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Dreck im Gebäck
Dunkel Hell

Dreck im Gebäck

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  • Dumpinglöhne, Massenproduktion und katastrophale Hygienebedingungen. Ein Blick hinter die Kulissen der Bäckereiindustrie.

Montagmorgen, 06:30 Uhr in Bamberg. Die Frühschicht in der Teigwarenfabrik hat gerade begonnen. Noch ziemlich verschlafen lasse ich ausversehen eines der Baguettes, die unablässig am Fließband an mir vorbei laufen, auf den Boden fallen. Der Boden ist so früh am Morgen noch fast zwei Zentimeter hoch mit einer dreckigen, schaumigen Brühe bedeckt – die Putzkolonne war gerade erst hier. Für ein paar Sekunden starren mein Schichtleiter und ich auf das Baguette, das jetzt im Putzwasser schwimmt. Dann hebt Rasin* das Baguette auf, schüttelt es kurz aus und wirft es in den Karton zu den anderen Baguettes, die sich jetzt auf dem Weg zu einer der bekanntesten Supermarktketten Deutschlands befinden. Das mit Putzwasser getränkte Baguette wird also spätestens morgen früh bei irgendjemandem auf dem Teller landen. Ohne, dass derjenige auch nur die leiseste Ahnung haben wird, wo genau dieses Baguette eigentlich herkommt – oder wie es hergestellt wurde.

Hauptsache es schmeckt

Wir machen uns wenig Gedanken darüber, was wir essen oder unter welchen Bedingungen unsere Lebensmittel hergestellt werden. Klar, jeder weiß inzwischen, dass Massentierhaltung böse ist und die meisten Studenten greifen im Supermarkt auch lieber zur Biomilch als zu der für 42 Cent. Aber was ist eigentlich mit anderen Lebensmitteln?

Jetzt mal ehrlich: Jeder von uns hat doch schon mal ein Tiefkühlkräuterbaguette zum Grillen mitgebracht, auf die Schnelle ein Brot im Discounter gekauft oder eine Packung Tiefkühlbrötchen fürs Wochenende im Gefrierfach – schließlich sind wir Studenten. Fast niemand macht sich allerdings bewusst, dass auch diese Lebensmittel in Massenproduktion hergestellt werden. Die Nachfrage nach Teigwaren ist immens. Die Produktionsbedingungen aber oft katastrophal.

So wie in der Fabrik, in der ich seit ein paar Wochen arbeite. Der Vorfall mit dem Baguette im Putzwasser ist kein Einzelfall, der mir während meines Aushilfsjobs auffällt. Und bei weitem nicht der erschreckendste.

Leider kein Einzelfall

Täglich werden hier hunderte von Baguettes, Croissants, Brötchen und anderer Teigwaren hergestellt. Die Maschinen laufen 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.
Die Kunden: Einige der größten deutschen Supermarktketten, sowohl einschlägige Discounter als auch Biosupermärkte. Sogar eine bekannte deutsche Fluglinie ist darunter.

An meinem ersten Tag in der Fabrik erhalte ich zwar eine zehnminütige Hygieneschulung, doch die Realität in den Hallen hinter dem sauberen Büro, in dem mir der Geschäftsführer im Anzug erklärt, dass ich auf jeden Fall immer Handschuhe tragen muss, sieht ganz anders aus. Die dünnen Plastikhandschuhe – die einzige Arbeitskleidung, die die Fabrik stellt – reißen nach fünf Minuten Teig kneten und sind für die meisten Arbeiten vollkommen ungeeignet. So mache ich es am zweiten Arbeitstag wie alle anderen Mitarbeiter auch: Ich lasse die Handschuhe weg und fasse Brötchen, Baguettes und Co. einfach so mit den Händen an. Wenigstens wasche ich sie vorher – im Gegensatz zu den meisten Arbeitern hier.

Und wer ist schuld?

Die Arbeiter sind aber nicht das Problem. Das Problem ist viel mehr die Masse, die hier hergestellt wird. Da bleibt einfach nicht viel Zeit für Feinheiten. Die Maschinen spucken ununterbrochen Baguettes, Brötchen und Pizzen aus, die verpackt werden müssen. Auch, wenn etwas daneben fällt, laufen sie weiter. Es gibt zwar einen Notfallknopf, falls man wirklich nicht mehr hinterher kommt, doch auf einen Maschinenstopp reagiert der Chef ziemlich ungehalten. Also macht man lieber weiter, auch wenn man sich gerade den Finger am Karton geschnitten hat und das Blut aufs Brötchen tropft. Die Produktion muss auf jeden Fall weiter gehen.

Wie katastrophal die Bedingungen in der Fabrik wirklich sind, wird mir aber erst deutlich, als eines Tages eine angekündigte Hygienezertifizierung in der Fabrik stattfinden soll. Nur, wenn das Unternehmen vor der Hygieneprüferin Bestand hat, darf es überhaupt weiter produzieren. Schon Tage vor der Zertifizierung herrscht emsige Betriebsamkeit. So müssen beispielsweise die Farbmarkierungen auf dem Boden der Fabrikhalle erneuert werden. Neben diesen Markierungen wird der Teig für die Backwaren angerührt. Das geschieht in großen Behältern – ohne Deckel. Der Teig wird auch angerührt, während ein Mitarbeiter neue Farbe auf die alten Markierungen sprüht. Diese Farbe riecht so giftig, dass wir alle Mundschutz tragen, weil man kaum noch atmen kann. Der Teig steht weiterhin offen ohne Abdeckung im gelben Nebel der Sprühfarbe.

Am Tag der Zertifizierung erkenne ich die Firma kaum wieder. Nicht nur die Farbmarkierungen sind neu, alles ist sauber, nirgendwo liegen mehr kaputte Kartons oder alte Brötchen. Alle Mitarbeiter tragen Handschuhe und die meisten Männer Barthauben – die ich davor noch nie gesehen habe. Statt meiner normalen Straßenkleidung, die ich sonst beim Arbeiten trage, bekomme ich frische weiße Arbeitskleidung. Die muss ich danach aber wieder zurückgeben. Arbeitskleidung stellt die Fabrik nämlich nicht.

Die Hygieneprüferin hat trotzdem etwas auszusetzen: Neben dem Baguettefließband stapeln sich hunderte von Pappkartons, in welche die Baguettes gepackt werden. Laut Prüferin müssen die Kartons auf unbrennbaren Plastikpaletten stehen, da die Brandgefahr zwischen all den Kabeln und Rädern der Maschinen sonst zu groß ist. Die Anweisung wird sofort in die Tat umgesetzt und die Prüferin verlässt zufrieden die Fabrik. Die Plastikpaletten erscheinen mir recht logisch – zwischen den Pappkartons steht 24 Stunden am Tag ein Arbeiter, der Baguettes schichtet. Sollten die Kartons anfangen zu brennen, hätte er geringe Aussichten, die Fabrik lebend zu verlassen. Die Fabrikleitung sieht das anders: Am nächsten Tag sind die Plastikpaletten verschwunden und ich stehe wieder in Straßenschuhen zwei Zentimeter tief im dreckigen Putzwasser.

Obwohl ich nur als Aushilfe eingestellt bin, werden die meisten Mitarbeiter, die teilweise seit 15 Jahren dieselben Baguettes in dieselben Kisten packen, kaum besser bezahlt als ich. Fast keiner von ihnen spricht fließend Deutsch. Da gibt es zum Beispiel Rasin*, den Schichtleiter, aus dem Irak. In seiner Heimat hat er ein Diplom in Naturwissenschaften. Hier in Deutschland stapelt er Brötchenkartons. Isabella* aus Russland ist schon über 60, arbeitet neben ihrem Job in der Fabrik aber auch noch als Reinigungskraft, um das Studium ihrer Enkelin zu finanzieren. Erst nach ein paar Wochen in der Fabrik erfahre ich, dass fast alle festangestellten Mitarbeiter inzwischen in Kurzarbeit beschäftigt sind, weil die Geschäftsleitung lieber studentische Aushilfskräfte beschäftigt. Das ist billiger.

Neben den Mitarbeitern begegnen mir in der Fabrik auch einige andere Lebewesen. Immer wieder sehe ich Mäuse zwischen den Regalen voller frisch gebackenem Brot. Und eines Tages finde ich in einem Puderzuckerbehälter, dessen Inhalt ich gerade über Marmorkuchen streuen will, einen ganzen Schwarm Motten. Die Motten werden zwar entsorgt, auswischen soll ich den Behälter, der danach wieder mit Puderzucker befüllt wird, aber nicht – dafür bleibt keine Zeit. Die Maschinen laufen schließlich weiter. 24 Stunden am Tag. Sieben Tage die Woche.

Nach meiner Schicht stehe ich im Discounter vor der Gebäckauslage. Das Baguette kostet hier 59 Cent. Die eigentliche Frage ist doch: Kann man zu dem Preis, den wir bereit sind für Lebensmittel zu zahlen, andere Produktionsbedingungen erwarten?

*Name von der Redaktion geändert

Dieser Artikel ist auch in unserer Ausgabe 100 erschienen.

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