Artikel so heavy wie Metal.
„Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ haben zwei junge Männer laut dem Polizeipräsidium Mittelfranken auf der Erlanger Bergkirchweih am Freitag (24. Mai 2024) gegrölt. Nur einen Tag, nachdem das Sylt-Video viral gegangen ist, in dem mehrere junge Menschen dieselbe rassistische Parole zum Party-Lied „L’amour toujours“ von Gigi D’Agostino skandiert hatten.
Eine Empörungswelle schwappte über Deutschland. Aber warum genau sind wir eigentlich so überrascht? Ein Blick auf die aktuellen Wahlumfragen gleicht schon seit Wochen und Monaten einem Horrorfilm: Bei der Europawahl erreicht die AfD im momentanen Wahltrend Platz zwei. Wäre nächsten Sonntag Bundestagswahl würde die AfD ebenso auf dem zweiten Platz landen. Am 1. September 2024 sind Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen, am 22. September in Brandenburg. In allen drei Bundesländern könnte die AfD nach aktuellen Umfragen die stärkste Kraft werden. Wer denkt, rechtsextremes Gedankengut sei ein Problem ganz weit weg, ist entweder naiv oder verschließt absichtlich die Augen vor der Realität.
Die Konsequenzen kommen zu spät
Auch wenn diese Zahlen seit langer Zeit bekannt sind, ist die Entrüstung immer nur dann groß, wenn ein neuer Skandal ans Licht kommt. Dann sind wir wieder eine Woche lang empört und warten auf den nächsten Schocker. Schön und gut, dass einige der Beteiligten aus dem Sylt-Video ihren Job verloren haben und laut dem Erlanger Oberbürgermeister Florian Janik das besagte Lied auf dem Berg nicht mehr gespielt wird. Das Lied an sich ist nur nicht das Problem, sondern das Gedankengut in den Köpfen der Menschen.
Diese Konsequenzen ändern also nichts an dem größeren gesellschaftlichen Problem. Es reicht auch nicht rechtsextreme Vorfälle am einen Tag zu verurteilen und sich am nächsten Tag ins Bierzelt zu stellen und gegen die Grünen zu hetzen als seien sie das größte Problem in Deutschland. Looking at you, Markus. Aber nicht nur Söder hat den Ernst der Lage scheinbar immer noch nicht erkannt. Auch bei anderen Politiker*innen und Parteien sucht man vergeblich nach der so oft versprochenen Brandmauer zur AfD.
Die SPD etwa dachte, es sei eine gute Idee, den Slogan „Deutschland den Deutschen“ einfach mal selbst im Wahlkampf zu verwenden. Als Reaktion auf das Sylt-Video postete die SPD auf Instagram einen Beitrag, auf dem auf schwarz-rot-goldenem Hintergrund „Deutschland den Deutschen, die unsere Demokratie verteidigen“ zu sehen war. Der Zusatz „die unsere Demokratie verteidigen“ war allerdings so klein geschrieben, dass er erst auf den zweiten Blick auffällt. Der Eye-Catcher sollte ganz klar die Parole sein. Nachdem die SPD zurecht für den Post kritisiert worden war, löschte sie ihn wieder mit der Begründung, man habe es nicht geschafft, einen Ton zu treffen, der alle mitnehme. Schade, hätte man sich ja nicht vorher denken können.
Rechte Sprache im politischen Diskurs: Wie Rechtsextreme ihr Framing durchsetzen
Nicht nur die SPD übernimmt unhinterfragt rechtes Framing. Die AfD und andere rechtsextreme Akteure, wie etwa die Identitäre Bewegung, schaffen es schon seit längerer Zeit, unauffällig den Diskurs zu prägen. Das zugrundeliegende Konzept nennt sich Metapolitik: Die Idee, Wahlen zu gewinnen, indem man vorher die Kultur innerhalb einer Gesellschaft beispielsweise durch das Besetzen und Umdeuten von Begriffen verändert.
Das gelingt der AfD und ihren Komplizen offenbar sehr gut. Nach Bekanntwerden der Geheimtreffen in Potsdam haben beispielsweise viele Medien unkritisch den Begriff „Remigration“ in ihre Überschriften gepackt. Dass es sich dabei um einen Kampfbegriff der Neuen Rechten handelt, scheint ja nicht so schlimm zu sein. Auch Ausdrücke wie „Sozialtourismus“, „Klimaterrorismus“ oder „Demokratie zurückholen“ zeigen, dass es schon normalisiert ist, eine Sprache zu verwenden, die man eigentlich nicht von vermeintlichen Demokraten, wie Friedrich Merz oder Hubert Aiwanger, erwarten sollte. Im Zweifel hat es aber einfach der Bruder gesagt und das Problem ist aus der Welt.
Rechtsextreme Parolen: Und jetzt?
Wir müssen endlich aufhören, so zu tun als sei Rechtsextremismus das Problem von einigen Wenigen. So hat etwa der Inhaber der Pony-Bar, in der der Sylt-Vorfall passiert ist, gegenüber dem NDR versichert, dass es „wirklich nur diese fünf Leute“ gewesen seien. Als die Parolen gerufen wurden, wollte er aber nichts mitbekommen haben, naja. Auf Social Media gab es viele Reaktionen auf das Video, in denen die Beteiligten immer wieder als „rich kids“ bezeichnet wurden, deren Eltern ihre Probleme mit Geld lösen. Was zwar ganz lustig klingt, ist der gleiche Fehlschluss wie zu behaupten, Rechtsextremismus gebe es nur im Osten. Schön, dass erkannt wird, dass Neonazis heutzutage nicht mehr an Springerstiefeln und Glatze zu erkennen sind und nicht automatisch arbeitslos oder abgehangen sind, aber warum machen wir jetzt neue Schubladen auf und sehen wieder nicht, dass die Gefahr überall lauert? Rechtsextremismus gibt es nicht nur bei reichen Leuten auf Sylt oder bei Arbeitslosen im Osten. Er steht direkt vor unserer Haustür.
Empörung ist nur eine erste Reaktion, auf die Handlungen folgen müssen. Jede*r, der*die ernsthaft von sich behauptet, Demokrat*in zu sein, muss sich auch in der Verpflichtung sehen, wählen zu gehen. Den Taktiken der Rechten muss etwas entgegengehalten werden, beispielsweise in Form von Demonstrationen oder indem man über die Vorgehensweisen der Rechten spricht. Von Rassismus betroffene Menschen warnen schon so lange vor dem Erstarken der AfD. Ganz krasse Idee, aber wie wärs, wenn wir ihnen mal zuhören? Es darf nicht weiter zugelassen werden, dass Rechtsextreme unsere Sprache prägen und Wahlen gewinnen. Denn wenn es so weitergeht wie bisher, können wir der AfD dabei zuschauen, wie sie über unser Brandmäuerchen lacht und aus 2024 ganz schnell wieder 1933 macht.
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