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Die Pandemie aus der Sicht einer Parkbank
Dunkel Hell

Die Pandemie aus der Sicht einer Parkbank

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  • Ein Tweet, der für Aufregung sorgte. Die Maßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie schränken uns alle ein. Aber wie geht es eigentlich den Parkbänken damit? Wie fühlt sich das an, wenn einem die einzige Lebensaufgabe entrissen wird und man absolut nichts dagegen tun kann? Wir haben nachgefragt.

Hallo! Darf ich mich kurz vorstellen? Ich bin die Parkbank von der Buger Spitze. Naja, genau genommen die Parkbank KURZ VOR der Buger Spitze. Die an der Kurve, ein paar Meter davor. DIREKT an der Spitze steht eine andere Parkbank. Nein, jetzt kein Mitleid bitte… Ich fühle mich hier absolut wohl und habe keineswegs mit Komplexen zu kämpfen, weil ich nur die zweitbeste Aussicht des Parks biete. Dafür habe ich andere Vorzüge – Großzügigkeit zum Beispiel. Als die Anfrage vom Ottfried kam, ob ich einen Einblick in mein Leben während der Pandemie gewähren könnte, habe ich natürlich zugesagt. Hier ein paar Gedanken meiner letzten Wochen.

18.03.

Über manche Fragen muss man keine Millisekunde lang nachdenken. Manchmal erscheint einem die Antwort so klar, dass man am liebsten damit herausplatzen würde, noch bevor die Frage überhaupt zu Ende ausgesprochen wurde. Mir persönlich passiert das immer wieder, wenn mich jemand nach meiner Lieblingsjahreszeit fragt – der Frühling!!!!!!!!! Und bald ist es wieder so weit! Von meinem Platz am Wegesrand aus kann ich den Glückshormonen bereits förmlich dabei zusehen, wie sie in der Luft umherschwirren und sich einander zum Tanz auffordern. Ich sehe, wie sie sich umarmen, jauchzen, jodeln und Moshpits starten.

21.03.

Juhu, heute besucht mich Luise, eine meiner Stammgäste. Ich korrigiere: Mein Lieblingsstammgast. Ist die Sonne draußen, ist Luise draußen. Schon seit Tag eins meines Aufenthalts kommt sie regelmäßig, um mit mir gemeinsam dem Wasser beim Fließen zuzusehen. Die Kenntnis ihres Namens habe ich ihrem Nokia-Handy zu verdanken, das zu damaligen Zeiten offenbar noch ohne „Leiser“-Taste konzipiert wurde. So können der Park und vermutlich auch die anliegenden Wohnsiedlungen regelmäßig den telefonischen Enkel-Updates lauschen.

Aber Moment mal – was tut Luise denn da? AUA! Eine stechende Flüssigkeit strömt in jede einzelne meiner Holzfasern. In mir zieht sich alles zusammen. Was zur Hölle?! Was ist das für ein Spray, mit dem Luise so konzentriert auf mich zielt? Deo kann es nicht sein, dafür riecht es viel zu abartig. Luise scheint der Geruch zu gefallen. Sie will ihren Finger gar nicht mehr von der Dose nehmen. Langsam wird mir schummrig. Und als es endlich vorbei zu sein scheint und kein Tröpfchen mehr aus der Öffnung kommt… kramt Luise eine neue Dose aus ihrer Handtasche. Es geht in die zweite Runde. Voller Entsetzen stelle ich fest, dass ausgerechnet heute ein Würmchen beschlossen hat, eine Klettertour über meine Holzbalken zu unternehmen. Es konnte Luises Spray nicht standhalten. Rest in Peace, kleiner Freund.

Doch wie Luise nun so ruhig dasitzt und lächelnd aufs Wasser blickt, kann ich ihr schon wieder gar nichts böse nehmen. Nach ein paar Stunden Sitzen und Lächeln kramt sie ihr Nokia-Handy heraus und holt die Stimme ihrer Tochter in den Park. Sie sprechen über Fledermäuse, Hamster und den Anbau neuer Vorratskammern. Normalerweise finde ich es äußerst spannend, den Gesprächen der Menschen zuzuhören — heute langweilt es mich. Immer und immer wieder fällt der Name einer Frau, die offenbar niemand aus Luises Familie ausstehen kann. Corinna, oder so. Luise steigert sich richtig in ihren Hass für Corinna hinein. Ich mag keine Lästereien.

24.03.

Okay, diese Corinna scheint tatsächlich nicht ohne zu sein. Corona, meine ich. Das ist ihr richtiger Name. Ich habe ihn in den letzten Tagen öfter gehört, als ich in meinem ganzen Leben das Wort „Parkbank“ gehört habe. Wenn Corona nicht wäre, würde der vorbeispazierende Mann im Anzug jetzt seine Lumumba beim Aprés-Ski schlürfen. In seinem Blick sehe ich eine große Unzufriedenheit über diesen Umstand. Und wenn Menschen Selbstgespräche führen, ist die Wut meistens echt. „Wer als Letztes an der Buger Spitze ist, bekommt Corona!“, ertönt es ein paar Minuten später von zwei Jungs auf BMX-Rädern. Müssten die nicht zu dieser Uhrzeit in der Schule sein?! Und wieso läuft der Jogger vom Fußweg herunter und fällt dabei fast ins Wasser, nur um der entgegenkommenden Spaziergängerin auszuweichen? Die war ja nun wirklich schlank, da hätte er locker auf dem Fußweg bleiben können. Auch die Frau sieht dem Läufer verwirrt hinterher und schüttelt den Kopf. „Corona macht mich fertig!“ Was hat diese Corona den Menschen nur angetan?

28.03.

Die seltsamen Ereignisse häufen sich. Und obwohl man mich eigentlich als sehr wissbegierig kennt, gebe ich langsam den Versuch auf, die Dinge verstehen zu wollen. In meiner Zeit als Parkbank habe ich schon viele Trends kommen und gehen sehen – aber, dass die sich jetzt alle irgendwelche Stoffe vor den Mund hängen… Ich an deren Stelle würde mich freuen, ein Sprechorgan zu besitzen. Und es der Welt auch dementsprechend stolz präsentieren! Ein anderer Trend, den ich beobachte, sind Polizeiuniformen. An jeder Parkecke steht jemand damit herum. Ein paar hängengebliebene Karnevalisten, vermute ich.

02.04.

Ach schön, zwei unkostümierte und freimündige Studentinnen wollen es sich mit ihren Apfelschorlen bei mir gemütlich machen. Als ich gerade dem Himmel dafür danken möchte, dass Normalität einkehrt, kramen sie Zollstock und Bleistift heraus. Nachdem sie mich abgemessen und zwei Stellen markiert haben, setzen sie sich jeweils an die Ränder der Sitzfläche. Anscheinend erwarten sie noch einen Freund, der in ihre Mitte passen soll. Doch dazu wird es heute nicht mehr kommen. Einer der Karnevalisten steht vor uns. Je mehr Sätze er zu den Mädchen spricht, desto stärker bahnt sich die Vermutung in mir an, dass er doch ein echter Polizist sein könnte. Was die beiden da gerade tun, sei ordnungswidrig, heißt es. Sie seien doch Mitbewohnerinnen, wo läge das Problem?, kommt es anfangs kampflustig von den Studentinnen zurück. „Das Problem liegt bei der Parkbank.“ Autsch. Bei mir?!? Das hat gesessen. Es sei nicht mehr erlaubt, sich hier niederzulassen, sagt der Polizist. Zu meiner Enttäuschung nehmen die Mädchen das so hin und verlassen mich. „Scheiß Corona“, höre ich eine noch in der Ferne murmeln. Wenigstens hat sie nicht „Scheiß Parkbank“ gesagt. Denn in den Augen des Polizisten scheine ich eine Gefahr darzustellen.

03.04.

Luise akzeptiert das ausgesprochene Verbot nicht ganz so schnell wie die Studentinnen. Sie versucht, mit dem Polizisten zu verhandeln. Das macht mich stolz. Jawohl, Luise, für unser Beisammensein! Doch sie hat keine Chance. Der Polizist nimmt nicht einmal das Stück Maulwurfkuchen an, das sie zur Versöhnung anbietet. Ich kann absolut nachvollziehen, dass ihr nun die Strategien ausgehen. Bevor sie sich umdreht und geht, schenkt sie mir noch einen langen, traurigen Blick und klopft liebevoll auf die Holzbalken. Ich habe Luise noch nie so niedergeschlagen gesehen. Die meisten Menschen wachsen mit der Annahme auf, dass eine Parkbank kein Herz besitzt. (Und fühlen sich deshalb dazu genötigt, mir mit einem Taschenmesser eins ins Holz zu schnitzen.) Das ist Irrsinn. In diesem Moment fühle ich die Existenz meines Herzens so stark wie schon lange nicht mehr. Es wird ganz schwer. So schwer, dass es anfängt, wehzutun. Wie gerne wäre ich jetzt in der Lage, mit Luise zu sprechen. Ihr zu sagen, dass ich auf sie warten werde. Wie lange es auch dauern mag, bis man den Untaten dieser Corona ein Ende setzt – ich werde da sein.

Nachtrag der Redaktion: Gute Nachricht für alle Parkbänke und Parkbankfreund*innen da draußen: Inzwischen ist das Sitzen und Lesen auf Bayerns Bänken (bei Einhalten des nötigen Abstands) wieder gestattet. Unsere Parkbank freut sich auf euren Besuch!

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