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Der Tag, an dem mein Glaube an die Menschheit erlosch
Dunkel Hell

Der Tag, an dem mein Glaube an die Menschheit erlosch

Ich knalle meinen Laptop zu. Es scheint, als hätte mir jemand einen festen Hieb in die Magengegend verpasst. Ein sich abwechselndes Gefühl aus Wut, Unverständnis und Ungläubigkeit macht sich in mir breit. Es ist mittwochmorgens, der 9. November 2016, 5:06 Uhr. Gerade gab die Nachrichtenagentur Associated Press bekannt, dass Donald Trump den Staat Florida gewonnen hat – und damit die Präsidentschaftswahlen. Gleichermaßen erschöpft und aufgewühlt sinke ich in Embryonalstellung in mein Bett und stelle nach einigem unruhigen hin und her wälzen auf meiner harten Federkernmatratze fest: Mein Glaube an die Menschheit hat Schlagseite.

Dabei sollte der Wahlabend doch so schön werden, sollte alles so anders verlaufen: American Election Night, Podiumsdiskussion, Vorträge zum Wahlkampf, am üppigen Buffet den Bauch vollschlagen und anschließend den Wahlsieg einer demokratischen Präsidentschaftskandidatin „feiern“ – der ersten Frau überhaupt im Rennen ums Weiße Haus, Hillary Clinton. Zugegeben, ich mag sie nicht. Weder als Politikerin, Kandidatin oder Mensch. Aber das ist an diesem Punkt nicht ausschlaggebend. Denn da gab es ja noch jemanden: Donald Trump.

Dass bereits die ersten Schritte meines ausgefeilten Plans scheiterten, lag wohl daran, dass einfach zu viele Menschen dieselbe Idee hatten. Das Buffet schien einfach zu verführerisch. Die Folge: bereits kurz nach 20 Uhr Einlassstopp an der U7. Die Election Night der Amerikanistik war für mich gelaufen.

Plan B war aber nicht weniger gut, lief doch ab Mitternacht auf Youtube „Böhmis WahlLokal“ mit dem blassen, dünnen Jungen, Ralf Kabelka und der btf-Redaktion. Ziemlich lustig. Zunächst. Denn was nach dem anfänglich durchaus amüsanten Wahlklamauk folgte, war pure Ernüchterung: Frische Erinnerungen wurden wach. Erinnerungen an eine Gefühlsachterbahn, die man als Brexit-Gegner durchlebte, als sich – entgegen aller Umfragen, Erwartungen und Hoffnungen – eine Mehrheit der Briten nach einem erbittert geführten, populistischen Wahlkampf der EU-kritischen UKIP doch für den Austritt aus der EU stimmte.

Und so trug sich zu, was zu Beginn des US-Vorwahlkampfs im Juni 2015 noch unvorstellbar schien. Donald Trump – pöbelnder Populist und narzisstischer Chauvinist – übernimmt – gewählt vom amerikanischen Volk – das wohl mächtigste Amt der Welt. Es ist die demokratische Legitimation all dessen, was Trump in seinem Wahlkampf an verbalen Entgleisungen – im Stile eines Primaten, der mit seinem Kot um sich wirft – von sich gab. Er beleidigte Muslime, Behinderte, Hispanics, Veteranen und politische Kontrahenten, zeigte Begeisterung für das Foltern von Islamisten und die Tötung von deren Familien, forderte einen generellen Einreisestopp für Muslime und einen Mauerbau an der Grenze zu Mexiko. Seine Kampagne glich einem stetigen Niveaulimbo mit dem Ziel, von einem Tiefpunkt zum nächsten zu eilen.

Trump verbreitete populistische Zerrbilder. Szenarien, in denen die Vereinigten Staaten, am Abgrund taumelnd, kurz vor dem wirtschaftlichen sowie gesellschaftlichen Zusammenbruch stehen und Europa im Zuge der Flüchtlingsbewegungen im Chaos versinkt. Auf diese Weise schürte er Angst, die seine Kritik an den politischen Eliten – darunter Clinton und Obama – erst auf fruchtbaren Boden fallen ließ und seinen Erfolg somit ermöglichte. Dass seine Argumentation dabei häufig auf kruden Theorien und dreisten Lügen basierte – vom Wähler scheinbar schnell vergeben und vergessen, wie zumeist auch von ihm selbst.

Die US-amerikanischen Wählerinnen und Wähler, die sich an diesem historischen Novembertag für Trump aussprachen, sie gaben der Welt ein Zeichen. Es scheint, als wollten sie sagen: „Sei homophob, islam- und frauenfeindlich, verhöhne behinderte Mitbürger, spicke deine Reden mit offenkundigen Lügen, zweifle die demokratischen Grundprinzipien deines Landes an und, ach, hab am besten gar keine Ahnung von Politik – dann kannst auch du es schaffen, der Präsident unseres Landes zu werden.“

Manch einer mag an dieser Stelle zu dem Schluss kommen: „Was ein undifferenzierter, selbstgerechter und besorgt-hämischer Blick über den Atlantik!“ Betrachtet man aber die im Herbst 2017 stattfindende Bundestagswahl, so lässt sich in Folge dieser US-Wahl erahnen, was uns auch hierzulande blühen könnte, wenn Parteien wie die AfD weiter vom populistischen Aufwind getragen werden. Die Gesellschaft scheint an einem Punkt angelangt, an dem eigentlich unverhandelbare, über Jahrzehnte hinweg eisern erstrittene Errungenschaften wieder zur Disposition stehen. Auch und vor allem durch die Wahl eines Präsidenten Trump. Denn er, wie auch die AfD, steht diesen erkämpften Prinzipien diametral entgegen: Gleichberechtigung von Mann und Frau, Toleranz gegenüber Andersaussehenden, ‑denkenden, ‑liebenden. Stattdessen stehen Trump und Konsorten nur einer Person am nächsten: sich selbst.

An diesem für die aufgeklärte Welt so düsteren Novembertag stimmten die US-Bürgerinnen und Bürger nicht nur für Trump. Sie stimmten – ähnlich wie die Britinnen und Briten beim Brexit-Votum – gleichzeitig für den gesellschaftlichen Rückschritt, denn kein US-Präsident verkörperte diesen Rückschritt so sehr wie der Immobilienmagnat; sie wählten einen Präsidenten, der die Zukunft der USA in der Vergangenheit sieht, der versprach, Amerika wieder so groß zu machen wie einst; sie wählten die nationalstaatliche Einigelung, den Isolationismus, die Infragestellung supranationaler Institutionen wie Nato und EU; sie wählten Rassismus, Spaltung und Hass, denn Trumps Unterstützer – darunter Stephen Bannon, ultrarechter Brandstifter und Antisemit – könnten mit einem Posten im Weißen Haus belohnt werden; sie wählten, getrieben von der Angst, nach acht Jahren unter einem schwarzen Präsident nun von einer Frau regiert zu werden, die Dominanz des weißen Mannes.

Diese Rückwärtsgewandtheit so vieler Menschen, die sich doch für derart fortschrittlich halten, will in diesem Moment nicht in meinen Kopf. Es ist, als stürze man sehenden Auges zurück in eines der dunkelsten Kapitel der Menschheit. Dabei hätte er so schön werden können, dieser Wahlabend. Stattdessen liege ich nun hier auf meiner harten Federkernmatratze, stelle mir vor, was wohl wäre, wenn die Wahl einen anderen Ausgang genommen hätte. Denn meinen Glauben an die Menschheit, so gerne hätte ich ihn wieder. Aber wer weiß, vielleicht kehrt er in den kommenden Jahren zurück, wenn die Menschen endlich wieder weniger sich selbst, sondern auch zukünftige Generationen im Kopf haben. Denn die werden sich fragen, wie man nach einer humanen Katastrophe, wie es das 20. Jahrhundert verkörpert, einen Demagogen zum mächtigsten Mann der Welt wählen konnte. In mir macht sich die Angst breit, dass 2017 ein Erdrutschsieg der AfD auch hierzulande die Geister von damals rufen könnte.

Erschöpft von meiner inneren Unruhe und Wut schlafe ich ein.

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