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Schlag für Schlag zu besserem Deutsch
Dunkel Hell

Schlag für Schlag zu besserem Deutsch

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Steil hinauf geht’s im Bamberger Stadtteil Gaustadt. Schnaufend stellen wir unsere Fahrräder vor einem grauen Haus ab. Im Augenwinkel sehe ich gerade noch ein kleines Mädchen mit pinkem Sportshirt, das bei unserem Anblick im Innenhof verschwindet. „Maria, ich habe dich gesehen“ ruft Maria Keßler, die Mentorin und Namensvetterin des zehnjährigen Mädchens, das kurz darauf wieder mit seiner Mutter, Manda Josipovic, am Hoftor auftaucht.

Maria Josipovic nimmt am Projekt „KulKids“ teil. Bei der Initiative der Universität Bamberg betreuen Studierende der Didaktik des Deutschen als Zweitsprache, kurz DiDaZ, Schülerinnen und Schüler aus Gaustadt, die zu Hause kein Deutsch sprechen. Das „Kul“ ist eine Abkürzung für Kultur und steht im Projektnamen, weil die teilnehmenden Kinder bei den Treffen ihre Stadt kennenlernen sollen. Außerdem ist ein Schwerpunkt des DiDaZ-Studiengangs interkulturelles Lernen. Zurzeit machen zwölf Studentinnen bei „KulKids“ mit. Sie treffen die Schüler ein Schuljahr lang wöchentlich für drei Stunden. Heute begleite ich Maria Keßler (21) und Maria Josipovic bei ihrem Ausflug zum Minigolf.

Knappes Budget

Wir radeln zu dritt los. Obwohl mich die angehende Pädagogin gewarnt hatte, ihre Mentée sei sehr schüchtern, plaudern beide den gesamten Hinweg über die Pfingstferien, schlechte Schulnoten und ungeliebte Lehrerinnen, als wären sie schon lange befreundet. Drückt sich Maria unklar aus, fragt Keßler nach, was das Mädchen meint oder verbessert sie, wenn ein Satz grammatikalisch falsch war. Das Verhältnis der beiden scheint harmonisch und so verwundert es nicht, dass Maria sich oft mit Keßlers kleiner Schwester vergleicht.

Der Großteil ihrer Klasse kommt auf die Hauptschule. Maria nicht.

100 Euro hat jede der Mentorinnen für die 25 Treffen, zwei Euro je Treffen und Person. Bei dem knappen Budget sind kreative Ideen gefragt. „Manche gehen mehrmals in die Stadtbibliothek, weil das nichts kostet, aber wir können meistens mit dem Fahrrad fahren und so die Busfahrkarten sparen“, verrät Keßler. So kamen bis jetzt eine ganze Reihe an Unternehmungen zusammen: Neben günstigeren Treffen wie einer Stadtrallye oder der Kinderuni sind auch Museums- und Schwimmbadbesuche drin, dank einer Finanzspritze kurz vor Projektende sogar ein Ausflug in den Nürnberger Zoo.

Fiese Abkürzungen

Am Eingang der Minigolfanlage zückt Keßler die Tickets und erhält zwei Schläger und Bälle. Da Maria noch nie Minigolf gespielt hat, liest sie uns zuerst die Regeln auf der Tafel am Eingang vor: „Springt der Ball über die seitliche Markierung“ – sie überlegt einen Moment – und fragt dann: „Was heißt denn b‑z-w?“ Besonders bei Abkürzungen und Fremdwörtern merke ich, dass Maria Probleme mit der deutschen Sprache hat, obwohl sie in Deutschland geboren wurde. Das liege daran, dass bei ihr zu Hause nur Kroatisch gesprochen wird, sagt mir Keßler. Probleme beim Sprechen fallen mir während der Minigolfpartie sonst nicht auf. Die deutsche Jugendsprache ist Maria mit „LOL“ ebenso geläufig wie das deutsche Fluchen, wenn sie einmal mehr als die zulässigen sechs Schläge zum Versenken des Balles benötigt und einen Strafpunkt kassiert. Sogar das rollende fränkische “R” ist herauszuhören.

Ausflüge wie hier zum Minigolf sind für Maria etwas Besonderes. Ihre Mutter hat dafür meist keine Zeit — Foto: Fridolin Skala

Als zukünftige Deutschlehrerin profitiert auch Maria Keßler von dem Projekt. Sie kann wichtige Erfahrungen im Umgang mit Kindern von Migranten sammeln und theoretische Studieninhalte außerhalb der Uni erproben. So lernen beide voneinander. Für das ehrenamtliche Engagement motiviert Keßler außerdem die Möglichkeit, ein einzelnes Kind zu fördern und dessen Fortschritte zu zu verfolgen.

Was kommt ins Tagebuch?

Nachdem wir die letzte Bahn gespielt haben und die Punkte ausgezählt sind, setzen wir uns an einen Tisch in den Schatten, um das Treffen in Marias „Tagebuch“ festzuhalten. Diese wöchentliche Übung soll einerseits die Schreibfähigkeit und die sprachliche Ausdrucksweise fördern, andererseits sind die kleinen, mit Bildern verzierten Aufsätze auch schöne Erinnerungen an die gemeinsamen Treffen. Heute findet Maria allerdings keinen passenden Einstieg und albert herum, sodass Keßler den ersten Satz diktiert und beide von da an im Wechsel überlegen, was im Tagebuch stehen soll.

Durch das Projekt „KulKids“ werden die Kinder außerhalb der Schule intensiv im Deutschen gefördert. Ohne trockene Theorie auf der Schulbank fällt das Lernen anscheinend leichter und macht mehr Spaß. Auf die Frage, ob denn die Treffen Früchte tragen, antwortet Keßler lächelnd: „Die Deutschnote hat sich stark verbessert und einen gewissen Anteil werden die Treffen schon haben.“ Auch beim Durchblättern des Tagebuchs fällt auf, dass die Rechtschreibfehler von Eintrag zu Eintrag seltener werden.

Nachdem der letzte Satz geschrieben ist, machen wir uns schnell auf den Heimweg, denn der Ausflug dauert schon deutlich länger als geplant. Noch einmal geht es den Berg hoch, bis wir wieder vor Marias Haus stehen. Dort unterhalte ich mich mit ihrer Mutter. Sie ist begeistert von „KulKids“, da sie selbst nicht die Zeit hat, viele Ausflüge mit ihren Kindern zu unternehmen. Vor allem aber ist sie stolz, dass ihre Tochter nach den Sommerferien auf die Realschule wechseln wird: „Aus der ganzen Klasse haben es nur drei aufs Gymnasium und vier auf die Realschule geschafft. Der Rest geht auf die Hauptschule, Maria nicht.“

Die Reportage entstand im Sommer 2014. In der laufenden Runde des Projekts sind 23 Studierende aktiv. Start des nächsten Durchgangs ist das neue Schuljahr, also das Wintersemester 2015/2016. Infos für Interessierte gibt es bei Anette Pöhlmann-Lang vom Lehrstuhl der Didaktik des Deutschen als Zweitsprache (anette.poehlmann-lang@uni-bamberg.de).
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