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Jenseits von Zukunft
Dunkel Hell

Jenseits von Zukunft

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Du neigst dazu, dir von einer Handvoll Hausarbeiten die Vorfreude auf den Sommer vermiesen zu lassen? Pustekuchen. Derer weit über 200 liegen jährlich auf dem Schreibtisch von Dr. Michael Gerten. Sämtliche Seminare des Bamberger Philosophen und Politikwissenschaftlers finden seit Jahren reißenden Absatz und bringen die Räumlichkeiten der Uni regelmäßig an die Grenzen ihrer Aufnahmefähigkeit.

Nach 130 gehaltenen Lehrveranstaltungen dürfte die akademische Laufbahn des Mittfünzigers nun jedoch einen verfrühten Abschluss finden. Zum Semesterende läuft der befristete Anstellungsvertrag aus – der letzte, den eine Universität Michael Gerten anbieten konnte. Schuld ist das sogenannte Wissenschaftszeitvertragsgesetz, welches der Deutsche Bundestag 2007 beschlossen hat. Danach dürfen wissenschaftliche Mitarbeiter lediglich über zwölf Jahre hinweg mit befristeten Verträgen eingestellt werden, maximal sechs Jahre vor und sechs Jahre nach der Promotion. Diese Zeit verlängert sich für Mütter und Väter um zwei Jahre pro Kind. Soweit zu den Ausnahmen. Danach bieten sich einige Alternativen, die allerdings schwer erreichbar, unattraktiv oder gar unzumutbar sind.

Der Wechsel auf eine der (dünn gesäten) Festanstellungen, also die Arbeit als Akademischer Rat oder Professor, bleibt verhältnismäßig wenigen Wissenschaftlern vorbehalten, es fehlt den Lehrstühlen schlicht die finanzielle Ausstattung, welche die Stellen tragen könnte. Die Ausführung eines Lehrauftrags empfiehlt sich schon aus Selbsterhaltungszwecken nicht. Denn klassischerweise intendiert ein Lehrauftrag die Herstellung eines Praxisbezugs. Die Dozierenden bestreiten ihren Lebensunterhalt mit einer außeruniversitären Beschäftigung und lehren parallel mit geringer Stundenzahl. Entsprechend ist die Vergütung angelegt, eher symbolisches Zubrot als lohnender Verdienst. Die angesprochene Mittelknappheit an vielen deutschen Universitäten zwingt Lehrstühle jedoch reihenweise dazu, hauptberufliche Wissenschaftler als Lehrbeauftragte einzustellen und auch zu bezahlen. Sich auf diesem Wege selbst zu versorgen, darf man in den meisten Fällen getrost als Ding der Unmöglichkeit bezeichnen. Der Deutsche Hochschulverband (DHV) sieht im großen Zuwachs der Lehrbeauftragten einen sicheren Beleg für eine Unterfinanzierung des gesamten Hochschulsystems. In seiner Resolution vom März 2015 führt der DHV deshalb den Finanzier der Hochschulen, Bund und Länder, als Verursacher dieses Zustands an. Da bleibt manchmal nur noch Alternative Nummer drei, der Ausstieg aus dem universitären Wissenschaftsbetrieb. Alles in allem ein kontraproduktiver Prozess, dessen vernichtende Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen sehr vieler Wissenschaftler unter Studierende nur vereinzelt bekannt sind.

Natürlich will jede Generation Dauerverträge haben, deshalb blockieren Festangestellte oft über Jahrzehnte ihre Positionen an der Uni

„Man hat sicher etwas Gutes gewollt“, kommentiert Sebastian Kempgen, Vizepräsident für Lehre und Studierende an der Uni Bamberg. „Es gehört zum Spiel im Wissenschaftsbereich dazu, dass man sich auf befristeten Stellen qualifiziert und dann eine Festanstellung anstrebt. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz sollte diese Phase der Qualifikation zeitlich begrenzen, damit junge Wissenschaftler nicht ewig auf befristeten Stellen sitzen. Allerdings haben solche Leute nach den zwölf Jahren nicht automatisch eine Perspektive. Denn natürlich will jede Generation Dauerverträge haben, deshalb blockieren Festangestellte oft über Jahrzehnte ihre Positionen an der Uni.“ Das Gesetz ist ein Schuss, der allzu oft nach hinten losgeht. Deshalb sei die Uni Bamberg „kritisch gegenüber dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz“ und diskutiere es bei Versammlungen der Universität Bayern e.V. [Konferenz bayerischer Universitätspräsidenten, Anm. d. Red.] mit Ministeriumsvertretern.

An vorderster Front kämpft seit einigen Monaten auch eine Gruppe Studierender, die sich für eine Weiterbeschäftigung ihres Dozenten Michael Gerten einsetzt. Bereits im vergangenen Semester durchlief eine Unterschriftenliste die Seminare der Philosophie, der Politikwissenschaft und der BWL, Herrn Gertens Wirkungsstätten. 250 Stimmen trug sie bei Ferienbeginn. „Wir haben in den Wochen danach überlegt, wie man unser Anliegen auf eine breitere Basis stellen kann, um noch größere Aufmerksamkeit zu erreichen“, sagt Thomas Klostermann, einer der studentischen Initiatoren. Es folgte die Verlagerung der Petition ins Netz. In einigen wohlüberlegten Zeilen informieren die Petitionsführer dort über ihr Primärziel, eine fächerübergreifende Festanstellung für ihren Dozenten durchzusetzen, und protestieren mit Nachdruck gegen das diskutierte Gesetz. Es dauert ein paar Tage, da geht die Stimmenzahl durch die Decke, rund 7.000 Unterzeichner sind es bis heute, darunter Bamberger Uniangehörige, Studierende und Dozierende der Uni Augsburg, die einen ähnlichen Fall ausfechten, ehemalige Kursteilnehmer Michael Gertens und Kollegen anderer Hochschulen.

Der Erfolg erregt Aufmerksamkeit, schnell trudeln erste Medienanfragen ein. Auch Frankfurter Rundschau und SZ möchten über den Fall berichten. Das Thema scheint auch in der Öffentlichkeit ein sensibles zu sein. „Fast noch aufschlussreicher ist die lange Liste an persönlichen Kommentaren auf der Petitionsseite“, freut sich Studentin Gudrun Schwenk. Tatsächlich hinterlassen viele eine Nachricht, lobende Worte voller Begeisterung für Herrn Gerten, vernichtende Kritik an den Zuständen im akademischen Mittelbau. Er fahre jeden Montag vor acht Uhr zwei Stunden nach Bamberg, um einen Hochschullehrer zu erleben, wie er ihn sich immer erhofft habe, schwärmt ein Besucher, Herr Gerten sei der Dozent, von dem er am meisten gelernt habe, ein anderer. Nützen dürfte das paradoxerweise nichts. Eignung, Erfahrung und Einsatz sind für eine befristete Weiterbeschäftigung nach zwölf Jahren keine ausschlaggebenden Kriterien mehr, denn eine solche darf es laut Gesetz nicht geben. Hauptanliegen der Petition ist deshalb eine feste Stelle.

Dazu ist viel Eigeninitiative der Studierenden erforderlich. Denn um wissenschaftliche Mitarbeiter weiter anzustellen, braucht es zweierlei: finanzielle Mittel und den Willen der jeweiligen Fachbereiche, erstere entsprechend einzusetzen. Da jedes Fach jedoch (finanziell und strukturell bedingt) nur eine begrenzte Anzahl an Stellen vergeben kann, ist eine Neueinrichtung oft schwer realisierbar. Die Petitionsleiter spekulieren deshalb auf eine fächerübergreifende Anstellung in den Bereichen Philosophie, Politikwissenschaft und BWL, wodurch sich die erforderlichen Aufwendungen der einzelnen Lehrstühle verringern würden. Vizepräsident Sebastian Kempgen: „Die Mittel für eine zusätzliche Stelle könnten nur aus Studienzuschüssen geschöpft werden, dafür bräuchte es einen Antrag ans Ministerium durch die Unileitung, den wir auch weiterreichen würden. Mehr als den Fächern diese Möglichkeit aufzuzeigen, kann die Unileitung nicht tun. Die Fächer müssen sich positionieren.“ Dies ist ein Ansatz, den die Studierende verfolgen. Sie möchten vermitteln, wie wertvoll die Lehre von Herrn Gerten ist, eifrig, aber nicht aufdringlich.

„Man kommt viel weiter, wenn man die Leute höflich fragt oder um Unterstützung bittet. Vorwürfe schließen oft Türen und sind manchmal auch ungerechtfertigt. Wegen der komplizierten Anordnung von Zuständigkeiten und Verpflichtungen beschwert man sich schnell mal bei den falschen Verantwortungsträgern.“, erklärt Manuel Gebhardt. Denn böser Wille sei nirgendwo zu spüren, man stoße uniintern allerorts auf wohlwollende Ansprechpartner – und lande letzten Endes wieder beim grundsätzlichen Problem der schlechten Bezahlung und strukturellen Schwächen im Wissenschaftssystem, dem Problem hinter dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz.

Genug Aufregung beschert für den Moment schon das letztere. Als „katastrophal“ bezeichnet ein Unterzeichner der Petition die Situation des akademischen Mittelbaus in Deutschland und echauffiert sich über die Verspottung ehrlicher Bemühungen und die Zerstörung der Zukunft talentierter Wissenschaftler. Folgerichtig soll die zeitnahe Abänderung des Gesetzes weiter ein Engagement der Studierenden bleiben, auch über den noch unklaren Ausgang des Falls Michael Gerten hinaus.

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