Wenn Lisa von ihrer ersten Liebe mit 15 Jahren redet, spricht sie nicht über zärtliche Berührungen, leidenschaftliche Küsse oder romantische Überraschungen. Stattdessen erzählt sie von Silikonbrüsten, aufgespritzten Lippen und Pornos, die immer wieder abendelang über den Bildschirm ihres Fernsehers flimmerten. Ihr damaliger Freund verglich Lisa immer wieder mit den Darstellerinnen, die sich mit Brüsten, groß wie Wassermelonen, nackt um muskelbepackte Männer räkelten. „Hättest du solche Titten, dann hätten wir jeden Tag Sex!“, war der Satz, der Lisa am deutlichsten im Gedächtnis blieb.
Wo die Kerben verlaufen, wirkt das ausgeblichene Holz des hellbraunen Wandschranks beinahe weiß. Neben jede Kerbe ist ein Datum geritzt. Unter jedem der zwei Dutzende Daten reihen sich verblassende Worte aneinander. „01.06.2004 – Wieso ich? So einen beschissenen Drecksack wie mich haben meine Eltern nicht verdient.“ Sie erzählen von Hass. Zeichnen das Selbstbild eines über Jahre hinweg misshandelten Kindes. „03.10.2005 – Der Gedanke zu sterben ist so wunderschön, aber so ein widerliches Ding wie ich hat den Tod nicht verdient.“
Schwarz und Weiß. Tod oder Leben. Rücksichtslos reitet das schwarze Ross einen Bauern nieder. Ein weiteres Opfer. Die weißen Truppen sind in Bedrängnis, können sich nicht mehr halten. Der König fällt. Schachmatt.