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Aus Hype wird Hysterie

Aus Hype wird Hysterie

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  • Beim Konzert ausrasten und danach dafür ausgelacht werden. Das erleben weiblich gelesene Fans immer wieder. Musikjournalistin Daniela Ammermann berichtet im Interview von eigenen Erfahrungen und erzählt, was hinter der Herabwürdigung steckt.
Was ist deine Einschätzung: Wie werden weiblich gelesene Fans wahrgenommen?

Daniela Ammermann: Ich würde sagen, das kommt ganz darauf an, wen man fragt. Ich als Konzertgängerin würde eine große Masse weiblich gelesener Fans auf jeden Fall erstmal erleichternd wahrnehmen, als Safe Space. Wenn ich schon vor einem Konzertbesuch weiß, die Mehrheit der Menschen, auf die ich da heute treffe, werden eher FLINTA* sein, dann habe ich oft einfach den entspannteren Abend. Männliche Betrachter nehmen große eher weiblich gelesene Fan-Communities vor allem erstmal nicht ernst. Taylor Swift, Tokio Hotel, Harry Styles, BTS – alles Künstler:innen und Bands, die Stadien mit mehrheitlich jungen Frauen füllen. Und wenn wir jetzt an Berichterstattung denken, die rund um diese Künstler:innen und deren Fans stattfindet, dann können wir sicher sein, dass in den ersten fünf Sätzen das Wort Hysterie auftaucht. Und wenn man sich ein bisschen mit der Wortherkunft beschäftigt, dann merkt man schnell, mit welchen Vorurteilen die Berichterstattung aufgeladen ist. Hysterie bedeutet in seinem Wort- Ursprung „Gebärmutter“ und es gab eine Zeit in der Hysterie als psychische Störung galt.

Unzurechnungsfähigkeit, Irrationalität – das sind meiner Erfahrung nach Attribute, die weiblich gelesene Fans eher durch eine männliche Perspektive zugeschrieben bekommen. Und ich will gar nicht abstreiten, dass tagelanges Campen vor Spielstätten und Hotels eine sehr extreme Art des Fantums ist, mich stört allerdings, wie sehr in diesem Kontext mit zweierlei Maß gemessen wird. Wenn hauptsächlich junge Männer ihr Zelt vor einem Sneaker-Store aufschlagen, damit sie 380 Euro für den streng limitierten AirForce-Irgendwas ausgeben können, dann bekommt das so coole Zuschreibungen wie „Campout“ und Sammlertum, es handelt sich um einen Hype. Wenn junge Frauen für einen Popstar campen, wird aus Hype Hysterie.

Und diese unterstellte Hysterie wird vor allem auch kapitalisiert. „Die erste Reihe, die Top 5% einer Fangemeinde, machen schätzungsweise über die Hälfte des Umsatzes ihres Stars aus.“ (Arte Tracks, „Die Macht der Fans“, 2022). In einer noch aktuelleren Folge von Arte Tracks erklärt Michael Rapino, der CEO von Live Nation, dass es beim Ticketverkauf aus wirtschaftlicher Perspektive vor allem darum geht, genau diese ersten Reihen so gut es geht zu monetarisieren, die finanzielle Schmerzgrenze ausfindig zu machen. Weibliche Fans dürfen also häufig in folgendem Spannungsfeld ihren Platz finden: Im Feuilleton und am musikjournalistischen Stammtisch werden mehrheitlich weibliche Fan-Communities belächelt, Major-Labels, Ticketing-Agenturen und nicht zuletzt die Künster:innen selbst hingegen, wollen sich die Kaufkraft dahinter zu Nutze machen.

Musikjournalistin Daniela Ammermann. Bild: Annika Fußwinkel
Was denkst du über die Begriffe „fangirl” oder „fangirling”? Hängen die Benutzung der Wörter und die Art der Wahrnehmung vom Geschlecht der beurteilenden Person ab?

Das kommt ganz darauf an, wer die Begriffe verwendet. Viele Fandoms, die mehrheitlich aus Frauen bestehen, bezeichnen sich ja mitunter selbst als fangirls. Das kann also durchaus erstmal ein Begriff sein, der eine kennzeichnende und verbindende Absicht hat. Vor allem kennzeichnet dieser Begriff: Wir kennen nicht nur die Diskografie in- und auswendig, sondern beschäftigen uns auch in unserer Freizeit viel mit besagter Künstlerin/ besagtem Künstler. Dahinter steckt zeitliche, finanzielle und emotionale Investition. Die Bedeutung des Begriffs ändert sich für mich allerdings, wenn Männer diese Einordnungen treffen. Wenn Männer mir in der Vergangenheit „fangirling“ unterstellt haben (allein schon, dass ich das Wort „Unterstellung“ in diesem Kontext benutze), dann ist damit oft ein Absprechen von Kompetenz einhergegangen. Dann schwingt da oft der indirekte Vorwurf einer gewissen Irrationalität mit. Ich sei dann als Fan oft emotional zu involviert, um als Musikjournalistin eine wertvolle Beurteilung treffen zu können. Und dieser Vorwurf der Emotionalität ist natürlich total albern. Wenn ein Konzert emotional nichts mit mir anrichtet, dann ich es auch genauso gut lassen. Gerade im Musikjournalismus werden da oft verschiedene Maßstäbe angelegt: Wenn ein Musikjournalist bspw. die Karriere einer Band schon über Jahrzehnte hinweg mitverfolgt, von der kleinsten Kaschemme, bis ins Stadion, dann ist das ein Gütesiegel, dann beweist das Urteilungsvermögen. Wenn ich als Frau viel Geld für ein Ticket in die Hand nehme, vielleicht sogar in eine andere Stadt reise, um einen bestimmten Act zu sehen, dann ist das verrückt. Frauen benutzen den Begriff meinen Erfahrungen nach einschließend, um sich selbst und andere als Interessensgruppe zu kennzeichnen, Männer meiner Erfahrung nach sehr oft, um Abgrenzung zu schaffen. Fun Fact: Männer machen das übrigens auch, ins Auto steigen, ihren Idolen deutschlandweit hinterherfahren und sich für den großen Tag in Schale schmeißen – man nennt das dann „Fußballfan“.

Was denkst du ist der Grund hinter solchen Annahmen und Vorwürfen?

Also aus journalistischer Perspektive würde ich sagen, hat das viel mit alteingesessenen Kulturkritikern zu tun, die einfach zu faul sind, sich mit den viel komplexer gewordenen Mechanismen zu beschäftigen, die heute hinter Fankultur stecken können. Die sehen schreiende Menschenmengen auf Taylor Swift und Harry Styles Konzerten und fühlen sich an eine 1964 ausgerufene Beatle-Manie erinnert. Das man damals von einer Manie gesprochen hat, ist natürlich auch kein Zufall. Jungen, weiblichen Fans gegenüber Begriffe wie „kreischen“, „Wahnsinn“ und „Hysterie“ zu verwenden ist vielleicht auch gerade in dieser Zeit salonfähig geworden. Nur macht man es sich heute zu einfach, wenn man eine jubelnde Masse als pauschal unzurechnungsfähig degradiert. Fan-Sein hat sich verändert, dafür muss man seine Idole nicht mehr am Flughafen in Empfang nehmen, einen Tik-Tok-Account zu haben, kann sich als viel wertvoller herausstellen.

Außerdem spielen sexistische Strukturen in diesem Kontext eine unbestreitbare Rolle.

Diese Vorurteile zeigen, wie sehr wir als Gesellschaft noch immer in heteronormativen Denkmustern stecken. Wenn junge Frauen Fan eines Künstlers sind, oder einer Band, die mehrheitlich mit Männern besetzt ist, dann finde mal eine Konzert-Review, die ohne das Erzählgefäß „Groupie“ auskommt und den anwesenden Frauen nicht pauschal unterstellt, mit dem Künstler schlafen zu wollen. Und ich will auch an dieser Stelle gar nicht abstreiten, dass es in besagten Fan-Communities keine Groupies gibt. Aber mich macht es wütend, dass der Begriff „Groupie“ vor allem immer dann Anwendung findet, wenn es darum geht junge Frauen herabzusetzen. Man könnte ja auch das Machtverhältnis thematisieren, das in der Popstar-Fan-Beziehung wirkt, das kommt in sexistischen Kritiken der besagten Musikjournalisten aber meistens zu kurz. Denn dafür müssten sie mit ihrem eigenen Sexismus und vielleicht noch schlimmer – mit ihren musikalischen Idolen – härter ins Gericht gehen. Da ist natürlich einfacher, jungen Frauen einen Stempel aus 1964 aufzudrücken.

Wie zeigt sich diese sexistisch geprägte Herabwürdigung? Wurde dir schon mal abgesprochen Fan von etwas zu sein?

Wenn mir im musikjournalistischen Kontext Dinge abgesprochen wurden, dann ging es da vor allem um Kompetenz. Ich hätte keine Ahnung von Gitarrenmusik, ob ich überhaupt schon mal eine Gitarre in der Hand gehabt hätte. Genauso habe ich auch schon ein Rap-Interview abgesagt bekommen, weil man an meiner Stelle doch eher einem Mann die angemessene Auseinandersetzung mit besagtem Rapper zugetraut wurde. So manche musikjournalistische Auseinandersetzung mit Künstlern aus bestimmten Genres bin ich von vorneherein gar nicht erst angetreten, weil ich damit rechnen muss: Hier kämpfen schon fünf wesentlich ältere Musikjournalisten um die Deutungshoheit einer halb verstorbenen Rockband, ich habe keine Lust da mitzumachen. Als Frau gleichzeitig Musikjournalistin und Fan zu sein ist sehr schwierig. Natürlich bin ich Musikfan, sogar großer Fan bestimmter Künstler:innen, sonst hätte sich für mich ja auch nie dieses Berufsprofil ergeben. Aber ich muss mein Fantum, gerade wenn es um Künstler:innen aus dem deutschsprachigen Raum geht, dosieren, sonst laufe ich an anderer Stelle Gefahr meine Kompetenz und mein Urteilungsvermögen abgesprochen zu bekommen. Gleichzeitig konnte ich in der Vergangenheit männlichen Kollegen dabei zugucken, wie sie sich ein Autogramm von dem Künstler holen, den sie fünf Minuten vorher noch interviewt haben. Ich habe sowas, aus Angst meine journalistische Kompetenz damit zu untergraben, noch nie gemacht und trotzdem sind meine Kolleginnen und ich diejenigen, die gefragt werden, ob sie mit Künstler xy auch gerne mal was anderes machen würde, als ein Interview führen 😉

Wenn du etwas teilst, ist das oft, weil du auf deine Playlist „Pop is a woman“ hinweist. In dieser sammelst du gezielt Pop-Musik von Künstlerinnen verschiedener Genres. Welche Motivation steckt dahinter?

Ich war ehrlich gesagt genervt. Genervt von musikbegeisterten Männern und auch Männern in der Musikbranche, die nicht müde wurden, sich immer wieder in dieser bescheuerten, „es gibt ja einfach nicht so viele Künstler:innen“-Floskel zu wiederholen. Das war ja schon im Jahr 2019 (da habe ich mit der Playlist angefangen) einfach grob gelogen. Die meisten waren und sind einfach nur zu faul ihre Hörgewohnheiten zu hinterfragen, oder beruflich gesprochen, mal außerhalb der gewohnten Männerbande und Komfortzone zu arbeiten. Und dann fällt in Diskussionen irgendwann immer folgender Satz: „Ja dann nenn‘ mir doch jetzt bitte Künstlerinnen, die ich hätte nominieren/ buchen/ spielen können“. Wenn ich dann einen schlechten Tag habe, sage ich „Ne, ich mache jetzt mit Sicherheit nicht unbezahlt deinen Job“ und wenn ich einen guten Tag habe, dann verschicke ich den Link zu meiner Playlist.

Hast du aus deiner Arbeit als Musikjournalistin bemerkt, wie Musiker*innen mit dem Thema umgehen?

Ich hab mich in der Beantwortung der vorangegangenen Fragen ja viel auf internationale Stadion-Künstler:innen bezogen, die vor allem von der immensen Kaufkraft profitieren, die ein mehrheitlich weibliches Publikum darstellt. Und in dem Kontext komme ich nicht um die Feststellung herum, dass viele dieser Künster:innen sehr verantwortungslos mit der finanziellen und auch zeitlichen Aufopferungsbereitschaft ihrer Fans umgehen. Das wird in vielen Fällen einfach ausgenutzt, sogar noch befördert, indem man in Interviews bspw. zugibt, sogenannte „Easter Eggs“ in seiner Musik, in seinen Videos, in seinen Postings zu verstecken. Das stellt eine Belohnung in Aussicht, die vielen Fans das Gefühl gibt, meine finanzielle, zeitliche und emotionale Investition lohnt sich. Dabei wird hier in erster Linie Geld gemacht. Ich finde das als Fan schon recht schwer auszuhalten, wenn sich jemand wie Harry Styles in seinen Ansagen auf der Bühne regelrecht demütig gibt, sich in diesem Kontext gerne auf seine Arbeit in der Bäckerei bezieht und dann dankend an seine Fans wendet, wohlwissend, dass gerade die „Fangirls“ in den vorderen Kategorien Monatsmieten ausgeben, um dort vorne zu stehen. Diese Art Popkultur war ja schon immer eher Luxus, aber jetzt gerade reden wir da aber über absolut wahnsinnige Geldsummen. Und die großen Künstler:innen, um die es da geht, könnten sich an dieser Stelle für ihre Fans einsetzen, sie verzichten aber darauf, weil sie am Ende finanziell von dieser Fangirl-Kultur profitieren.

Hier könnt ihr in die Playlist von Daniela Ammermann reinhören:
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