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“Die Polizey“ – dein Freund und Helfer?!
Dunkel Hell

“Die Polizey“ – dein Freund und Helfer?!

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  • Nachdem 2019 der Reichskanzler (von Atlantis) seinen Weg auf die Bühne fand, transportiert Björn SC Deigner diesmal den Polizeiapparat in das ETA-Hoffmann-Theater – kritisch, schnörkellos und zum genau richtigen Zeitpunkt.

Dabei steht zu Beginn ein Schriftstück, das Friedrich Schiller zwischen 1799 und 1804 nicht einmal vollendete. Doch das Fragment Die Polizey dient Deigner, um darauf eine fast 200 Jahre lange Geschichte der Polizei chronologisch in seinem Stück aufzubauen. Die Zuschauer*innen machen dabei Halt kurz nach der Französischen Revolution, während des Nationalsozialismus, der DDR und heute. Dennoch verliert sich das Stück nicht in Tagesaktuellen (Vor-)Fällen. Laut Deigner gab ihm das Fragment Schillers den Impuls, „dass darin genug Aktualität begraben liegt“. So kommt das Theaterstück in einer Zeit, in der Menschen für die George Floyds, die Breonna Taylors dieser Welt auf die Straßen gehen, zwar genau richtig, doch es ist nicht seine Intention.

Schiller zeichnet in seinem Entwurf ein Bild von Paris, das zwei Gesichter trägt. Und das weiß auch die Polizei, die zu dieser Zeit noch in den Kinderschuhen des heute modernen Apparates steckt, als Maske zu nutzen. Umso passender ist das Bild zu Beginn des Theaterstücks. 16 dunkel gekleidete Figuren stehen still und stramm auf der spärlich beleuchteten Bühne. „Freude schöner Götterfunken“ ertönt summend aus den Reihen, bis es von Witzchen und Lachen unterbrochen wird. Erst jetzt treten die vier Schauspieler*innen aus den Schatten nach vorne. Auftritt der Klonkrieger. Schwarze Stiefel, schwarze Uniform, schusssichere Weste, schwarze Mütze und dunkle Topfschnitt-Perücke.

DAS INDIVIDUUM HAT KEINE CHANCE, LAUT ZU SEIN.

Unisono fangen die Vier an zu sprechen, nur ab und zu schafft es Eine*r, alleine das Wort zu ergreifen, bevor die anderen wieder mit in den Chor einsteigen. Ein klares Zeichen, dass das Individuum keine Chance hat, lauter als die Organisation zu sein. Dieses Stilmittel bleibt bis zum Ende beeindruckend umgesetzt und ist zu keiner Zeit anstrengend. Zu Beginn darf der tattrige Schiller seine Worte in die Luft schreiben, später taucht er als Figur aber nicht mehr auf.

Uns Zuschauer*innen wird (Eugène Francois) Vidocq vorgestellt, der, einst selbst Verbrecher, zum Begründer und ersten Direktor der Sûreté nationale wurde. Immer wieder wird an der Polizeischule gefragt: „Haben Sie gedient?“ Dazu wird der Polizist als Straßensoldat bezeichnet und die Straßen der Stadt als Frontgräben im Frieden. Gewissermaßen wird die Polizeiarbeit zur Zeit Napoleons mit Krieg (gegen die Bevölkerung?) verglichen.

Nach dem ersten Zeitsprung befinden wir uns in der Weimarer Republik und hier wird sofort verdeutlicht, dass die Polizei als ein Körper, eine geschlossene Figur auftritt und agiert. Ein Kriminalbeamter möchte Kollegen an den Vorgesetzten melden, die ein Lied der „Brigade Erhardt“ singen. Stattdessen wird allerdings er unter Druck gesetzt und muss von seinem Vorhaben absehen. Als fauliger Teil eines Apfels wird die Gruppierung an der Stelle beschrieben, etwas, das man nicht einfach wegschneiden können. Steht es doch aber eher für die Duldung einzelner kleiner Grüppchen im großen Apparat, die man eben aushalten müsse, um das gute Bild nach Außen zu wahren. Ein Problem und Phänomen, das heute genauso viel Bedeutung hat, wie damals schon.

Die Polizey muss oft das Ueble zulassen.

In der nächsten Szene wagt ein von den abscheulichen Szenen gebeutelter Soldat, der bei den Massenerschießungen von Jüd*innen nicht mehr mitmachen kann, bei seinem Major Befehlsverweigerung. In Anbetracht dieser schrecklichen Taten wirkt die gespielte Gelassenheit des Vorgesetzten fast schon bedrohlich. „Die Polizey muss oft das Ueble zulassen, ja begünstigen und zuweilen ausüben, um das Gute zu thun, oder das größre Uebel zu entfernen“ schrieb Schiller über die Geschäfte der Polizei, an keiner Stelle des Stücks wird dies pervertierter offenbart.

Im Anschluss folgt das etwas zu schnell in die Wege geleitete Ende mit einer Befragung eines Polizeibeamten zu seiner Mitgliedschaft beim Ku-Klux-Klan, eines anderen zu dessen Nähe zum NSU. Beide stellen sich dem Kreuzverhör mit einer beinahe schon frechen Dümmlichkeit, werden aber dennoch nur milde bestraft, was einen als Zuschauer*in nochmal mehrmals über die Fragwürdigkeit eines moralischen Kompasses im Polizeiapparat nachdenken lässt.

EIN VORHANG AUS ARMEN, BEINEN UND KÖPFEN.

Den endgültigen Schlusspunkt dieses 90-minütigen Stückes setzt die Betrachtung der Geschehnisse in Rostock-Lichtenhagen 1992, als hunderte teilweise rechtsextreme Randalierer*innen die Zentrale Annahmestelle für Asylbewerber*innen und ein Wohnheim für vietnamesische Gastarbeiter*innen angriffen. Während des Höhepunkts der fünftägigen Ausschreitungen zog sich die Polizei teilweise zurück und überließ die im brennenden Haus Eingeschlossenen ihrem Schicksal. Ein letztes Mal wird rechte Subversion im Polizeiapparat in diesem Stück angedeutet, bevor sich der Vorhang aus Armen, Beinen und Köpfen der Polizeipuppen schließt und Anne Weise, Daniel Dietrich, Ewa Rataj und Stefan Herrmann sich ihren verdienten Applaus für eine herausragende Leistung abholen dürfen.

Das Stück gibt einem keine Antworten, sondern offenbart einem eher noch mehr Fragen über die Polizei als Institution, regt aber auch zum Nachdenken an und hat es beinahe im Vorbeigehen geschafft, einen chronologischen Einblick in die Geschichte zu bekommen.

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