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Wenn Kraulen keine Zärtlichkeit meint
Dunkel Hell

Wenn Kraulen keine Zärtlichkeit meint

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  • Nächste Woche erscheint unsere neue Ottfried-Ausgabe mit dem Titelthema Zukunft. Beeindruckend an Sophia Scheuermann ist aber weniger ihre Zukunft als vielmehr ihre Vergangenheit, von der sie quantitativ weniger hat als die meisten Studierenden. Mit nur 17 Jahren studiert sie im zweiten Semester Psychologie und schwimmt für die Bamberger Hochschulmannschaft. Ein Porträt.

Wer um sechs Uhr morgens übermüdet nach einer WG-Party in Bamberg Ost durch die Straßen torkelt, wird mit etwa vierzigprozentiger Wahrscheinlichkeit auf Sophia Scheuermann treffen. Nicht weil sie regelmäßige feiern geht, nein: Vereinstraining um 6:15 Uhr im Bambados. Drei Mal wöchentlich. Um viertel nach sechs. Morgens. Nebenbei studiert Sophia außerdem Psychologie, das Fach mit dem zweithöchsten NC des letzten Wintersemesters: Notendurchschnitt 1,4. Warum tut sie sich das an, Studium plus zeitintensiver Sport? „Mir würde einfach etwas fehlen“, meint sie nach längerem Nachdenken und fügt hinzu: „Ich schwimme neun Mal pro Woche, das ersetzt man nicht so leicht.“

Seit der zweiten Klasse fährt die Nürnbergerin auf Wettkämpfe. Wann sie gelernt hat alleine zu schwimmen, weiß sie nicht mehr. Das könne daran liegen, dass man an die Zeit vor seinem dritten Geburtstag keine Erinnerungen habe, lacht Sophia. Sie lacht überhaupt sehr gerne und herzlich. Wer nach einer verschlossenen Streberin sucht, wird bei Sophia nicht fündig. Die Sportlerin erzählt bereitwillig von sich; sie tut das ohne anzugeben und interessiert sich für ihr Gegenüber. Auf ihre Erfolge angesprochen zieht sie zurückhaltend die Schultern hoch. „Können wir die Frage streichen?“ Dabei muss sie sich hinter ihren Leistungen nicht verstecken: 25 Goldmedaillen in Wettkämpfen auf Stadt‑, Bezirks- und internationaler Ebene, fast genauso oft Silber, elf Mal Bronze. Ihre Spezialität: Freiwasser, 2500 Meter Kraul-Stil in knapp über dreißig Minuten. Professionell ihre Schwimmkarriere fortzuführen kann sie sich aber nicht vorstellen. „Dazu bin ich viel zu schlecht. Wer mit zwölf nicht im Bundeskader ist, schafft es nicht mehr“. Lust, sich dem exorbitanten Trainingsaufwand der Profis zu unterwerfen, habe sie auch keine. Sie erzählt von Fitness-Apps, die Eliteschwimmer nutzen müssen und mit denen die Trainer jederzeit deren Standort abrufen können – „das wär’ mir zu krass.“ Schwimmen ist für Sophia also kein Berufswunsch, aber doch mehr als ein Hobby. Schule und Studium sind Notwendigkeiten, ihren Sport aber betreibt sie mit Herzblut. „Man muss aber nicht den Anspruch haben, immer die Beste zu sein. Das Wichtigste ist, Spaß zu haben.“

So sieht das auch Michael Schorr, der im Schwimmverein Bamberg, in dem auch Sophia Mitglied ist, einen Teil der über 80 Jugendschwimmer trainiert. „Wir machen hier echten Leistungssport, da brauchst du Leidenschaft!“. Auf diesem Anspruchsniveau laufe nicht immer alles in der Mannschaft harmonisch. Als die Universität im Facebook-Post über die Hochschulmeisterschaften nur zwei der sieben Teilnehmer erwähnte, seien einige verständlicherweise „not so amused“ gewesen. Schorr, selbst seit seiner Geburt Mitglied im Verein, betont: „Wir treten als Mannschaft an.“

Bearbeitung: Chiara Marasco

Sophia schwimmt hauptsächlich im Einzel. „Klar mach ich auch mal Staffel, aber da kann man schon schlechte Erfahrungen machen“, sagt sie und runzelt die Stirn. „Schwimmen ist Individualsport“, in der Staffel solle immer das Recht des Schnelleren gelten. Langsam ist im Verein aber sowieso keiner: Sieben Mitglieder haben sich für die kommenden Deutschen Jahrgangsmeisterschaften qualifiziert.

Sophia ist auf solchen Wettkämpfen oft die Jüngste. Weil sie in der Grundschule ein Jahr übersprungen hat, muss sie heute für vieles eine Einverständniserklärung ihrer Eltern abgeben. Beim Thema verdreht sie genervt die Augen: „Damit werden junge Studenten wie ich ein bisschen an den Pranger gestellt.“ Auch das Verhalten mancher anderen Sportler folge oft dem Motto „Oh Gott, was will die Junge da?“ Davon lässt sich die quirlige Schwimmerin aber nicht entmutigen: „Ich habe ein Abitur wie alle anderen, ich werde bald 18.“ Jetzt wird erstmal weiter für den nächsten Wettkampf trainiert, Badeanzug an, Haube und Brille auf. Programm auf den reservierten Bahnen im Bambados: Einschwimmen, Technik, Koordination, Belastungsserien. Sophia schießt schon durchs Becken, Wende, Kraul, Wende, Rücken … Puh, sieht anstrengend aus. Ich geh‘ dann mal zur WG-Party.

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