Artikel so heavy wie Metal.
„In den letzten acht Wochen habe ich mehr als zehn Kilo zugenommen, um euch richtig zu motivieren, durchzustarten. Und ihr könnt dabei mehrere Zehntausend Euro gewinnen“, sagt ein Fitness-Influencer in einem Instagram-Video. Dort folgen ihm knapp 300.000 Menschen. Pünktlich zum neuen Jahr will er seine Zuschauer*innen zu einer „Transformations-Challenge“ auffordern. Dabei soll es darum gehen, dass seine Follower*innen „all ihre Ziele erreichen.“ Mit „allen Zielen“ sind aber ausschließlich Ziele gemeint, die den Körper betreffen. Der Instagrammer wolle seine Zuschauer*innen dabei unterstützen, abzunehmen und „gesunde Routinen in den Alltag zu integrieren.“ Dafür habe er „extra über zehn Kilogramm zugenommen“, weil er „zeigen will, wie einfach abnehmen sein kann.“ Was daran gesund sein soll, absichtlich über zehn Kilo in zwei Monaten zuzunehmen, nur um zu beweisen, wie schnell und einfach man diese mit den eigenen Produkten… ääh mit „gesunden Routinen“ wieder abnehmen kann, wird dabei nicht in Frage gestellt.
10.000 Euro für die beste Transformation
Um an der Challenge teilzunehmen, soll man für die nächsten 45 Tage vier Routinen in den Alltag einbauen: mindestens 10.000 Schritte am Tag gehen, auf Zucker verzichten, mindestens zwei Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht zu sich nehmen und jeden Tag mindestens 500 Gramm Obst und Gemüse essen. Am Ende der Challenge sollen die Zuschauer*innen Vorher-Nachher-Bilder hochladen und so „in einen Contest eintreten, wo die Community darüber bestimmt, wer den coolsten Glow-Up hat.“ Wer den ersten Platz erreicht, kann dann 10.000 Euro plus einen 5.000 Euro Gutschein für die Supplementfirma des Influencers gewinnen.
Das Narrativ, das immer wieder mantraartig wiederholt wird, versichert den Follower*innen, dass der Firmengründer und sein Team aus Influencer*innen selbstlos, ihrer „Community“ dabei helfen wollen, ein gesundes Leben zu führen. Ganz ohne Hintergedanken. Deshalb ist auch Bedingung Nummer 1, um an der Challenge teilnehmen zu können, ein Kundenkonto bei der Firma zu haben. Die eigenen Produkte werden auch nur deshalb übermäßig stark beworben, weil sie so eine große Hilfe beim Erreichen der eigenen Ziele sind. Wie könnte man auch auf die Idee kommen, dass der Gründer und Inhaber einer Firma Geld verdienen will? Das ist an sich auch nicht verwerflich. Was kommuniziert wird, ist allerdings: Wir helfen dir kostenlos dabei, deine Ziele zu erreichen und du kannst dabei sogar Geld gewinnen, einfach so!
Fragwürdige Entwicklungen in sozialen Netzwerken
Andere zum Sport motivieren zu wollen, ist schön und gut, aber mittlerweile hat Fitness-Social-Media Ausmaße erreicht, die wir dringend hinterfragen sollten. Denn was auf den Plattformen passiert, ist der Nährboden für gestörtes Essverhalten. Das ständige Thematisieren von Körpergewicht, Aussehen, Ernährung und Sport in Verbindung mit dem Bewerten von fremden Körpern und der Aussicht auf ein Preisgeld für die „beste Transformation“ können enormen Druck gerade auf jüngere Zuschauer*innen auslösen. Denn diese lassen sich oft noch leichter beeinflussen und sind häufiger in sozialen Medien unterwegs. Es ist völlig in Ordnung, etwas zu verändern, wenn man sich nicht wohl fühlt. Mehr Bewegung und mehr Obst und Gemüse sind auch grundsätzlich eine gute Idee. Das Problem ist die Botschaft, die unterschwellig transportiert wird: Du bist nur gut genug, wenn du die Routinen einhältst und einen „gutaussehenden“ Körper hast. Sehr problematisch ist auch, dass eine solche Challenge gerade nach den Feiertagen, an denen ja bekanntlich auch mal etwas mehr gegessen wird, ins Leben gerufen wird. Vielleicht schon vorhandene negative Gedanken rund ums Thema Essen werden weiter gefördert, indem vermittelt wird, dass man „überschüssige Kilos“ wieder loswerden müsse – wer auch immer bestimmt, ab wann ein Kilo „überschüssig“ ist. Es kann auch nicht überprüft werden wie jemand den „Glow-Up“ erreicht. Das unverhältnismäßig hohe Preisgeld ist nahezu verlockend dafür, eine Crash-Diät einzulegen, um einen besonders krassen Unterschied auf den Vorher-Nachher-Bildern präsentieren zu können.
Kritik gleich Neid?
Kritische Stimmen, die darauf hinweisen, dass es nicht gesund ist, wenn (junge) Menschen in einem Wettbewerb dazu aufgefordert werden, sich 24/7 mit ihrem Körper zu beschäftigen und sich mit anderen zu vergleichen, werden als Neid abgetan. Sowas käme nur von Menschen, die mit sich selbst unzufrieden seien und es deshalb nicht ertragen könnten, wenn andere ihre Ziele erreichen würden. So erklärt der Firmeninhaber, der die Transformations-Challenge gestartet hat, in seiner Instagram-Story: „Das ist der Punkt, an dem es problematisch wird. Es ist absolut kein Problem, wenn man sagt: ‚Für mich ist dieses ganze Abnehm-Gedöns und Zucker-Spar-Gedöns nichts. Ich weiß, ich möchte einfach 10, 20 Kilo mehr auf der Hüfte haben und fühle mich wohl damit.‘ Wenn das die Lebenseinstellung einer Person ist, dann sage ich geil, Glückwunsch dazu!“ So werden kritische Kommentare „gekontert“, sofern sie nicht direkt gelöscht werden. Es wird so getan, als wäre es in Ordnung, eine andere Meinung zu haben. Was aber wirklich behauptet wird, ist dass man automatisch „mehr Kilos auf der Hüfte hat“ und nicht gesund genug lebt, wenn man die Routinen nicht befolgt. Angeblich werde kein Ziel bei der Challenge vorgegeben. Es müsse auch nicht unbedingt ums Abnehmen gehen, man könne auch „zusammen“ mit den Influencer*innen zunehmen und es „aus dem Untergewicht rausschaffen.“ Das ändert aber nichts daran, dass am Ende fremde Menschen die Körper von anderen Menschen bewerten werden, um den „coolsten Glow-Up“ zu krönen. Das wird zwangsläufig dazu führen, dass sich die Teilnehmer*innen mit den Gewinner*innen vergleichen werden. Auffällig ist auch, dass sich die Firma hinter der Challenge gerne auch als Helfer bei Essstörungen inszeniert. So hätten es angeblich schon viele Menschen – mit Hilfe der Produkte – aus Binge Eating oder Magersucht herausgeschafft. Die Wahrheit ist aber: Kein Produkt der Welt wird jemandem aus einer Essstörung heraushelfen. So funktionieren psychische Krankheiten nicht.
Profit vor Gesundheit
Große Teile der Fitness-Bubble haben sich Manipulation zur Verkaufsstrategie gemacht und stellen damit Geld über das Wohlbefinden der Follower*innen. In seiner Story fragt der Influencer seine Zuschauer*innen beispielsweis in Bezug auf die Challenge: „Bist du dabei?“ – es gibt nur zwei Antwortmöglichkeiten: A) „Ja let’s go“ oder B) „Ich lass mich hängen.“ Will man sich nicht vorschreiben lassen, wie viel man sich bewegt und was man isst, dann lässt man sich hängen und hat einfach keine Willensstärke, klar. Die Formulierung der vier Aufgaben impliziert außerdem, dass es keine Ausnahmen geben darf. Hast du nicht „mindestens“ 10.000 Schritte an einem Tag gemacht, hast du den Challenge-Tag nicht „erfolgreich“ gemeistert. Dann hast du nicht richtig „durchgezogen“.
„Durchziehen“ ist das neue Lieblingswort in Fitness-Bubbles auf Social Media. Auch die Influencer*innen anderer Supplement-Firmen starten Challenges mit ihren „Communities“. Auch hier gibt es Aufgaben wie 10.000 Schritte am Tag, Training und Ernährung „durchziehen“ und natürlich: Die Supplemente nicht vergessen! Denn was wäre ein Tag ohne überteuerte Nahrungsergänzungsmittel? Dabei geht es ausschließlich um die Gesundheit der Follower*innen und nicht etwa darum, die Leute dazu zu bringen, mit dem eigenen Rabatt-Code einzukaufen.
Es ist traurig, dass es manipulative Marketingstrategien auch ins Jahr 2023 geschafft haben und so aus Profitgier mit der mentalen Gesundheit junger Menschen gespielt wird. Wir sind keine Maschinen, die jeden Tag funktionieren müssen. Wir müssen nicht tagtäglich tausende Schritte machen und fünfmal in der Woche zum Sport gehen. Genauso wenig wie wir Zucker aus unserem Leben verbannen müssen oder ein schlechtes Gewissen haben müssen, wenn wir nicht wie Influencer*in xy aussehen. Jeder Körper ist auf seine Art und Weise okay.
Du bist nicht allein!
Hier findest du Hilfe, wenn du von einer Essstörung betroffen bist:
Netzwerk „Essstörungen“ des Landratsamts Bamberg: https://bamberg.gesundheitsregion-plus.de/netzwerke/netzwerk-essstoerungen/
Psychotherapeutische Beratung (Studentenwerk Würzburg): Austraße 37 Telefonnummer 0931/8005-820; Mail-Adresse: pbs-bamberg@studentenwerk-wuerzburg.de
Telefonseelsorge (gebührenfrei, 24/7): Telefonnummer 0800 1110111
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