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Heimat? Fantasie.
Dunkel Hell

Heimat? Fantasie.

Musiker einer Band, die sich vor ihrem letzten Konzert von „Mäuse“ in „Schwäne“ umbenannte. Arbeiter in einer Lüneburger Joghurtfabrik. Gründer eines Schreibforums im Internet. Bachmannpreisträger. Karikaturist. Tramper. Teenager mit Hautproblemen. „Arschloch mit Dachschaden“. Zu all dem bekannte sich Autor Tex Rubinowitz bei der Auftaktveranstaltung zur fünften Auflage des Literaturfestivals „Bamberg liest“. Klar wurde am Dienstagabend außerdem: Rubinowitz ist ein exzellenter Unterhalter. Und ein gnadenloser Selbstinszenierer.

So war die als Lesung angekündigte Veranstaltung im ETA-Hoffmann-Theater weniger klassische Lesung, als vielmehr eine wilde Mischung aus musikalischen Versatzstücken – untermalt durch an die Bühnenrückwand projizierte Kurzclips, genussvoll zelebriertem Biertrinken und einer scheinbar willkürlichen Reihung mehr oder weniger aufregender Anekdoten aus dem Leben des Autors.

Ich kann nicht gut lesen – Tex Rubinowitz

Der rote Faden des Abends war die Sprache: Über die elektronischen Melodien, die DJ Kermit hinter seinem Mischpult auf das Publikum losließ, legten sich immer wieder eingesprochene Satzfragmente aus Rubinowitz‘ jüngstem Roman „Irma“. Dazu wurden ausgewählte Textpassagen aus dem Roman in Übergröße an die Bühnenwand geworfen. Sobald die Musik zu Ende war, redete Rubinowitz. Ununterbrochen. Er hatte scheinbar wenig Konzept und erzählte sich überwiegend assoziativ durch den Abend. Seine Ankündigung „Ich kann nicht gut lesen – ich erzähle lieber“ wurde zum Motto der Veranstaltung.

Vielleicht überließ er das Lesen seiner Texte auch deshalb zunächst den beiden Schauspielern Daniel Seniuk und Eckhart Neuberg aus dem ETA-Ensemble. Worum es im Buchausschnitt geht? Um – wen wundert es? – Rubinowitz höchstpersönlich. Die Situation? Rubinowitz (als fiktive Figur) beim Psychiater, vor dem er seine Probleme und Gedanken in all ihrer Absurdität ausbreitet. Während die Schauspieler lasen, saß der echte Rubinowitz keine zwei Meter entfernt, kratzte sich am Kopf, kaute Fingernägel, räkelte sich und trank Bier, das er sich selbst mitgebracht hatte (Flasche eins: Zwergla, Flasche zwei: Rauchbier). Er kraulte sich den Bart und lachte über seine eigenen Witze. Es wurde klar: Rubinowitz, das ist einer, der Spaß an der Sprache hat, der Spaß an der Selbstinszenierung hat, der Spaß hat an Provokation und Irritation.

Schließlich las er doch noch aus „Irma“ vor: Eine Gruppe von Menschen, die in einer Hotelbar eine Geburtstagsparty feiert. Allein der Gastgeber fehlt. Eben jener sitzt in der Bar eines anderen Hotels auf der anderen Seite des Wiener Stadtparks und ärgert sich, dass keiner kommt. So absurd, aberwitzig und außergewöhnlich die Texte und Erzählungen Rubinowitz‘ in Sprache und Form aufwarten, so stehen hinter all diesen Geschichten dennoch die klassischen grundmenschlichen Fragen nach Identität, nach Wahrheit und Lüge, nach Individualität und der Positionierung des Einzelnen vor dem Kontext der Gesellschaft.

Vor diesem Hintergrund stellte auch Veranstalter Martin Beyer im abschließenden Gespräch mit dem Autor die Frage nach Standort und Heimat. Und zum ersten Mal meinte man, einen Hauch von Ernst an Rubinowitz auszumachen. Dann nämlich, als er zugab keinen Ort als Heimat zu haben. Sein verlässlicher Standort, das ist ein Innerer. Der Standort Fantasie.
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