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Ich will einen Bären! – Drei Wochen in Kanada
Dunkel Hell

Ich will einen Bären! – Drei Wochen in Kanada

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  • Ich will einen Bären sehen. Am liebsten einen Braunbären, so wie der treue Begleiter meiner Kindheitstage, nur eben nicht aus Plüsch, sondern lebendig und frei. Okay, und idealerweise in sicherer Entfernung. Oder wenigstens einen Elch. Und wo sollte das besser klappen als in Kanada?

Da eine Freundin Anfang August ihr Auslandssemester in Waterloo begonnen hat, bin ich ja quasi verpflichtet, dort einmal nach dem Rechten zu schauen. Außerdem will ich ein paar Packungen Tee und Kaffee vorbeibringen, weil diese Genussmittel in Kanada deutlich teurer sind als bei uns. Und da sich der Aufwand für einen kurzen Abstecher ja nicht lohnen würde, halten wir es eben etwas länger aus und packen neben Waterloo auch Toronto, Montréal, Ottawa, Québec und den Bruce Peninsular National Park ins Programm.

Wir beginnen unseren Aufenthalt in Toronto, am Ufer des Ontariosees. Das erste, was wir sehen, sind Hörnchen, die in Massen mitten durch die Stadt huschen. Sie werden uns während unserer Reise konstant begleiten. Vom Aussichtsdeck des CN-Towers bekommen wir einen Überblick über die Stadt und fühlen uns zwischen all den Wolkenkratzern ein kleines bisschen wie in Manhatten. Schnell haben wir den Rathausplatz zu unserem Lieblingsort erkoren – nicht zuletzt wegen der attraktiven Kombination aus Sitzbänken mit einem schönen Blick über das Wasserbecken und den leuchtenden TORONTO-Schriftzug und der unmittelbaren Nähe zu Tim Hortons – ein Hoch auf die Sundried Tomato Bagels! (Zugegeben, in einer kanadischen Großstadt wäre es eher erwähnenswert, wenn wir uns NICHT in der Nähe eines Tim Hortons befänden.) Doch außerhalb des Zentrums sehen wir, dass die Stadt auch einmal klein angefangen hat: Die Viertel Cabbage Town (kein Witz, benannt nach dem Kohlanbau) und Distillery District mit ihren älteren Wohnhäusern und Industriegebäuden beweisen, dass es nicht nur verglaste Wolkenkratzer gibt. Natürlich stehen auch ein Besuch der Toronto Islands und ein Ausflug zu den Niagarafällen auf unserer touristischen To-Do-Liste. Doch von Bären keine Spur.

Bloß eine gute Autostunde von der modernen Metropole entfernt leben rund um Waterloo zahlreiche Mennoniten, Angehörige einer christlichen Glaubensgemeinschaft, die sich unter anderem durch die Ablehnung von vielen technischen Errungenschaften auszeichnen. So sehen wir des Öfteren eine Pferdekutsche über die Straße fahren – und die dazugehörigen Schilder, die die Autofahrer darauf aufmerksam machen. Die Mennoniten bieten ihre landwirtschaftlichen Produkte auf den Farmers‘ Markets an. In einer unglaublichen Farbenvielfalt präsentieren sie Obst, Gemüse und Blumen liebevoll in Körbchen verpackt. Meine Favoriten sind die Minipaprikas in Kirschgröße und die kleinen Gurken, die ich sonst nur aus dem Glas kenne. Nur leider keine Bären.

Ottawa ist sicher nicht die prominenteste Stadt Kanadas, vielmehr steht die Hauptstadt im Schatten der konkurrierenden Metropolen Montréal und Toronto. Und doch ist Ottawa ein würdiger Regierungssitz: Konsequent zweisprachig und vor allem voller riesiger Museen, die die Geschichte, Kunst und Kultur des gesamten Landes vermitteln. Die Bedeutung der eingeborenen First Nations wird angemessen gewürdigt, was ja auch nicht immer gleichermaßen der Fall war. Imposante Bauten, die keine Ausstellungen beherbergen, sind meistens Regierungs- oder Verwaltungsgebäude. Der Capitol Hill ist das Machtzentrum Kanadas und ein landeskundliches Highlight. Aber meinen Bären krieg ich auch hier nicht.

Montréal ist wie ein Flickenteppich: zusammengesetzt aus vielen verschiedenen Facetten, von denen ich mir auch nach mehreren Tagen kaum vorstellen kann, dass sie eine einzige Stadt ergeben. Der Stadtteil Old Montréal wirkt wie eine französische Kleinstadt, hier fühlen wir uns kein bisschen wie in einer Millionenmetropole. Ganz anders sieht es auf der Rue Ste Catherine aus, die sich ganze 15 Kilometer lang durch die Stadt zieht und auf dieser Strecke von Luxusgeschäften bis zu heruntergekommenen Lokalitäten alles zu bieten hat (Und wehe dir, wenn du in die falsche Richtung läufst. Ich fluche über die leeren Versprechungen in meinem Reiseführer, bis ich ein paar Kilometer weiter doch noch mehr als genug Gelegenheiten finde, den Rest meines Reisebudgets auf den Kopf zu hauen). Der Mont Royal und die Île Ste Hélène bieten nicht nur Grünanlagen mitten im Häusermeer, sondern auch Postkartenblicke auf die Skyline. Und ein wichtiger Teil von Montréal liegt unter der Erde. Geschützt vor Kälte und Schnee während der Wintermonate verfügt die Stadt über ein ausgebautes Netz an unterirdischen Geschäften, Restaurants und Metrolinien. Nur keine Bären.

Meiner Meinung nach kann man nicht wirklich in Kanada gewesen sein, ohne auch die Natur erlebt zu haben. Deshalb ist für mich ein Mietauto Pflicht, um auch in die weniger bevölkerten Ecken des Landes vordringen zu können. Die Wahl ist auf den Bruce Peninsula National Park gefallen – ein Volltreffer. Vom Örtchen Tobermory aus erkunden wir verschiedene Wanderwege durch Wälder, entlang der Georgian Bay und des Huronsees. Hätte man mich hier ausgesetzt und mir gesagt, ich sei am Meer, ich hätte es geglaubt. Sand- und Steinstrände, Steilküsten, Brandung, Möwen: hier kommt man wirklich nicht dazu, den Ozean zu vermissen. Und die Verkäuferin in der Buchhandlung hat dieses Jahr immerhin schon zwei Bären gesehen… Ich komme dem Ziel näher!

Den kanadischen Winter erleben wir natürlich nicht – und doch ist er auch während der Sommermonate im Stadtbild präsent. Die Häuser in Québec haben auf einer Seite oft keine Fenster, dafür ist diese Mauer bunt bemalt – und darauf treffen in der kalten Jahreszeit die Blizzards, denen eine Glasscheibe nicht standhalten könnte. In vielen Städten können sich die Menschen unterirdisch fortbewegen, arbeiten, einkaufen und essen, ohne sich der Kälte aussetzen zu müssen. Sowohl Montréal als auch Ottawa und Toronto verfügen über riesige Kunstmuseen, die allesamt unter anderem eine beachtliche Sammlung kanadischer Gemälde ausstellen. Diese Bilder vermitteln einen guten Überblick über die typischen Landschaften und Witterungsverhältnisse des Landes. Natur- und Stadtszenen im Schnee kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Und wem die Bilder nicht Winter genug sind, der kann sich durch die eifrig genutzten Klimaanlangen in den Ausstellungsräumen auch im September fast schon wie im arktischen Schneesturm fühlen.

Wir fiebern dem Indian Summer entgegen, zählen die verbleibenden Tage und hoffen – am Ende reicht es nicht ganz. Wir sehen vereinzelt gefärbte Blätter, aber noch will die Herbststimmung, die uns von vielen Postkarten entgegenleuchtet, nicht ganz aufkommen. Schade, aber letztendlich halb so schlimm – ich kann mich nicht erinnern, wann ich mich das letzte Mal so auf rote Blätter in Bamberg gefreut habe wie in diesem Jahr.

Einen richtigen Bären sehen wir leider nicht. Um uns darüber hinwegzutrösten, flitzt eines Abends ein Waschbär direkt vor unserem Hotel in Toronto vorbei – na immerhin. Schade nur, dass er es nicht für nötig hält, einen Moment für ein Foto zu posieren.

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