erwartung rätsele ich, welche Songs er wohl spielen wird.
Als es dunkel wird und frenetischer Jubel ertönt, ist es 19.55 Uhr und die Leute stolpern eilig zu ihren Plätzen. Überpünktlich, der Gute. Der kleine Mann hinter dem Klavier nuschelt etwas ins Mikrofon, das nach „Good Evening“ und „Nuremberg“ klingt. Nach dem legendären Auftritt auf dem Zeppelinfeld auf dem Gelände der Nürnberger Reichsparteitage vor 40 Jahren ist er also mal wieder in Nürnberg. Ob er sich daran noch erinnern kann? Schmalschultrig sitzt er da, die Haare voluminös wie eh und je, aber irgendwie etwas zerbrechlich wirkend. Von der Stimme kann man das allerdings nicht behaupten: Klar und kräftg ertönt es aus den Boxen, weit weniger quäkig als so manches Studioalbum. Man sieht, dass er Spaß hat – nicht selbstverständlich bei Exzentrikern wie dem großen Dylan.
Und dann die Songs: erst ein paar Klassiker im neuen Gewand, begleitet von der gewohnt starken Band. Die Gestaltung der Bühne erinnert an eine einsame Kneipe irgendwo im Westen der USA, in der die Zeit in den 60ern stehen geblieben ist. Der wimmernde Tex-Mex-Sound der Gitarren unterstreicht diese Ästhetik phänomenal. Zumal Dylan viele Songs aus seiner eher bluesigen Ära spielt. So paradox das klingen mag, durch immer neue Interpretationen seiner Songs, die ihnen ganz neue Facetten geben, bleibt er seiner eigenen Tradition treu. Es ist wie ein whiskeygetränktes Beisammensitzen mit einem alten Mann, der viel gesehen und erlebt hat, bei dem man seinem außergewöhnlichen Lebenswerk lauscht.
Nach knapp zwei Stunden inklusive zwei Zugaben ist es dann vorbei. Eine kleine Verbeugung, eher ein Nicken, dann schlurft er von der Bühne. Gänsehaut.